Kleiner Bonus - Der verlorene Sohn

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Richard kam spät am Abend zurück vom Meer und lachte laut und erleichtert, als Morven da auf dem Sofa sass und den alten Mann breit angrinste.

"Morven, mein Sohn!", rief er hell begeistert und nahm den Jungen in den Arm. Sein Bart war salzig und rau, sein Gesicht gekennzeichnet von Sonne und Mer. Er sah erschöpft und müde aus, doch seine Augen glühten vor Freude. Ava kam ins Wohnzimmer und lächelte herzlich, als sie Richard und Morven erblickten. 

"Aber Richard, das ist noch nicht alles", sagte Morven, nachdem sich alle wieder beruhigt hatten. Ava nahm ihren Onkel an der Hand und zog ihn mit sich. Erstaunt liess er sich von ihr mitziehen, rieb sich mit der anderen Hand über die Augen. Morven lächelte und folgte ihnen. Er hinkte noch leicht, stand nicht ganz aufrecht auf den Beinen, es fiel ihm schwer sich zu balancieren, doch mit jeder Stunde ging es besser.

"Was ist denn?", fragte Richard sehr verwundert aber sehr gut gelaunt.

Im dunklen Wasser regte sich etwas, die Wellen waren ruhig, als würden sie schlafen, doch da war etwas am Strand, dass nicht dem rauschenden Rhythmus des Wassers gehorchte.

Ava liess Richards Hand los und er bückte sich hinunter, Ava trat zurück, tastete nach Morvens Hand. Er drückte sie leicht und zog sie an sich. Beide betrachteten Richard, lächelnd.

"Richard." Eine heisere aber sehr mädchenhafte Stimme erklang aus dem Wasser und sofort versteinerte Richard. "Aileen!", rief er sofort und rannte ins Wasser hinein ohne einen Moment zu zögern. Man sah in der Dunkelheit zwei Gestalten, die sich heftig umarmten. 

Morven flüsterte leise: "Ava, lass uns gehen." So liessen sie die zwei alleine, selig glücklich. Sie schlossen hinter sich die Tür und Morven presste Ava an die Wand und küsste sie zärtlich und geschmeidig. Sie legte ihre Hände in sein samtenes Haar und atmete tief ein. 

Richard kam erst am Morgen zurück, nass, sandig, seine Augen waren mittlerweile schon rot unterlaufen vor Müdigkeit. Er kam in die Küche und machte sich Kaffee ohne ein Wort zu sagen. Ava traute sich auch nicht zu fragen. Was auch immer die beiden sich die ganze Nacht lang gesagt hatten, es war das Richtige gewesen, Aileen und Richard endlich wieder zusammen zu führen. Plötzlich wandte er sich an Morven und Ava. Er holte Atem und überwand sich dann zu sagen: "Ihr kennt meinen Sohn?"

Morven verschluckte sich an seinem Orangensaft. Ava hielt inne und starrte Richard an. "Du hast einen Sohn? Ich habe einen Cousin?", entgegnete Ava überrascht, die nichts davon wusste. Morven wusste, dass Richard einen Sohn hatte. Marion hatte ihm mal davon erzählt. Erst jetzt aber wurde ihm klar, wer sein Sohn war. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, Jack. Er sah genau aus wie Aileen und ganz und gar nicht wie Mer. Und er hatte die Art von Richard, wie auch seine Augen... Er stand sofort auf und rief: "Ja, ich kenne ihn!" Ava sah bestürzt zu ihm. "Und du hast mir gar nie was gesagt?!" Sofort rannte Morven zum Telefon und wählte Jacks Nummer.

Kurz darauf stand er auch schon vor der Tür. Richard liess Ava öffnen, klammerte sich an die Theke in der Küche, starrte gebannt zur Tür. Der schwarzhaarige Jack trat zögernd ein. Er trug ein schwarz blau gestreiftes Shirt und Jeans. Um den Hals trug er den Anhänger, der ihm Aileen mitgegeben hatte. Er sah zu Richard und auf einmal wirkte der sonst so selbstsichere und von sich selbst überzeugte Mann wie ein kleiner verlorener Schuljunge, der an der Kasse im Einkaufszentrum seinen Vater wiederfand, nachdem er weinend durch das ganze Zentrum geirrt und seinen Namen geschrieen hatte.

Genau so sah auch Richard drein, als hätte er überall nach ihm gesucht und ganz erleichertert zur Kasse gerannt, als die Aussage gemacht worden war: "Jack hat seinen Papa verloren. Er wartet an der Kasse 12."

Er trat vor und nahm Jack in seinen Arm. Drückte ihn, klopfte ihm auf die Schulter. Fuhr sich sehr gerührt und überwältigt über die Augen. "Du siehst genau aus wie deine Mutter", brachte Richard hervor und es schien, als würde er sich Tränen zurück halten, der alte Seebär. Er lud seinen Sohn zum Frühstück, Mittagessen, Abendessen - eigentlich für immer - ein. Tischte ihm Brot und Aufstrich auf und wollte alles wissen. 

"Was machst du so, Jack?" Er setzte sich neben seinen Sohn und seine Augen strahlten. Ava war so glücklich für ihn! Morven hatte sich amüsiert zurück gelehnt und genoss die ausgelassene Stimmung. "Ich bin Aktivist. Ich arbeite mit Organisationen zusammen, die das Meer säubern. Ich bin dazu noch Tauchlehrer und mache auch Touren zu Inseln", erzählte Jack lächelnd und Richard war begeistert. "Du kannst ein Schiff lenken?", fragte er hell und Jack nickte. "Ich mochte Schiffe und Boote schon immer." Richard schüttelte den Kopf vor Ungläubigkeit und Entzücken. Das hatte er ganz bestimmt von seinem Vater. Und das Meer von der Mutter. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Richard richtig stolz, auf sich selbst, weil er so einen unglaublichen Jungen erschaffen hatte. "Und wo lebst du?", fragte er weiter und musterte jede Bewegung, die sein Junge machte ganz genau. 

"In einer kleinen Wohnung am Pier." "Du kannst natürlich hier wohnen, Jack!", rief Richard sofort lächelte vorsichtig. "Natürlich nur wenn du willst..."

Dann erzählte er von Mer und Richard als auch Jack fragten sich, wie es dazu gekommen war, dass sie sich nie hatten kennenlernen können... 

"Marion hat mir mal erzählt, dass Aileen Jack bei Mer zurück gelassen hat, weil er ein Mensch war und sie ihn nicht mitnehmen könnte, da er ja ertrunken wäre. Sie hatte Mer gebeten, ihren Sohn Richard zu bringen. Aileen hatte ihr vollends vertraut, da sie ja eigentlich Freundinnen gewesen waren. Doch dann war da ja auch der grosse Streit zwischen den beiden und Mer verlor Aileen als Freundin und hat Jack behalten, weil er genau so aussah wie Aileen. So hatte sie mindestens noch einen kleinen Teil ihrer besten Freundin bei sich...", erklärte Morven und alle nickten betroffen.

"Und ich habe jetzt einen Cousin, wie schön!", sagte Ava noch, strahlend und Jack grinste breit und zufrieden. 

Und so schien die ganze Welt glücklich und zufrieden zu sein.

Cold LungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt