41. Kapitel: Krabbelviecher

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CW Spinnen, Verletzung


Völlig perplex starre ich Claudia an, bis sie mit dem Kopf zur offenen Tür deutet und sagt: »Dany? Du sagtest doch, du hättest noch was vor.«
»Ich, ähm-«, stammle ich und stehe auf.
»Jetzt mach schon, Mädel, oder willst du hier Wurzeln schlagen?«, stöhnt Petrissa genervt und rollt mit den Augen.
»Ja, ich - gehe schon.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, so eingeschüchtert bin ich von den Schönheiten um mich herum. Sie starren mich an, als sei ich eine Aussätzige. Ich setze mich in Bewegung, stolpere dabei beinahe über meine eigenen Füße. Eines der Mädchen lacht laut.
Ich presse die Lippen zusammen und schiebe mich an den Mädchen vorbei. Claudia sagt nicht mal tschüss und knallt die Tür hinter mir zu.

Nachdem ich einen Augenblick einfach nur verwirrt dagestanden habe, schaue mich um, ob irgendwer diese Peinlichkeit beobachtet hat. Doch ich bin allein auf dem Flur. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich realisiere, was da eben passiert ist. Claudia hat ihren Freundinnen wohl nichts von mir erzählt. Sie hat mich hochkant rausgeworfen. Was soll das? Bin ich so unbeliebt, dass sie nicht zugeben möchte, dass wir uns gut verstehen? Oder liegt es viel mehr daran, dass sie nicht mit einer Frau gesehen werden will, weil man sie für eine Lesbe halten könnte? Ich schnaube und balle die Hände zu Fäusten. Was für ein schäbiges Verhalten! Haben May und Lis recht und Claudia ist wirklich kein guter Umgang für mich? Ist sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und lässt mich, wenn es darauf ankommt, fallen wie eine heiße Kartoffel? Wut steigt in mir hoch. Sie hat mich nur ausgenutzt, um ihre Neugier zu befriedigen und mit Frauen zu experimentieren. Gefühle hat sie keine für mich, weder freundschaftliche noch romantische. Diese Erkenntnis ist so bitter, dass ich mit der Faust gegen die Wand schlage. Ein stechender Schmerz fährt mir durch die Hand und ich jaule laut auf. Für einen Moment hoffe ich, dass Claudia das Poltern gehört hat und nach mir sieht. Doch ihre Zimmertür bleibt geschlossen. Eiskalte Enttäuschung legt sich um mein Herz und ich beiße so fest auf die Zähne, dass sie knirschen.

Ich weiß nicht, wie lange ich tatenlos auf dem Flur vor Claudias Tür stehe. Irgendwann wird mir bewusst, dass ich besser abhauen sollte, bevor ihre Jüngerinnen mich hier stehen sehen und am Ende noch glauben, ich würde ihre Anführerin stalken. Doch wohin soll ich gehen? In unser Zimmer will ich nicht. Ich habe Angst, dass meine Mitbewohnerinnen mir wieder Vorwürfe machen oder dumme Fragen stellen. Nach draußen in den Wald will ich auch nicht, da es in den letzten Tagen ziemlich frisch geworden ist. Nicht so gemütlich. Nach einigem Hin und Her entschließe ich mich, die Bibliothek aufzusuchen. Zwischen Büchern fühle ich mich wohl und vielleicht lenkt mich das Stöbern von meinen Problemen ab.


In der Schulbücherei ist nicht viel los. Zwei der drei Computer, an denen man kostenlos im Internet surfen kann, sind zwar besetzt und auch am Tisch im vorderen Bereich des Raumes sitzen ein paar Schüler, eingedeckt mit zahlreichen dicken Wälzern und Bildbänden, und diskutieren lautstark über den Zweiten Weltkrieg. Doch das sind die einzigen Besucher.
Frau Erler kommt zwischen den Regalen hervor, lächelte mir zu und sagt: »Hallo!« Diese kleine Geste der Freundlichkeit tut mir gut und ich bemühe mich, zurück zu lächeln und sie mit einem Kopfnicken ebenfalls zu grüßen. Über meine Lippen kommt kein Ton. Die Bibliothekarin geht zu einem Wagen, auf dem Bücher gestapelt sind, und räumt sie zurück in die Regale. Sie schnappt sich ein paar und verschwindet zwischen den Jugendratgebern.
Ich schlendere am Regal mit den Naturkundebüchern vorbei, werfe hier und da einen interessierten Blick auf die ausgestellten Werke und schnappe mir schließlich eines davon, ohne auf das Cover zu achten. Damit steuere ich auf die Sitzecke ganz hinten zu. Dort werde ich meine Ruhe haben.
Lautes Lachen dringt aus dem vorderen Bereich des Raumes zu mir durch. Ich zucke zusammen und habe Angst, dass die Schüler über mich gelacht haben. Schnell wird mir klar, dass sie mich ja gar nicht mehr sehen können, weil die Regale die Sicht verdecken. Ich gehe weiter zur Sitzecke. Enttäuscht stelle ich fest, dass diese bereits besetzt ist. Einige Bücherstapel und unordentliche Notizen sind über den Tisch verteilt. Ich will den Rückzug antreten und mir einen anderen Platz suchen, als Uli um die Ecke biegt.
»Dany! Schön dich zu sehen.« Er lächelt, setzt sich an den Tisch und rafft die losen Blätter zusammen, ehe er auf den Stuhl gegenüber von sich deutet. »Nimm doch Platz.«
Ich zögere. Eigentlich wollte ich ja alleine sein, aber auf der anderen Seite war es vielleicht auch ganz gut, mich mit einem Freund zu unterhalten. Allerdings sollte ich das Thema Claudia ihm gegenüber wohl besser nicht erwähnen. Uli schaut mich erwartungsvoll an und hält den Kopf schief. Er erinnert mich dabei an einen Hundewelpen. Süß und unschuldig. Vielleicht genau der richtige Gesprächspartner, um Claudias Aktion aus dem Kopf zu kriegen. Ich lasse mich auf dem Stuhl nieder und lege das Buch vor mir auf den Tisch.
»Ich wusste gar nicht, dass du dich für Krabbelviecher interessierst«, sagt Uli.
»Welche Krabbelviecher?«, frage ich und allein das Wort lässt meinen Puls in die Höhe schnellen. Mein Blick fällt auf das Buch, das ich mir gegriffen habe: »Das große Lexikon der Spinnentiere«. Auf dem Cover ist eine riesige Vogelspinne abgebildet. Ich schreie und stoße das Buch von mir. Es kracht gegen einen von Ulis Bücherstapel und rutscht mit diesem polternd vom Tisch.
»Hey, nicht die Bücher runterwerfen. Die sind geliehen«, bemerkt Uli mit einem Grinsen.
Vorsichtig schiele ich zu Boden. Das Lexikon ist aufgeklappt und zeigt Spinnen in sämtlichen Größen. Ich schaudere und halte mir die Augen zu. »Mach das weg!«, wimmere ich. »Bitte!«
Uli lacht. »Das sind doch nur Fotos. Ich kenne jemand, der hat zwei Taranteln und die hab ich schon auf die Hand-«
»Bitte, Uli!«, flehe ich. »Hör auf damit und schaff das Buch weg!«
Glucksend beugt sich mein Kumpel hinunter und hebt die Bücher auf. Ich starre gebannt in die entgegengesetzte Richtung. Mein Atem geht so schnell, dass mir schwindlig wird. Er hat recht, es sind nur Fotos. Aber allein diese lösen in mir eine solche Panik aus, als würde eines der achtbeinigen Monster tatsächlich vor mir über die Tischplatte krabbeln.
Uli gluckst noch immer, dann entfernen sich seine Schritte. Ich versuche, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Das Blut rauscht in meinen Ohren.
»So, die Spinnen sind weg.« Uli setzt sich wieder zu mir.
»Wirklich? Verarschst du mich auch nicht?«
»Das würde ich niemals wagen«, antwortet Uli und ich drehe langsam meinen Kopf in seine Richtung. Er hebt die Hände. Das Buch ist wirklich verschwunden. Erleichtert atme ich auf.
»Ach du Scheiße!«, ruft Uli und starrt mich erschrocken an.
»Was?«, quieke ich und in meinem Kopf formt sich der Gedanke, dass die fette Vogelspinne vom Buchcover auf meiner Schulter sitzt.
»Was ist denn mit deiner Hand passiert?«
Mein Herzschlag beruhigt sich. »Ach so. Die hat vorhin die Wand geküsst.«
»Sieht schlimm aus.«
Er hat recht. Sie weist sämtliche blaue Flecke auf und die Knöchel sind leicht geschwollen.
»Du solltest damit zur Krankenstation.«
»Ach, das ist bis morgen bestimmt wieder gut.«
»Beweg mal die Finger. Tut das weh?«
Ich mache, was Uli sagt, und fahre vor Schmerzen zusammen. »Fuck!«, rutscht es mir heraus.
Uli steht auf. »Krankenstation. Jetzt!«, sagt er und sein strenger Blick lässt keine Widerrede zu.


»Und? Wie schlimm ist es?«, frage ich die Schulkrankenschwester, Frau Zadek.
»Das kann ich so nicht sagen. Man müsste es röntgen lassen, um sicher zu gehen, dass nichts gebrochen ist. Wie ist das eigentlich passiert?«
Meine Wangen glühen vor Scham. »War ein Unfall«, murmle ich.
Glücklicherweise bohrt Frau Zadek nicht weiter nach. Stattdessen wendet sie sich an Uli, der in der Ecke auf einem Stuhl sitzt und mich besorgt betrachtet. »Ulrich, würdest du mit deiner Klassenkameradin in die Notaufnahme fahren? Ich rufe euch ein Taxi. Aber ich will nicht, dass sie ganz alleine dorthinfährt. Ich kann auch Herrn Siebling fragen, ob er Zeit hat.«
Uli winkt ab. »Nein, kein Problem. Ich kann sie begleiten.«
»Das ist lieb.« Frau Zadek geht zu dem leise surrenden Kühlschrank und holt einen Eisbeutel aus dem Gefrierfach. Sie schlägt ihn in ein kleines Handtuch ein und reicht ihn mir. »Die Kälte hilft gegen die Schwellung«, sagt sie.
Ich zucke bei der Berührung mit dem Eis zusammen. Nicht nur wegen der Temperatur, sondern auch, weil es wehtut.
»Dann zieht euch schnell was über und macht euch bereit. Ich rufe in der Zwischenzeit das Taxi.« Frau Zadek setzt sich an ihren Schreibtisch und hebt den Hörer des Telefons ab.
Ich lasse mich von der Liege gleiten und folge Uli, der mir wie ein echter Gentleman die Tür aufhält, auf den Flur.


Freche Mädchen küssen besser (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt