Gedankenspielereien

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Eine kühle Brise zog über das Land und ließ sowohl die sprießenden Blätter als auch die keimenden Knospen der Bäume sanft auf- und abtanzen, wobei die freigesetzten Pollen im Schutz der Dunkelheit für das menschliche Auge verborgen blieben. Die dunkle Wasseroberfläche kräuselte sich und die Wellen breiteten sich großräumig über den See aus. Die Spiegelung des Mondes und die der vereinzelten Sterne waren nun verzerrt, während die Ausläufe der Strömung Livias Knöchel erfassten und mit sanfter Gewalt unregelmäßig gegen ihre Beine schlugen.

Die schlanken Finger der jungen Frau ruhten weiterhin auf dem breiten Oberkörper des Vampirs, wodurch sie dessen unregelmäßige Atmung und die zunehmende Verformung der Brustmuskulatur unterhalb des leicht angerauten Baumwollstoffes fühlen konnte. Die Finsternis der Nacht verhinderte ihr den uneingeschränkten Blick auf Dettlaff, dennoch konnte Livia erkennen, dass dessen Kin nun deutlicher spitzer zulief, während die Wangenknochen dominant hervortraten. Bedrohliche Fangzähne wurden vom matten Licht des Mondes erhellt, die Augenhöhlen lagen merklich tiefer, was ihn noch animalischer erscheinen ließ.

Die junge Frau nahm, soweit es die Lichtverhältnisse zuließen, das Gesicht des Vampirs in seiner Gänze auf. Es war anders. Es war furchterregend. Es war bestialisch. Es war fremd. Doch die nun auffällig weißen Augen spiegelten eine fast schmerzhaft anmutende Sehnsucht wider und Livia spürte, wie sich bei diesem Anblick ihr Brustkorb vor Mitgefühl zusammenzog und ihr der Atem stockte. Noch nie war ihr ein derart emotionales Wesen begegnet, dass weder Verrat noch Täuschung kannte. Auf der Suche nach wahrhaftiger Zuneigung, sich selbst als Monster betrachtend, während die eigene Hoffnung Glückseligkeit zu finden stetig abnahm.

Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg entlang einer der geröteten Wangen der jungen Frau herab, ehe sie für einige Augenblicke an Livias schmalem Kinn verharrte, sich von der glatten Hautoberfläche löste und nahezu lautlos mit dem See verschmolz. Statt vor ihm zurückzuweichen, presste die junge Frau ihren Körper noch mehr an den des Vampirs, wodurch sich die Fasern seiner Tunika flächendeckend dunkel verfärbten, als diese in Kontakt mit Livias durchnässtem Kleid kamen. Dettlaffs Augen verengten sich und Livia meinte Unsicherheit in ihnen aufblitzten zu sehen. Dieses Wesen schien ausschließlich aus Gegensätzen zu bestehen. Stark und schwach. Einfühlsam und egoistisch. Selbstlos und fordernd.

Livia brach zu keinem Zeitpunkt den Blickkontakt, während sie langsam eine ihrer Hände, über die weiche Oberfläche der roten Tunika hochgleiten ließ. Als ihre schlanken Finger die freiliegende Partie seines Halses erreichten, sog der Vampir scharf die Luft durch die breite, mit Falten überzogene, Nase ein. Seine Haut fühlte sich fest und doch zu einem gewissen Grad weich an. Vereinzelte Adern traten nun verstärkt hervor und pochten in einem unnatürlich schnellen Rhythmus. Livia meinte, Dettlaffs Puls nicht nur auf der ledrigen Haut spüren, sondern auch hören zu können, oder verwechselte sie diesen mit ihrem eigenen? Sie hatte das Gefühl mit ihm eine Einheit zu bilden und empfand den unersättlichen Drang nach mehr, das unterschwellige Summen, welches stetig in ihrem Kopf zunahm, ignorierend. Lediglich ihre kalten Fingerkuppen berührten die erhitzte Haut des Vampirs, doch dessen Wärme schien bis in ihr Innerstes vorzudringen, die umgebende frische Frühlingsnacht und die durchnässte Kleidung waren nicht von Bedeutung. Langsam wanderten Livias Finger weiter, ehe sie an der markant ausgeprägten Wange innehielt und diese mit ihrer kompletten Handfläche umschloss.

Dettlaff atmete hörbar ein, bevor er mit fest geschlossenen Augen seinen Kopf zurückwarf und ein lautes Stöhnen von sich gab, während sich sein Körper bebend gegen ihren presste. Livia bemerkte, dass die Tonlage des Vampirs nun noch tiefer als üblich war, doch ihre Gedanken wurden schlagartig unterbrochen, als er sich zu ihr herabbeugte, die Schultern der jungen Frau umfasste und sanft ihren Hals liebkoste. Dettlaffs Lippen waren nun deutlich schmäler und fühlten sich unnachgiebig fest auf ihrer kalten Haut an. Sie berührten eine empfindliche Stelle, knapp unter dem Ohrläppchen, während Livia zusätzlich die Spitzen seiner Fangzähne spüren konnte. Ihr Körper reagierte autonom auf diese Annäherung und veranlasste sie, ihre Hände in Dettlaffs samtige Haare fahren zu lassen und sich in diesen festzukrallen, während der dominante Geruch von Tonkabohnen die nähere Umgebung erfüllte und ihre Sinne regelrecht überflutete. Die Küsse waren im Gegensatz zu seinem bestialischen Erscheinungsbild federleicht und zärtlich. Ein lautes Aufkeuchen entwich der jungen Frau, als seine Lippen von ihr abließen und kurz darauf von dessen warmer Zunge ablöst wurden, wobei sich sein Griff an ihren Schultern verstärkte. Die messerscharfen Enden seiner Klauen berührten kaum merklich die Stoffpartie an ihrem Hintern, während der Vampir mit seiner weichen Zunge langsam ihren langen Hals hinabfuhr und an ihrem Schlüsselbein innehielt.

Witcher - Motten fühlen sich vom Licht angezogenWhere stories live. Discover now