Unterschiede

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Hallo ihr Lieben!
Es freut mich, dass ihr wieder mit dabei seid. Das ist bisher das längste Kapitel und ich hoffe, dass es genauso überzeugend für euch ist wie das vorherige. Wie immer freue ich mich wahnsinnig, dass ihr meine Geschichte lest und würde mich über einen kurzen (selbstverständlich auch langen) Kommi freuen. Ganz viel Spaß beim Lesen
Eure Salaka-chan



Unterschiede





Ihre goldenen Haare wellten sich ihren Körper entlang und schmeichelten, in Kombination mit dem blauen Baumwollkleid, ihrer zierlichen Statur. Die grünen Augen mit vereinzelt gelben Sprenkeln musterten das Spiegelbild kritisch, während sich die junge Alchemistin einen Zopf band. Unruhig wippte sie währenddessen vor dem Standspiegel und kaute leicht auf der bereits geröteten Unterlippe.


Sie fühlte sich nicht wohl.


Vor ihrem geistigen Auge spielte sich erneut die Szene des vergangenen Abends ab und sie konnte regelrecht spüren, wie die Durchblutung in den Wangen schlagartig zunahm. Mit einem gequälten Aufschrei schlug sie sich die Hände vor das Gesicht und ging resigniert in die Hocke. Sie musste sich eindeutig in einem Zustand der vollkommenen geistigen Umnachtung befunden haben, um sich entblößt vor einem Mann aufzubauen und diesen aggressiv zurechtzuweisen. Als wäre all dies nicht genug gewesen, musste sie ihn auch noch zu sich heranziehen, sodass sich deren Nasenspitzen berührten. Der starre Blick des Vampirs, als dieser eine Decke um ihren zitternden Körper legte, bildete den fulminanten Abschluss. Die schlanken Finger fuhren sich durch die Haare und ihr entfuhr ein leidender Laut der Frustration. Würden ihre physischen Fähigkeiten dies zulassen, grübe sie sich ein tiefes Loch und würde niemals wieder an das Tageslicht zurückkehren.


Dettlaff blieb den vergangenen Abend an ihrem Bett, bis Livia nach dem Tee langsam, in einen erholsamen Schlaf glitt. Er bließ die Kerze aus und sie meinte in weiter Ferne ein „Ich werde morgen Abend wieder da sein.", von der ihr nun bekannten tiefen Stimme zu hören.


Sie wollte keinen weiteren Tag erfolglos verbringen, weshalb sie sich die wichtigsten Aufträge zusammenstellte und den Weg ins Atelier in Francollarts antrat. Mittlerweile hatte sich ein beachtlicher Berg an Arbeit angestaut und dieser sollte sorgfältig abgearbeitet werden, schließlich vertrauten ihre Eltern ihr die Leitung des Ladens für einen gewissen Zeitraum an. Bedingt durch ihre unfreiwillige längere Abwesenheit, herrschte ein reges Treiben und neben dem Brauen der geforderten Tränke gab es einiges an Klatsch und Tratsch nachzuholen. Für Leute auf dem Land nahmen Unterhaltungen denselben Stellenwert wie der Kauf des gewünschten Produktes ein. Sie wollten sich wohl fühlen und in familiärer Atmosphäre handeln.


Aufgrund des hohen Arbeitspensums und des Ansturmes der Leute, verging der Tag für die junge Alchemistin wie im Flug und ehe sie sich versah, war die Sonne am Horizont verschwunden und wurde von dem Mond abgelöst. Sie erkannte bereits aus der Ferne, dass in ihrem Haus Licht brannte und konnte sich einen verhaltenen Seufzer nicht verkneifen. Unschlüssig wie sie nun Dettlaff gegenübertreten sollte, blieb sie zögernd vor dem Eingang stehen.


Als sie die Tür öffnete, fand Livia einen, mit verschränkten Armen vor der Brust, bebenden schwarzhaarigen Mann vor sich, der sichtlich Schwierigkeiten hatte, sich zurückzuhalten. Seine Augen schienen sie regelrecht zu durchbohren und ehe sie die Möglichkeit hatte etwas zu sagen, trat der Vampir hinter die blondhaarige Frau, um mit einer geschmeidigen Bewegung achtlos die Tür ins Schloss zu werfen. Er richtete seine volle Aufmerksamkeit erneut auf Livia und fuhr sie mit erhobener Stimme an.
„Ich habe dich für klüger gehalten sterfelijk wezen! Gestern warst du kaum in der Lage für kurze Zeit zu stehen und heute verlässt du bereits wieder dein Haus! Was hast du dir dabei gedacht? Hoe kun je zo onvoorzichtig zijn?" Livia stand perplex mitten im Raum und bemerkt erst nach einer kürzeren Pause, dass sie ihren Gesprächspartner mit leicht geöffnetem Mund anstarrte.
Es dauerte jedoch nicht allzu lange, bis sie ihre Fassung wiedererlangt hatte und sich müde über die Stirn fuhr. Zu einem gewissen Grad war sie über diese Begrüßung innerlich erleichtert, wodurch ihr die Peinlichkeit erspart wurde, nochmals näher auf den vergangenen Abend einzugehen.


„Guten Abend Dettlaff. Fühl dich ganz wie zuhause.", wobei sie einen besonders großen Wert auf die Betonung des zweiten Satzes legte. Ihr Gegenüber schien diese Aussage nicht im Mindesten zu amüsieren und im Geiste mahnte sich die Alchemistin selbst zur Vernunft. Zumindest hatte sie nun die Gewissheit, dass der Vampir nicht für Ironie empfänglich war und machte sich gleichzeitig im Hinterkopf eine Randnotiz, ihm diese Thematik bei Gelegenheit näher zu erläutern.


„Meine Eltern haben mir während ihrer Abwesenheit das Atelier anvertraut. Ich MUSS dafür sorgen, dass das Geschäft weiterhin gut läuft und die Kundschaft zufrieden bleibt! Außerdem bin ich zu einem gewissen Grad von den regelmäßigen Einnahmen abhängig. Ich besitze nur eine begrenzte Summe an Ersparnissen, welche ich möglichst nicht verwenden möchte."

Der Vampir schien nicht mit dieser Erklärung zufrieden zu sein, da er seine Lippen fest aufeinanderpresste und sie weiterhin mit einem bedrohlichen Blick taxierte. Livia atmete kurz aus, strich sich die vereinzelten Haarsträhnen aus dem Gesicht, ehe ihr Blick weich wurde und ein kleines Lächeln auf ihren Mundwinkeln erschien. „Ich danke dir für deine Sorge um mein Wohlergehen und ich wollte nicht unhöflich erscheinen, in dem ich heute schon wieder unterwegs war. Ganz im Gegenteil, ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen! Aber ich bin kein kleines Kind mehr und kann meinen körperlichen Zustand gut einschätzen. Sieh mich an. Es geht mir deutlich besser als gestern Abend."


„Dank deiner Tränke. Haben sie Nebenwirkungen?" Der Vampir nickte und wies auf die leeren Trankflaschen am Tisch. Livia sackte in sich zusammen und schloss erschöpft die Augen. „Dettlaff bitte." sie blickte ihn flehend an und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Mir geht es gut. Anstatt über meinen Zustand zu diskutieren, könnten wir uns auch gemeinsam an den Tisch setzen und unsere Unterhaltung von gestern Abend fortsetzen."

Als Dettlaff etwas erwidern wollte, klopfte jemand zaghaft an die Tür. Livia blickte erschrocken zwischen der Eingangstür und Dettlaff hin und her, bis sie sich leicht auf die Unterlippe biss und zur Tür schritt. Es wurde erneut geklopft und eine zarte Kinderstimme ertönte gedämpft. „Livia bist du da? Du meintest heute im Laden, dass ich dich abends besuchen dürfte." Den von Dettlaff erwähnten Tränken verdankte Livia ihr Durchhaltevermögen über den Tag, doch ein körperliches Aufputschen glich nicht den geschwächten geistigen Zustand aus. Ihre Zusage an Maurice hatte sie längst vergessen und sie konnte sich auch kaum noch daran erinnern, den lebhaften Jungen zu sich eingeladen zu haben. Das rege Treiben im Laden hatte sie bereits ausreichend eingenommen. Livia warf Dettlaff einen entschuldigenden Blick zu und öffnete zaghaft die Tür.


„Maurice. Verzeih mir bitte. Ich hatte im Laden einiges abzuarbeiten und habe dabei leider den weiteren Arbeitsaufwand unterschätzt. Heute Abend habe ich leider keine Zeit für dich, viell", sie wurde von dem kleinen drahtigen Jungen unterbrochen. „Bitte Livia! Die Anderen! Sie .... Sie ......," er schluchzte laut auf und dicke Tränen liefen seine Wangen herab. Erst jetzt fielen Livia die verquollenen Augen und die vereinzelten, kleineren blauen Flecken im Gesicht des Jungen auf. Trauer trat in ihre grünen Augen und die junge Frau ging vor dem Kind auf die Knie. Sanft nahm sie ihn in den Arm und strich zärtlich über seinen bebenden Rücken. Ihre Stimme war kaum mehr als ein sanftes Flüstern. „Was haben sie getan?"


Der kleine Körper zuckte unkoordiniert und ein markerschütternder Schrei entfuhr Maurice Kehle. Die Tränen liefen nun ungehemmt die geröteten Wangen hinab, während er sich in Livias Umarmung barg. Da Worte das Kind nicht zu erreichen schienen, drückte sie Maurice noch fester an sich und fing an zu summen. Sie wippte dabei regelmäßig zum Takt des Lieds.
Dettlaff stand wie versteinert neben den Beiden und versuchte die Szene, welche sich vor ihm abspielte nachzuvollziehen. Unschlüssig, ob er die Beiden ohne ein weiteres Wort verlassen sollte, bemerkte er vor der Eingangstür einen schmutzigen Gegenstand am Boden. Schweigend hob er diesen auf und inspizierte ihn.


