Kapitel 6

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Ich hatte die ganze Nacht nicht wirklich geschlafen. Diese Nähe war ich nicht gewohnt. Dazu kamen noch die Gedanken, die in meinem Kopf umhergeisterten. Was hatte er geträumt? Und viel wichtiger was hatte er erlebt, dass es ihn so fertig machte, dass er sich zu seiner Feindin ins Bett kuschelte?

Ein leises Rascheln verriet mir, dass er wohl aufgewacht war. Ich ließ meine Augen geschlossen, weil ich ihm nicht zeigen wollte, dass ich seinetwegen die ganze Nacht kein Auge zugemacht hatte. Die Matte der Pritsche neigte sich leicht, als er sich aufrappelte und sich dann auf seine eigene Matratze verkroch.

Ich drehte meinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung und öffnete die Augen. Einen Moment blieb ich so liegen und starrte nur auf die Wand vor mir. Wie sollte ich mich jetzt geben? Sollte ich so tun, als ob nichts gewesen wäre? Ihn darauf ansprechen wäre wohl keine sonderlich gute Idee, nachdem er gestern so allergisch auf meine Fragen reagiert hatte.

Seufzend setzte ich mich auf. Mit den Händen versuchte ich meine Haare ein bisschen in Form zu bringen, obwohl das vermutlich nicht wirklich etwas brachte. Während ich das tat, spürte ich seine Blicke auf jeder meiner Bewegung. Schließlich warf ich ihm einen kurzen Blick zu und stellte verwundert fest, dass er mich verlegen musterte. Diese Emotion war an ihm ganz neu. Ich hatte den Poseidonsohn in den letzten 24 Stunden von ganz neuen Seiten kennengelernt.

"Morgen", gähnte ich und fuhr mir über die Augen. "Gut geschlafen?"
Anstatt eine Antwort zu geben, überzog eine leichte Röte zuerst seine Wangen, dann kroch sie langsam seinen Hals entlang.

Als ich fragend die Augenbrauen hob, murmelte er schließlich: "Ja, hab ich".

"Das freut mich", erwiederte ich, streckte mich und stand auf. Die ganze Situation war merkwürdig. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich damit umgehen sollte. Neben meinem Bett stand ein Glas mit Nektar darin, also nippte ich daran. Auch Asmo griff nach einem Nektarglas und trank. Die Stille zwischen uns war so laut, dass sie in meinen Ohren dröhnte.

Um irgendwas zu tun, legte ich meinen Waffengürtel wieder an und setzte mich dann Asmo gegenüber auf meine Pritsche. Langsam hob er den Blick. In seinen grünblauen Augen tobte ein Sturm und für einen Moment glaubte ich, darin zu ertrinken.
"Willst du darüber reden?", fragte ich leise und gegen jede meiner Überzeugungen, aber ich konnte es nicht ertragen, wie er aussah. Ich machte mich auf einen Aggressionsausbruch seinerseits gefasst, doch lediglich eine Vase explodierte und das Wasser verteilte sich auf dem Boden vor der Fensterbank. Er schüttelte den Kopf und wand den Blick ab.

"Okay", ich zuckte mit den Schultern und zog meinen Dolch unter dem Kopfkissen hervor. "Ich such mal ein Apollospross, das mich entlässt und am besten auch nach deinen Verbänden schaut."

Ich steckte den Dolch zu den anderen in den Gürtel. "Apropos, wie geht es deinen Verletzungen?"

"Es geht", murrte er. "Such bitte auch einen, der mich entlässt."

Ich verschwand im Nebenraum, wo heute ein kleines, zierliches Mädchen Dienst hatte.

"Hey, wir würden gerne gehen", erklärte ich. Sie kam mit in den Schlafraum und untersuchte Asmo.

"Du solltest die nächsten Tage nichts zu anstregendes machen", befahl sie ihm und schaute mich dann an.

"Und du hast keine Verletzungen?", fragte sie mich. Schnell schüttelte ich den Kopf. Mir ging es gut und ich hatte absolut keine Lust, noch eine Sekunde länger hier zu bleiben.

"Na schön, dann könnt ihr gehen." Sie verschwand im Nebenraum.

"Soll ich dir bei irgendwas helfen? Deinen Waffen oder so?", fragte ich Asmo und nickte mit dem Kopf auf den Waffenhaufen neben seiner Pritsche. Er gab ein ruckartiges Nicken von sich, also machte ich mich daran, einige seiner Waffen zu schnappen.

"Ich hab Hunger. Du auch?", fragte ich ihn.
"Essen klingt gut", brummte er nur.
"Sollen wir zuerst deine Waffen in deiner Hütte ablegen oder Essen gehen?", ich schaute ihm direkt in die Augen, doch dieses Mal hob er den Blick nicht.
"Erst Essen"

Dieser wortkarge Asmo war mir irgendwie nicht geheuer. Während wir aus der Krankenstation liefen sagte er kein Wort, selbst dann nicht, als es nicht mehr weit zum Speisepavillon war, hatte er nicht einen Ton von sich gegeben. Ein leises Seufzen entwich mir.


"Weißt du, ich dachte ich mag deine vorlaute Seite nicht, aber dieser wortkarge Asmodeus gefällt mir noch weniger", ich schaute ihn von der Seite an. Seine Haut hatte an Farbe gewonnen, auch seine Lippen hatten wieder eine normalere Farbe, dennoch sah er alles andere als fit aus.

Er zuckte nur brummend mit den Schultern und betrat nach mir den Pavillion.
Ich wurde aus diesem Typen einfach nicht schlau! Erst kuschelte er sich nachts an mich, dann sprach er kein Wort mehr! War es ihm so peinlich? Aber dieses Schweigen machte es nicht besser. Ich spürte schon wieder leise die Wut in mir aufsteigen.

Ich schmiss seine Waffen auf die Bank am Poseidontisch und setzte mich selbst an den Niketisch, der nach meinem Geschmack viel zu nah am Poseidontisch stand. In Gedanken wünschte ich mir einen Schokopudding, der einen Moment später vor mir stand. Ein Stück löffelte ich ins Feuer.

"Für Nike und Poseidon, der mir seinen tollen Sohn geschickt hat.", brummelte ich ironisch. Es war gefährlich, beim Gebet so drauf zu sein, aber da mich ein paar Sekunden später kein Wirbelsturm oder Erdbeben umgebracht hatte, ging ich davon aus, dass Poseidon heute wohl seinen guten Tag hatte.
Mit einem letzten wütenden Blick zu Asmo setzte ich mich und begann stumm den Schokopudding in mich hinein zu schaufeln.

Zwischen Olymp und HadesOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz