1.5 Arschloch

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Gally führte mich schweigend über die Wiese in Richtung große Mauer. Dabei ging er so schnell, dass ich mich fast mehrmals hinpackte. "Warte doch mal!", rief ich und fing an zu rennen. Plötzlich blieb der Junge stehen. Ich konnte gerade noch reagieren und kam kurz vor ihm zum halten. 

"Wohin gehen wir?", fragte ich. Gally räusperte sich und setzte seinen Weg fort: "Wirst du sehen, wenn wir da sind". Ich seufzte und versuchte mit ihm Schritt zu halten. Das war nicht einfach, denn ich war ein gutes Stück kleiner als er.

An der Mauer angekommen erkannte ich in Stein gemeißelte Namen. Einige von ihnen waren durchgestrichen, während andere dies nicht waren. "Eine Namensliste?", stellte ich verwundert fest. Gally nickte stumm. 

Mein Blick schweifte über die Namen. Newt, Alby, Gally, Thomas, Teresa, und Ben waren einige von ihnen, wobei Ben durchgestrichen wurde. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als mir bewusst wurde, dass die durchgestrichenen Namen bereits Tot waren.

Ich sah den Jungen mit den geschwungenen Augenbrauen an: "Ich glaube, das ist keine gute Idee". Gally sah mich verwirrt an: "Was meinst du? Das ist Tradition". Ich sah wieder zu den Namen. "Ich verstehe... aber ich will kein Name an der Wand sein, der einfach durchgestrichen wird, sobald ich sterbe...".

Der Junge schnaufte: "Ich verstehe nicht. Auf diese Weise erinnern wir uns an alle bereits verstorbenen". Ich seufzte und fragte, mit was ich das bitte einmeißeln sollte. Er wühlte im Gras die Wand entlang, bis er schließlich einen Schläger und Messer rausholte und mir in die Hand drückte.

Ich setzte an der Wand an und bereits nach den ersten Schlägen spürte ich, wie mein Arm schmerzte. Dieser Schnitt tat echt extrem weh. Nach ein paar weiteren Schlägen schmiss ich den Schläger zu Seite und ritzte mit meinem gesunden Arm einfach den Rest meines Namens ein, bis ich fertig war.

Zufrieden trat ich ein paar Schritte zurück und begutachtete den krakeligen Namen. "So. Fertig. Bist du jetzt zufrieden?", grummelte ich an Gally gewandt. Dieser schmunzelte leicht. "Ich hätte dir auch helfen können". 

"Pfft...", schnaufte ich amüsiert, "Solange ich noch einen funktionierenden Arm besitze, kann ich das auch alleine und sieh doch: Es sieht doch gut aus". Ich beobachtete, wie Gally seine Stirn runzelte und nichts dazu sagte. 

"Wohin sollen die Sachen?", fragte ich und hob den Schläger auf. "Wir bringen das zu meiner Hütte und essen dann zu Mittag", erklärte Gally mir. Ich hüpfte wie ein Reh über die Wiese und erntete ein paar verwirrte Blicke der Anderen. 

Als wir in der Nähe von Gally's Hütte waren, sah ich Newt daneben Arbeiten. Als der Junge mein Hüpfen bemerkte, grinste er: "Du bist aber schnell wieder gut drauf". Ich gab Gally das Werkzeug und näherte mich dem Blondschopf. "Ja... naja, ich versuche das zu überspielen. Ich meine bei jemanden wie bei euch fühlt man sich sicherer, als alleine im Wald". 

Newt lächelte und stützte sich auf seinem Spaten ab: "Das freut mich wirklich zu hören. Setzt du dich beim Mittag zu uns? Ich will dir Thomas richtig vorstellen". Ich überlegte kurz. Gally musste heute schließlich auf mich aufpassen.

"Naja... okay", stimmte ich schließlich zu. Der Junge grinste noch breiter: "Großartig! Aber sag mal: du scheinst dich gut mit Gally zu verstehen. Ich dachte er sei ein Miesepeter". Ich schluckte und versteifte mich etwas. War es normal, dass ich mich nach der Rettung bei ihm einfach am sichersten fühlte?

Sagen würde ich das zwar keinem, aber dennoch.

"Nein, ich habe versprochen ihn nicht mehr so zu nennen und kommt schon: so schlimm ist er jetzt auch wieder nicht...", murmelte ich. Newt schnaufte amüsiert und wand sich wieder seiner Arbeit zu. Ich drehte mich um und wollte nachsehen, was Gally so lange brauchte, als er mit verschränkten Armen und hochgezogenen Augenbrauen bereits am Eingang lehnte.

𝙼𝚊𝚣𝚎 𝚁𝚞𝚗𝚗𝚎𝚛 1-3: 𝙽𝚎𝚠𝚝/𝙶𝚊𝚕𝚕𝚢 𝙵𝙵Where stories live. Discover now