Kapitel 16 - Begegnungen

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Die Tage ohne Ava waren unangenehm und lästig. Die Luft war zu trocken, Morven fror die ganze Zeit, Brot war auf einmal langweilig geworden und tagelang schon hatte er Kopfschmerzen, ganz egal wie viele Medikamente er nahm. Er war seit einigen Tagen nicht mehr ans Meer gegangen, was noch nie zuvor geschehen war, verschanzte sich in seinem Zimmer und schlief oder duschte. Beim Duschen konnte er alles vergessen und realisierte auch nicht, dass er weinte. Morgen würde er mit dem Volontärprogramm beginnen. Er hatte sich einer Organisation angeschlossen, die für den Schutz und die Sauberkeit der Meere kämpfte. Sie halfen Schildkröten und allerlei anderen Tierarten, die in der Klemme steckten – dank stupider egoistischer Menschen – und entsorgten Abfall. Er freute sich auf die Arbeit, sie würde ihn sicher von Ava ablenken und ihn dennoch aber näher zu ihr bringen... Als er aus der Dusche kam, erwartete Richard ihn bereits. Der Mann sah seit Avas Verschwinden zehn Jahre älter aus. Erschöpft und resigniert sass er auf der Couch und trank Whisky. Er war erst gerade zurück gekommen. Die ganze Nacht war er mit seinen Männern auf See gewesen, hauptsächlich um Ava zu finden... Oder mittlerweile ihre Leiche... Seine Augen waren rot unterlaufen und Morven fühlte sich verantwortlich für alles. Wenn er nicht an Land gekommen wäre, dann hätte er Ava sicher nicht in diese Lage gebracht. Das Volk der Meere und des Landes hätten sich nicht auf so eine unangenehme Weise gekreuzt. Er setzte sich neben Richard und dieser schenkte ihm ein Glas ein.

„Du siehst ja miserabel aus“, brummte Richard in seinen Bart und hielt ihm das Glas unter die Nase.

„Gleichfalls“, entgegnete Morven nur und trank. Beide richteten ihren Blick irgendwo ins Nichts. Morven ertappte sich beim lächerlichen Gedanken, dass es zu bedauern war, dass Meermenschen keine Handys hatten. Dann hätte er Arroyo anrufen oder ihn gar orten können. Er fuhr sich durch sein nasses dunkles Haar als er ausgetrunken hatte und stand dann auf. Ihm war schwindlig vom Alkohol und er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Richard stand ebenfalls auf.

Ohne eine Vorwarnung, nahm er den jungen Mann in seine breiten kräftigen Arme und klopfte ihm zweimal väterlich auf die Schulter.

„Du bist ein guter Junge, Morven.“ Er nickte anekerkennend den Kopf und blinzelte. Dann wandte sich er alte Mann ab und ging auf sein Zimmer. Morven aber setzte sich motivationslos auf die Couch und als er aus Richards Zimmer ein Schluchzen vernahm, stürmte er aus dem Haus. Es blieb ihm keine andere Wahl übrig als der Strand. Es war nicht unbedingt so, dass er sich einsam fühlte... Und doch war er allein. Rebecca, die zwar oft vorbei kam, sass ebenfalls nur den ganzen Tag resigniert da und tat nichts. Von Lucy, Jay und Francis hatte er gar nichts mehr gehört, nur dass sie nicht in der Uni waren. Er begegnete James ab und an, doch er konnte es nicht ausstehen, dass sein Freund ihn zu trösten versuchte obwohl es gar nicht möglich war. Immer sah er aus als würde er etwas sagen wollen, liess es dann aber trotzdem bleiben. Er hatte Morven mehrmals ins Schwimmbad eingeladen, doch Morven mied das Schwimmen wie ein Fisch, dem das Trockene auf einmal besser gefiel als das Nasse.

Widerwillig ging er an den Strand. Er mied jedoch den Blick auf den Horizont hinaus. Stattdessen starrte er in den gräulichen Sand. Es wurde allmählich kalt. Er hatte sein Jäckchen dicht umschlungen und das kalte Wasser biss ihm in die Knöchel... Es war unangenehm, als Meermensch hatte er niemals Kälte empfunden... Er fröstelte und ging ein paar Schritte gegen den eisigen Wind. Der Herbst nahte. Zum ersten Mal würde Morven die Bedeutung von Jahreszeiten erleben.

Jedes Mal wenn er ein Plätschern hörte, zuckte er zusammen und wandte sich an die Wellen. Doch es war immer nichts. Ein Spatziergänger mit einem Hund kam ihm entgegen und Morven nickte ihm beiläufig zu. Der Hund tollte an ihm vorbei und spielte im Wasser, so als ob die Kälte nur Nebensache wäre. Der zottlige Hund schnappte nach Seealgen, die spielerisch im Wasser schlenkerten und spritzte und tobte, sodass der junge Mann schnell weiter ging.

Cold LungOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz