Drohende Schatten

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Ich genieße meine Semesterferien in vollen Zügen und schaffe es etwas mehr zu schreiben ! Nun habe ich bereits 9 Kapitel verfasst und es endlich geschafft mit der eigentlichen Handlung zu beginnen :D !!!! Wuhuuuuuuuuuuuu! Ich wünsche euch wie immer ganz viel Spaß beim Lesen und würde mich über Kommentare und Sternchen wie ein Flöckchen freuen <3

Eure Salaka-chan


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Drohende Schatten


Als sie der Ritter mit gelangweiltem Gesichtsausdruck anhielt, war Livia dank Regis bereits auf die kommende Situation vorbereitet. Der Mann passte mit seinem leicht ungepflegten Äußeren und den dicken Backen perfekt in das heruntergekommene Hafenviertel von Beauclair. Da ihr Heimatdorf ausschließlich von Feldern umgeben war, stach ihr der penetrante Fischgeruch umso mehr in der Nase.

„Halt! Zutritt in dieses Gebäude erhalten ausschließlich Kaufinteressenten mit berechtigtem Interesse."
Die Alchemistin nickte wissend und blickte dem Ritter selbstbewusst in die Augen, was diesen sichtlich beeindruckte. „Ich bin mir dessen Bewusst, dennoch vielen herzlichen Dank für den Hinweis. Mein Name lautet Livia Moreau und ich bin eine angehende Alchemistin aus Francollarts. Ich spiele mit dem Gedanken das Geschäft meiner Eltern zu expandieren und möchte mir deshalb sehr gerne diese Immobilie näher ansehen."

Er musterte sie abschätzend und schien erst von diesem Zeitpunkt an zu bemerken, dass sie trotz ihrer Statur und Körpergröße kein Kind, sondern eine junge Frau war. Sie versuchte mit dem äußerst selbstbewussten Auftreten ihre Erschöpfung zu überspielen und ermahnte sich im Geiste in ihrem restlichen Dasein nie wieder eine Flasche Alkohol anzurühren. Dank dem Trank „purgatio" des Vampirs, wurde der Großteil des Kollateralschadens ihres Besäufnisses abgeschwächt und übrig blieben lediglich seichte Kopfschmerzen. Vor ihrem Abschied hatte Regis ihr mehrmals versichert, dass sie am vergangenen Abend weder etwas unüberlegtes geäußert noch peinliche Taten begangen habe. Es war das erste Mal, dass sie keinerlei Erinnerungen an einen vergangenen Abend hatte und dies sollte das erste und zugleich auch das letzte Mal gewesen sein.

„Beauclair verfügt bereits über durchaus fähige Alchemisten. Weshalb sollten die Leute eine Fremde aufsuchen?"
Livia zog missgelaunt ihre Stirn in Falten und warf dem Rittersmann einen vernichtenden Blick zu, was ihren Gesprächspartner dazu veranlasste unruhig mit den Füßen zu scharren. „Gelegentlich braucht es etwas frischen Wind, um die Leute weiter voranzutreiben und ich würde gern mein Glück hierbei versuchen. Alteingesessene Alchemisten bleiben ihren alten Konventionen treu und weichen ungern auf neue Methodiken aus. Ich hingegen ziehe die Moderne vor und möchte das Handwerk der Alchemie weiter vorantreiben. Hierfür wäre es nicht schlecht, wenn ich durch Kundschaft mehr Erfahrung in diesem Gebiet sammeln könnte und mich zugleich in der Hauptstadt befände, wodurch ich meine neuesten bahnbrechenden Erkenntnisse mit den Forschern zu teilen im Stande wäre."

Ihre äußerst plumpe, dennoch recht hochgestochene Rede schien die geistigen Kapazitäten des etwas moppeligen Mannes zu übersteigen. Als sie endete, wartete dieser noch ein paar Sekunden, um sicher zu gehen, dass nichts weiter folgen würde und räusperte sich letztendlich verlegen. „Nun gut. Wie ich sehe besteht ein berechtigtes Interesse Mademoiselle ....."
„Moreau.", erwiderte Livia genervt mit zusammengekniffenen Augen.

Der Bewaffnete zeigte den Ansatz einer kleinen Verbeugung. „Natürlich, Mademoiselle Moreau."
Als Livia ihren Weg fortsetzten wollte hielt der Ritter sie erneut mit einer Handbewegung auf und sie konnte sich eines genervten Aufstöhnens nicht erwehren.

„Verzeihung. Sie haben bestimmt mitbekommen, was vor einigen Tagen hier geschehen ist." Es handelte sich hierbei um eine rhetorische Feststellung, denn er wartete ihre Reaktion nicht ab und fuhr fort. „Dieses Gebäude stand seit geraumer Zeit leer, da der Vorbesitzer nicht imstande war, die laufenden Kosten des Geschäfts zu decken. Diesen Umstand nutzte ein Vampir aus und hauste ungestört in diesem Gebäude. Wahrscheinlich dachte er sich in diesem Gemäuer den wahnsinnigen Plan aus, Beauclair zu zerstören. Tja!" Er klopfte sich mit einem breiten Grinsen gegen die Brust. „Er hat nicht mit den fähigen Rittern von Toussaint gerechnet. Glauben Sie mir, der wird sich so schnell nicht mehr blicken lassen! Um jedoch zu verhindern, dass gleich eine weitere Monstrosität in Beauclair einzieht, muss ich noch einen kleinen Test an Ihnen durchführen."

Livia wusste nicht, was sie mehr beeindrucken sollte. Die nahezu endlos anmutende Dummheit dieses Mannes oder dessen ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Ehe sie zu einem bissigen Kommentar ansetzten konnte bespritzte der Soldat sie mit einer klaren kalten Flüssigkeit. Normalerweise wäre dies der Punkt gewesen, an welchem sie sich schreiend wie eine Furie über diese nervige Seele hergemacht hätte, doch wie der Zufall es wollte, rette der selbstgebrannte Schnaps einer „Monstrosität", vielmehr dessen Nebenwirkung, diesem unfähigen Individuum das Leben. Ihre Finger zitterten leicht, als sie sich die Tropfen von ihrem Gesicht wischte und ihre Stimme nahm einen tiefen Unterton an als sie in gemäßigter Lautstärke sprach. „Könnten Sie mir bitte erklären was diese Scheiße soll?"

„Mit Verlaub, es ziemt sich nicht bereits als junges Fräulein solche Worte zu benutzen. Ich habe Sie mit Weihwasser bespritzt, um Ihre Menschlichkeit festzustellen. Als zweiten und zugleich letzten Test berühren Sie bitte diesen Dolch."
Er reichte ihr einen Silberdolch und sie ergriff diesen mit dem Hintergedanken, falls die Kopfschmerzen dank dieses Idiots weiter zunehmen sollten, animalische Laute von sich zu geben. Wenn sie Glück hatte, konnte sie ihn dermaßen verschrecken, dass er sich in die Rüstung pissen würde. Letzten Endes siegte die Vernunft und sie gab die Waffe schweigend dem Besitzer zurück. Er trat zufrieden auf die Seite und ließ sie passieren.

Bevor sie das Haus betrat, musterte sie das äußere Erscheinungsbild. Obwohl es seit geraumer Zeit leer stand, sah es von außen nicht sonderlich heruntergekommen aus. Ihr gefiel das Schild am Eingang mit dem Schaukelpferd und der Aufschrift ‚Das Schaukelpferd - Spielzeug und Vergnügungen'. Die Farben auf dem Holz des Aushangs waren bedingt durch das Sonnenlicht verblichen, dennoch hatte es einen gewissen Charme. Dasselbe galt für die rote Farbe des Gebäudes. In mäßigem Tempo schritt sie die Stufen zum Eingang hinauf und öffnete die Tür.

Es überraschte sie nicht sonderlich, dass die angebotenen Spielsachen weiterhin in den Regalen standen. Eine dicke Staubschicht lag auf den Gegenständen und den Auslagen des Geschäfts. Livia schritt vorsichtig durch den Gang bis sie am Fuße einer Treppe angelangte. Ein mulmiges Gefühl beschlich die junge Alchemistin, als sie die abgenutzten Stufen nach oben Schritt. Als erstes fiel ihr das Gemälde einer Frau an der Wand unterhalb der runden Fensteröffnung auf. Sie war wunderschön und ihre Augen leuchteten voller Leben, während die Lippen ein süßes einnehmendes Lächeln preisgaben. Unbändige Wut ergriff Livia, bei dem Anblick dieses Abbilds. Man konnte die romantischen Gefühle und die Sehnsucht des Künstlers erkennen, nahezu fühlen, wäre in ihrem Hinterkopf nicht das störende Wissen des wahren Charakters dieses Modells. Jeder hat seine Laster und muss mit diesen Leben, dennoch steht es jedem frei, den Weg zu beschreiten welchen man für den Richtigen hält. Syanna hatte sich entschieden ihr Leben der Rache zu widmen und schreckte vor keiner Abscheulichkeit zurück, um diese zu verwirklichen. Sie war ein MONSTER.


Sie würde sich bei Dettlaff für ihr Verhalten entschuldigen und ihm zeigen, dass nicht alle Sterblichen vollkommen verdorben waren. Als die Blondhaarige den restlichen Raum erkundete fand sie auf dem Arbeitstisch diverse Werkzeuge zum Instandhalten von Spielsachen. Sie vergewisserte sich, dass der Ritter ihr nicht gefolgt war und packte mit flinken Bewegungen alles in ihren Beutel, wobei ihr ein Brief am Taschenboden auffiel und sie sich dunkel daran erinnerte, diesen von Regis erhalten zu haben. Nachdem sie das gesamte Werkzeug eingesackt hatte, ließ sie sich auf dem Bett nieder und bemerkte mit großer Überraschung das Ausbleiben einer Staubwolke. Der höhere Vampir musste sich hier einige Male hingelegt haben.
Livia konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie die Angst und Ungewissheit den ungeduldigen Vampir langsam, aber stetig zermürbt hatten.

Wie oft war er in diesem Bett gelegen und hatte über sein weiteres Vorgehen nachgedacht? Wie oft brachte ihn der Kummer um seine Liebste an den Rand der Verzweiflung? Wie oft hatte er die Spielzeuge bearbeitet und instandgesetzt, um sich selbst für einen kurzen Zeitraum von der Realität abzulenken?

Ihre Gedankenspirale endete mit der letzten zentralen Frage: Konnten Vampire weinen?

Es stand außer Frage, dass diese Wesen im Stande waren Gefühle zu empfinden und dennoch konnte sie sich diese Situation nicht vorstellen. Dieses Verhalten erschien ihr zu ..... menschlich. Zu schwach für ein derart mächtiges Wesen. Doch falls dem so war, wie ging man dann mit der Trauer um? War die nächstnaheliegende Alternative die Zerstörung? Ein schleichender Übergang von einem Extremen ins Andere?

Die nachdenklichen Falten auf ihrer Stirn wurden noch tiefer beim Lesen des Briefs. Der Inhalt war, trotz der ordentlichen und schön geschwungenen Handschrift, für die junge Frau völlig absurd und auf keinen Fall in der Realität umsetzbar. Das wollte sie sich zumindest einreden, doch eine verräterische Synapse in den Weiten ihres Verstandes begann bereits hinterhältig mit der Planung für die kommenden Tage. Als sie die knarzende Treppe wieder hinabstieg zierte ein buschiger Bart Syannas Gesicht und Livia summte vergnügt vor sich hin.

Strahlender Sonnenschein empfing sie beim Verlassen des ehemaligen Spielegeschäftes als der nervige Ritter erneut in ihr Blickfeld geriet. Sie zuckte genervt mit einem Auge, nachdem sie die Situation, welche sich vor ihr abspielte, erfasst hatte. Vor diesem ehrbaren Idioten stand eine schlanke Frau mit drallen Brüsten, welche durch einen gewagten Ausschnitt, besonders auffallend zur Geltung kamen. Bereitwillig erzählte er ihr alles Wichtige über den Zustand der Immobile und auf welche Eckdaten zu achten war. Livia erkannte, dass bei dieser aufreizenden Interessentin kein Testverfahren durchgeführt werden würde, um sie auf „Menschlichkeit" zu überprüfen. Verärgert schob sie ihr Kinn vor und murmelte: „Dafür wird dieser moppelige Tölpel bezahlen. Niemand legt sich ungeschoren mit mir an."

Mit gemäßigtem Schritttempo lief die junge Frau an den beiden vorbei und konnte nach ein paar weiteren Schritten dem Kichern der Dame entnehmen, dass ihr Plan aufgegangen war. Mit flinken Fingern verstaute sie nun das leere Trankfläschchen von Regis unter ihrem Hemd und wagte einen Schulterblick zum Spielzeugladen. Der Ritter betrachtete mit fassungslosem Blick die vereinzelten Tropfen auf seiner Rüstung und die gelbe Lache, welche sich direkt unter ihm befand. Er nahm nach kürzester Zeit einen ungesunden, roten Hautton im Gesichtsbereich an. Ein schadenfrohes Grinsen machte sich auf ihren Lippen breit und sie öffnete mit einer fließenden Bewegung den Zopf, wodurch ihre langen Haare geschmeidig an ihrem Körper entlangwogten. Die Szene schien sich zuzuspitzen, da auch einigen Kindern dieser Streich nicht entgangen war. Das Grölen und Kreischen war Livia Applaus genug und als weitere Passenten das vermeintliche Malheur des Ritters bemerkten, fing die junge Frau an dümmlich loszulachen. DAFÜR ertrug sie nun nur allzu gern ihren Kater.


Sie suchte noch einige Geschäfte auf, ehe sie die Stadt verließ, um den Rückweg nach Francollarts anzutreten. Es war bereits später Nachmittag und auf den Straßen befanden sich kaum noch Reisende. Ohne ein Pferd dauerte der Weg knapp 2 Stunden, weshalb sie sich einen Seufzer nicht verkneifen konnte.

Am Rande eines Sonnenblumenfeldes fiel ihr aus der Ferne eine große hagere Gestalt auf. Sie war dunkel gekleidet und bei genauerem Betrachten entpuppte sich diese als ein Gelehrter. Die schwarzen, zurück gekämmten Haare und die minimalistische Brille verliehen dem Mann etwas vogelartiges. Als sie an ihm vorbeischreiten wollte räusperte er sich und rückte seine Brille gerade. „Entschuldigen Sie bitte junge Mademoiselle."
Livia hielt inne und blickte ihn misstrauisch an. „Ich bin ein Forscher auf der Durchreise und suche nach einer günstigen Übernachtungsmöglichkeit."

Der Alchemistin entging nicht, dass der Mann keinerlei Gepäck bei sich trug und kaum wie ein Reisender wirkte. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich ehe sie ihm mit abweisendem Tonfall entgegnete:
„Vor Euch befindet sich eine große Stadt. Mit Sicherheit findet Ihr dort eine passende Unterkunft für die Nacht. Falls Eure Geldmittel nicht ausreichend sein sollten, wird es auch eine Bank tun. Die Wachen patrouillieren in regelmäßigen Intervallen, was den aktuellen Geschehnissen zu verdanken ist."

Der kurze, kalte und durchdringende Blick ließ Livia zusammenzucken, ehe sich ein breites Lächeln in dem blassen Gesicht abzeichnete. „Ah ja. Selbstverständlich. Ich hätte mich präziser ausdrücken sollen." Er verbeugte sich tief vor der jungen Frau ehe er fortfuhr. „Meine Reise startete in Beauclair und soll nun quer durch das Land führen. Ich beschäftige mich insbesondere mit der einfachen Gesellschaftsschicht und deren Umgang und Anwendung von naturwissenschaftlichen Verfahrensweisen."

Livia legte ihren Kopf schief. „Sprich, Ihr untersucht welche Dünger die Bauern verwenden und welcher Ertrag darauf entsteht." Als er sich erneut demütig vor ihr verneigte und sie anlächelte, gelangte Livia zu der Überzeugung, dass der erste Eindruck nicht immer der richtige sein musste. Sie wollte Dettlaff noch ein paar Tage Zeit geben, damit dieser seine Gedanken sortieren und sie sich eine angemessene Entschuldigung überlegen konnte. Ihr Ziel war es, ihm zu zeigen, dass nicht alle Menschen gleich sind. Wenn man jemanden jedoch ändern möchte, sollte man auch die Bereitschaft haben sich selbst zu ändern. Ihr wunder Punkt war die Interaktion mit Männern. Dies war die beste Gelegenheit, um den Grundstein zu legen. Sie erwiderte zaghaft sein Lächeln und fuhr fort. „Ich komme aus Francollarts. Unser Dorf hat sich auf Viehzucht und Ackerbau spezialisiert, wenn Ihr möchtet können wir gemeinsam den Weg gehen. Dort gibt es auch eine Schenke mit günstigen Fremdenzimmern und hervorragendem Essen."

„Meinen herzlichsten Dank. Mir scheint, dass Schicksal ist mir wohlgesonnen, Euch als meine Begleitung zu bestimmen."
Auf diese übertriebene Lobpreisung konnte sich Livia das Lachen nicht mehr verkneifen und hielt dem Mann ihre Hand hin, welche dieser mit festem Griff umfasste.
„Ich heiße Livia Moreau und Ihr?"
„Sebastion Morel. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen."

Anfangs unterhielten sie sich allgemein über Toussaint und die wundersamsten Ecken dieses Landes, während sie von blühenden Feldern umgeben waren. Da Livia in ihrem Leben noch nicht weiter als zwischen Francollarts und Beauclair gereist war, hörte sie eher Sebastion zu und stellte gelegentlich eine Zwischenfrage. Sie versuchte sich die geografischen Lagen der erstaunlichsten beschriebenen Orte ohne eine vorhandene Karte zu merken und wenn die Zeit gekommen war, einen kleinen Ausflug in diese Gebiete zu unternehmen. Vielleicht könnte sie einen gewissen zurückgezogenen Vampir davon überzeugen, die Reise gemeinsam mit ihr anzutreten, immerhin würden sie in der Wildnis kaum auf andere Menschen treffen.

Nach einiger Zeit wechselte der Wissenschaftler das Gesprächsthema und fragte Livia über ihren Alltag und Beruf aus. Seine Lobpreisungen über ihr Interessensgebiet schmeichelten ihr und nach einiger Zeit fragte auch sie ihn über sein alltägliches Leben aus.

„Nun", bildete sie sich das ein oder wurde die Stimme ihres Gesprächspartners etwas kühler? „Wie bereits am Anfang erwähnt, befasse ich mich mit der Anwendung der Wissenschaften im Alltag. Doch es wäre äußerst fade, ausschließlich eine Disziplin zu erforschen, nicht wahr?" Livia blinzelte lediglich, und blickte Sebastion fragend an. „Eine durchaus interessante Thematik, welche jedoch äußerste Vorsicht erfordert ist die Erforschung der - divinitus electus sanguis excogitatoris-.", wobei er den Fachbegriff äußerst gedehnt aussprach und seinen Blick nicht von ihr abwandte.

„Hä?" Sie legte ihren Kopf schief und schaute ihren Gesprächspartner ratlos an.

Er schien nicht mit dieser Reaktion ihrerseits gerechnet zu haben, da er einige Sekunden brauchte, um sich zu fangen, und anschließend sein lautstarkes Lachen nicht unterdrücken konnte. „Verzeiht mir bitte. Ich wollte Euch nicht mit dieser Aussage verwirren. Ehrlich gesagt, habe ich mit einer gänzlich anderen Reaktion gerechnet."

Die Falten auf ihrer Stirn wurden immer tiefer, während sie mit ihrer spärlichen Fremdsprachenkenntnis versuchte, den genannten Begriff zu übersetzten. Lediglich sanguis konnte sie aus dem Stehgreif übersetzten. Blut. Doch Blut von was und in welchem Zusammenhang?

In Gedanken vertieft bemerkte sie nicht die Abwesenheit von Sebastion. Der Schlag von hinten kam unerwartet und ehe der Schmerz einsetzen konnte umgab sie schützend die lähmende Finsternis.






Als ihr Bewusstsein wieder in die Realität zurückdrang überkam sie schmerzhaft eine bittere Erkenntnis. Sie wollte sich ändern und männlichen Wesen ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringen. Das Resultat war unbestreitbar phänomenal. Erging es Dettlaff mit ihr genauso?

Als zweites bemerkte sie den Sonnenuntergang und die langen Schatten, welche die Ruine über das Moor warf. In der Ferne vernahm sie einige Männerstimmen, wobei sie den Inhalt der geführten Gespräche, bedingt durch das erst kürzliche Erwachen, nicht gänzlich verstehen konnte. Einige hatten einen Akzent und benutzten ziemlich viele rohe Ausdrücke.

Livia wollte sich auf den Rücken drehen, als sie bemerkte, dass ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Ihr Atem beschleunigte sich mit jeder verstreichenden Sekunde, während der Adrenalinschub die hämmernden Kopfschmerzen in den Hintergrund verdrängte. Was wollten diese Männer von ihr? War die Entführung Zufall oder im Vornherein geplant? Sebastion, er war nicht nur wie ein Gelehrter gekleidet, sondern drückte sich auch wie einer aus. Das konnte nicht alles gespielt sein. Steckte er hinter all dem? Wenn nicht, war er vielleicht auch ein Gefangener und sie konnte zusammen mit ihm einen Fluchtplan ausarbeiten?

Mühsam hob sie ihren Kopf und sondierte die Lage. In der nächsten Sekunde verfluchte sie sich innerlich für diesen Schritt, als sie einem muskelbepackten Mann, welcher einige Schritte entfernt auf einem Schemel saß, in die hinterhältigen Augen blickte. Der Sitz knarzte als sich der Söldner mit seiner schweren Montur erhob und mit einer unerwarteten Geschwindigkeit die Distanz zwischen ihnen verringerte. Kurz vor ihr ging er in die Hocke und warf ihr einen höhnischen Blick zu. „Na mein Täubchen? Gut geschlafen?" Dabei fuhr er mit seinen dicken Fingern über ihre Lippen. In Schock und ohne einen weiteren Gedanken auf die Konsequenzen zu verschwenden, biss sie zu. Ihr Gegenüber fluchte gotteslästerlich und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Die Wucht des Schlages ließ ihren Kopf auf den Boden aufprallen und sie glaubte kurzzeitig wieder das Bewusstsein zu verlieren.

Die Auseinandersetzung blieb nicht unbemerkt und Livia sah aus den Augenwinkeln eine bekannte Gestalt hervortreten. Sie verzog angewidert ihre Lippen. „Ist das die Art von Wissenschaften, welche du im gemeinen Volk untersuchen möchtest?"

Das Lächeln auf Sebastions Gesicht blieb aus. Anstatt etwas zu erwidern schritt er auf den Hünen zu, welcher sich noch immer in der Hocke befand und trat diesem mit überraschender Kraft ins Gesicht, sodass dieser schreiend zu Boden ging. Mit unnatürlicher Ruhe setzte Sebastion an: „Sag mir, was war unsere Abmachung?" Er wartete die Reaktion des anderen jedoch nicht ab und trat erneut zu. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah Livia, wie der Gelehrte einen Dolch zückte und dem verdutzten Söldner mehrmals zwischen die Augen schlug. Das Blut spritzte bei jedem weiteren Stoß in hohen Bahnen in alle Richtungen, weshalb ihr Gesicht auch etwas davon abbekam. Unter Schock stehend brachte sie keinen Laut hervor und konnte sich nicht von der grausamen Szene abwenden. Die anderen Männer innerhalb der Hanse mussten den Vorfall mitbekommen haben, mischten sich jedoch nicht ein.

Als Sebastion den blutverschmierten Dolch mit dem Innenleben seines Wamses abwischte wandte er sich Livia zu und sprach mit seliger Ruhe weiter. „Bitte verzeiht mir. Ich fürchte, dass meine Manieren nach längerem Beisammensein mit diesem Pöbel etwas nachgelassen haben, doch ich versichere euch, dass dies nicht erneut geschehen wird."

Er trat aus ihrem Sichtfeld und blieb hinter ihr stehen. Sie bemühte sich ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen, was sich jedoch als ein Ding der Unmöglichkeit herausstellte. Dieser Mann war unberechenbar! Er war wahnsinnig! Ein Irrer, der sich hinter der Fassade eines Wissenschaftlers versteckte! Die Berührung von kaltem Stahl an ihrem Handgelenk ließ sie in ihrem Gedankenchaos innehalten. Sie hörte wie etwas durchtrennt wurde bevor Sebastion erneut vor sie trat.

Er hielt ihr seine Hand entgegen, welche sie, ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden ergriff. Ihre Handgelenke wiesen rote Striemen auf und ihre Bewegungen fielen bedingt durch die Fesseln äußerst steif aus. Sebastion zog ein weißes Tuch aus seiner Hosentasche hervor und wischte ihr Gesicht mit routinierten Bewegungen ab. Als er fertig war, schockierte sie der Anblick des nun rotgetränkten Tuches. „Eine Mademoiselle sollte nicht gefesselt am Boden liegen."
Mit finsterem Gesichtsausdruck fuhr er fort. „Sollte ich jedoch von einem Fluchtversuch mitbekommen, werdet Ihr es bereuen." Mit diesen Worten verschwand er und Livia ließ sich schweigend zu Boden fallen.

In ihrem Kopf herrschte leere, ehe sich Sebastions Stimme in einiger Entfernung erneut vernehmen ließ. „Ihr widerwertiges Drecksgesindel. Wir haben eine Abmachung und an diese werdet ihr euch halten. Wenn nicht, werde ich jedem einzigen von euch Wichsern den Schädel spalten. Haben wir uns verstanden? Niemand, absolut niemand fasst diese Frau an! Wenn ihr sie verletzen solltet und sie Blut verliert, dann werdet ihr die direkte Bekanntschaft mit der Hölle machen und ich versichere euch, ihr werdet es eure restliche, jämmerliche Existenz bereuen."

Die junge Alchemistin konnte nicht fassen, dass sich Sebastion dermaßen sicher fühlte und sie ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen zurück zu ließ. Er schien nichts dem Zufall zu überlassen. Weshalb war er an dieser Stelle so nachsichtig? Sie blickte auf ihre in Mitleidenschaft gezogenen Handgelenke und stellte fest, dass nicht mehr viel gefehlt hätte, bis einige Stellen aufgeschürft gewesen wären. Sie darf nicht bluten. Wieso? Ihr schoss der Begriff während ihres gemeinsamen Rückweges nach Francollarts in den Kopf. Divinitus electus sanguis excogitatoris. Sie glaubte an keinen Zufall mehr. Dies alles war im Vornherein geplant gewesen. Dieser Sebastion schien nur auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, dass sie ihr Dorf verließ. Weshalb hat er es nicht bereits an dem Tag getan, als sie zum ersten Mal Dettlaff begegnet war? Der Wald wäre ideal gewesen. Fragen über Fragen, doch kaum plausible Antworten.

Ihr kam die sphaera sensum in den Sinn. Dettlaff könnte sie ohne weitere Probleme befreien, doch das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass er erneut für sie töten müsste. Im Grunde waren diese Männer auch nur Monster wie das Wesen im Wald. Würde der Vampir das auch so sehen? Hatte sie nach ihrer letzten Aussage ihm Gegenüber überhaupt das Recht ihn um Hilfe zu bitten? Ihr liefen heiße Tränen über die Wangen als sie die Erkenntnis traf, dass Richtig und Falsch nicht immer so einfach differenzierbar waren. Sie hielt ihm Vorträge über Moral, doch Maurice war prinzipiell in einer ähnlichen Situation wie sie momentan. Sie wurde aus ihrer Schockstarre gerissen als sie gedämpft die Männer sprechen hörte.

„Hört hört. Dieses Arschloch spielt sich auf und markiert den dicken Macker. Soll er doch. Sie darf kein Blut verlieren? Ist doch kein Problem. Dieses Ding hat auch hübsche Hände und einen Mund, mit dem man allerlei anstellen kann. Nich' wahr?"

Das Lachen der Männer war zu viel für sie. Livia kniff ihre Augen fest zusammen und hielt die Kugel fest umschlossen.

Witcher - Motten fühlen sich vom Licht angezogenWhere stories live. Discover now