Kapitel 1

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Es war ein ganz normaler Tag in einem Feriencamp für Halbgötter.

Ich war wie immer früh und vor allen anderen aufgestanden, um in Ruhe meinen Trainingsplan durchziehen zu können.

Jeden Tag zuerst Schwerttraining, danach Ausdauer und Kraft und später schließlich noch Dolchwurf. Mindestens 8 Stunden meines Tages fanden auf dem Trainingsplatz statt. Anfangs hatte ich trainiert, um auf Gefahrensituationen vorbereitet zu sein. Mittlerweile wollte ich einfach nur die Beste sein und bei jedem Kampf gewinnen. Ich fürchte, das sind die Gene meiner Mutter, die da aus mir sprechen.

Nachdem ich meine normalen Trainingseinheiten hinter mir hatte, legte ich mir meine Rüstung an und stapfte zielsicher in den Wald. Wenn man sich dort auf die Lauer legte, konnte man dort mit Glück ein waschechtes Monster finden und genau darauf hoffte ich. Obwohl die Rüstung schwer war und mich immer wieder nach unten zog, kletterte ich auf einen Baum, um einen besseren Überblick über die Lichtung zu haben, auf der ich gerade angekommen war. Mit viel Glück würde mir vielleicht sogar ein Höllenhund begegnen, das wäre zwar eine Herausforderung, aber auch eine super Übung.

Ich saß ganz still auf meinem Ast und wartete gespannt auf die ersten Anzeichen eines Monsters, als ich plötzlich ein Rascheln wahrnahm.  Äste knackten. Ein leises Schlurfen war zu hören. Das Rascheln wurde lauter und schien immer näher zu kommen. Endlich! Ein Monster. Das war meine Chance!

Leise erhob ich mich und drückte mich an den Baumstamm. Vorsichtig zog ich einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn an. Ich atmete tief ein, schob mich vor und schoss ab. Noch während ich den Pfeil losließ, wurde mir klar, dass das ein Fehler gewesen war. Was ich da vor mir hatte, war kein Monster.

Es war Asmo, der aufgeblasene Angeber aus der Poseidonhütte. Seine braunen Haare und die breite Statur hätte ich überall wiedererkannt. Schnell drückte ich mich wieder an den Baumstamm, hoffend, dass er mich nicht gesehen hatte. Denn so, wie ich ihn einschätzte, bedeutete das Ärger.

Einen Wimpernschlag später wurde mir klar, dass er mich sehr wohl gesehen hatte, denn ein Dolch traf, nur etwa zwei Handbreit von meinem Gesicht entfernt, den Baumstamm. Erschrocken zuckte ich zusammen, verlor kurz das Gleichgewicht, konnte mich noch fangen, wurde aber für Asmo deutlich sichtbar.

"Das ist aber nicht nett von dir, Verliererin", säuselte er in seinem nervigen Tonfall. Oh, wie ich es hasste, Verliererin genannt zu werden!

"Gerade wollte ich mich noch bei dir entschuldigen, jetzt tut's mir nicht mehr leid. Hat den Richtigen fast erwischt!", erwiederte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

"Kannst froh sein, dass ich es mit Pfeil und Bogen versucht habe und nicht mit einem meiner Dolche, der hätte sein Ziel nicht verfehlt. Dann wäre die Welt jetzt ein friedlicherer Ort!", zischte ich ihm noch entgegen.  Sein breites und ironisches Grinsen trieb heiße Wut in jede meiner Zellen.

"Natürlich, wenn du das sagst, Verliererin", grinste er.  Ich atmete tief durch. Dieser aufgeblasene Schnößel wusste es einfach nicht besser. Ich zog seinen Dolch aus dem Stamm, warf ihn mehrmals hoch und fing ihn wieder.

"Möchtest du den wieder haben?", fragte ich zuckersüß und setzte ein unschuldiges Lächeln auf, das selbst Aphrodite mir abgekauft hätte. Er nickte bloss und musterte mich dabei abschätzig. So ein Dreckskerl!
"Dann hol ihn dir doch!", rief ich nach unten und kletterte ein gutes Stück weiter nach oben und warf den Dolch noch höher in den Stamm, sodass er jetzt in gut 7 Metern Höhe steckte. "Höhenangst?", fragte ich unschuldig und sah lächelnd zu ihm herunter.

Er ballte kurz seine Hände zu Fäusten, doch statt dem Wutausbruch, den ich erwartet hatte, grinste er nur und klopfte an den Stamm. Was zum Hades...?

"Sehr geehrte Dryade, ich bitte vielmals um Verzeihung, aber meine Bekanntschaft hat meinen besten Dolch in Ihren Stamm geworfen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, ihn wieder zu bekommen. Ich werde Ihnen als Entschädigung einen Sack Bio Dünger zukommen lassen.", sagte er in einem sanften und freundlichen Tonfall, den ich noch nie von ihm gehört hatte. 

"Du hast ja wirklich Höhenangst!", rief ich nach unten und konnte mir mein Siegerlächeln nicht nehmen lassen. Ich hatte nur geblöfft.

"Und dann hat der Herr auch noch Ahnung von Bio Dünger", ich verschränkte die Arme und sah zu, wie der Baum scheinbar von selbst den Dolch aus dem Stamm spuckte und dieser genau in Asmos Hand landete.

"Das hattest du dir anders vorgestellt, was?", fragte er und sah mich überheblich grinsend an.

" Naja, schon allein, dass ich eine deiner Schwächen herausgefunden habe, ist ein echter Sieg!"

Schnell kletterte ich auf den benachbarten Baum, bevor die Dryade noch auf die Idee kommen könnte, dass ich Schuld an dem Dolchfiasko war.  So hatte ich auch einen besseren Blick auf Asmo. Er trug eine leichte Rüstung, die er wohl selbst schwarzgefärbt hatte. Scheinbar hatte er auch die Hälfte der Waffen des Camps dabei. Auf dem Rücken trug er zwei Schwerter, in seinem Gürtel steckten mehrere Dolche und außerdem hielt er einen Dreizack in der Hand, auf dem mein Blick haften blieb.

"Was machst du eigentlich mit deinem Dreizack hier? Willst du etwa fischen? Du weißt aber schon, dass Fische im Wasser leben, Aquaman."

"Och, vielleicht fische ich ja nach Damen", grinste er und besaß sogar die Frechheit, mit den Augenbrauen zu wackeln.

"Schon alleine für diesen Kommentar hättest du einen Dolch in deiner Männlichkeit verdient, aber meine Dolche sind mir zu wichtig, als sie für so eine Kleinigkeit zu verschwenden!"

Ein plötzliches Grollen aus dem Wald ließ mich meinen Blick von seinem Dreizack lösen. Gebannt schaute ich in den Wald, konnte aber nichts erkennen. Auch Asmo drehte sich um.
"Scheint, als würde ich Besuch anlocken..."

" Ja, Fisch riecht man schon aus weiter Entfernung",  ich grinste ihn herausfordernd an.
"Da du es angelockt hast, ist es dein Kampf. Alte ehrwürdige Regeln. Was wirst du jetzt tun? Kämpfen oder Fliehen?"

"Kämpfen natürlich!", knurrte er. "Oder hast du Angst, Verliererin?" Er wand seinen Kopf wieder mir zu und funkelte mich an.

"Angst habe ich nicht. Lebensmüde bin ich aber auch nicht.", gab ich ehrlich zu. "Aber es ist ja auch nicht mein Kampf. Ich werde hier sitzen bleiben und dir zusehen, wie du dein Monster fertig machst. Und falls es dich fertig macht, werde ich ihm applaudieren und mit dem Rest des Camps eine Party feiern",  erklärte ich, setzte mich hin und ließ meine Beine von dem Ast baumeln.

Das Grummeln wurde lauter, dann kam Ästeknacken dazu. Vögel flogen auf und etwas Großes schlurfte auf uns zu. Dannn brach es aus dem Geäst.

Es war der schrecklichste Anblick, der sich je in meinem Leben geboten hatte. Das Monster war gute drei Meter hoch und fünf Meter lang. Der Unterleib dieses Wesen war eine Schlange, der Oberkörper der einer Frau. Der Übergang zwischen Unter- und Oberkörper bestand aus einem Gürtel der mit vielen verschiedenen wilden Tierköpfen geschmückt war. Da waren Löwen, Tiger, Bären und viele andere Tiere, die ich gar nicht so genau erkennen konnte.

"Bei allen Göttern des Olymp", flüsterte ich. Selbst in meinen wildesten Albträumen, hätte ich mir nicht so ein Monster vorstellen können.

"Echidna", stieß Asmo nur hervor und klang dabei ernsthaft besorgt. "VERDAMMT! ICH WILL NICHT!" , schrie er frustriert. Langsam legte ich einen Pfeil an. War das nur eine Show, die er da abzog? So hatte ich ihn noch nie erlebt. Das passte nicht zum großspurigen Poseidonsohn.

Zwischen Olymp und HadesWhere stories live. Discover now