Das Schluchzen nahm nach einiger Zeit ab, bis der Junge letztendlich erschöpft und kraftlos in Livias Armen eingeschlafen war. Vorsichtig hob sie ihn hoch und brachte Maurice in ihr Bett. Die überschüssigen Decken warf sie achtlos auf den Boden, bevor sie die Kerze neben ihrem Bett löschte. Als sie in den Wohnbereich zurückkehrte, fand sie neben einem warmen Feuer und frisch aufgesetztem Tee, Dettlaff an ihrem Arbeitsplatz sitzend wieder. Er schien in etwas vertieft zu sein und reagierte nicht auf das Nähertreten der jungen Frau. Ihr Herz setzte für drei Schläge aus, als sie erkannte was der Vampir vorhatte und ein warmes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Es verging ein kurzer Augenblick, in welchem sie bewundernd die routinierten Handgriffe des Vampirs beobachtete, ehe sie sich von dem Bild losreißen konnte, um zu dem dampfenden Teekessel zu gehen. Sie befüllte zwei Tassen mit dem heißen Getränk, wobei sie eine zu Dettlaff stelle und machte es sich mit der anderen auf ihrem Lesesessel gemütlich. Sie durchforstete diverse Folianten, welche sich mit der Thematik der Regeneration auseinandersetzten und versuchte ihre aufgestellte Formel zu optimieren.


Ihr war bewusst, dass Regis mit Leichtigkeit einen weitaus effektiveren Trank für seinen Freund brauen konnte, als sie mit ihren aktuellen Kenntnissen im Bereich der Alchemie, umso überraschter war sie im Nachhinein über diese Bitte. Beim Studieren der mehr oder minder gut beschriebenen Sachverhalte, driftete ihr Verstand in regelmäßigen Intervallen diesbezüglich ab und ließ sie ihre Stirn in nachdenkliche Falten legen. Eine weitere Ablenkung bildete der Begriff Blutsbruder, welcher ihr seid dem gestrigen Gespräch im Gedächtnis geblieben war und sich hartnäckig weigerte, ihre Gedankengänge wieder zu verlassen. Trotz Dettlaffs Versuchen, ihr diesen Sachverhalt näher zu bringen, war sie genauso schlau wie vorher.


Als Kernessenz hatte sie entnommen, dass die Beiden ein unsichtbares Band verknüpfte, durch welches sie unter anderem die Gefühle des jeweils anderen wahrnehmen konnten. Ihrer Ansicht nach, war dies ein äußerst unglücklicher Umstand. Die wahren Gefühle sind intim und sollten nicht von jemand anderem ohne jegliche Einschränkungen eingesehen werden können, doch das schien den Vampir nicht im Mindesten zu stören.


Trotz der gestrigen Unterhaltung wurde sie aus dem Mann nicht schlau. Einerseits schien er ein äußerst sanftmütiges Wesen zu sein, welches ohne Rücksicht auf Verluste selbstlos anderen half, doch die brutale Aggressivität in auftretenden Konfliktsituationen bildete hierbei einen starken Kontrast dazu. Vor ihrem geistigen Auge spielte sich die Szene im Wald ab, als der Vampir ihren hartnäckigen Verfolger mit spielender Leichtigkeit niederstreckte.


Im Dialog mit Regis äußerte sie bereits ihren Standpunkt bezüglich Dettlaffs körperlicher Stärke in Zusammenhang mit dem Vorfall in Beauclair. Doch was sollte man einem Wesen entgegnen, welches vergleichbar mit der reinen Naivität eines Kindes, zaghaft versuchte, sich in die menschliche Gesellschaft einzubringen. Als Basis fungierte hierbei der Ansatz, dass es entweder ausschließlich gute oder böse Absichten geben kann, welcher sich letzten Endes als falsch herausgestellt hatte. Dieses Individuum war in der Tat weit von der Sozialisierung entfernt.


Nachdenklich beobachtete sie den Vampir bei seiner Tätigkeit. Die großen Hände mit den ausgeprägten langen Nägeln führten routiniert die Bewegungen aus, während dessen Augen konzentriert den Gegenstand fokussierten. Ihr fiel zudem auf, dass das meist starre Gesicht des schwarzhaarigen Mannes, nun deutlich entspannter wirkte und die blauen Augen für seine Verhältnisse einen fast freudigen Ausdruck annahmen. An den Seiten hatte sein dichtes schwarzes Haar vereinzelte silberne Strähnen und bildete kleine Löckchen im Nackenbereich. Er schien Spaß zu haben und Livia kam nicht um ein kleines Lächeln herum.
Die Surrealität des Augenblicks lies sie kurzzeitig alles vergessen. Dies betraf unglücklicherweise auch den Folianten auf ihrem Schoß, welcher unbemerkt langsam, aber stetig an ihrem Oberschenkel hinabrutschte und letztlich mit einem lauten Knall auf dem Dielenboden aufschlug. Feine Staubpartikel flogen nahezu schwerelos anmutend durch den Raum während sich ihre Blicke begegneten.


Das Rad der Zeit schien still zu stehen, während die züngelnden Flammen des Feuers den Raum in ein warmes Licht eintauchten und die Schatten, für einen Tanz entlang der Wände, zum Leben erweckten. Als der Vampir sich erhob und mit durchdringendem Blick zu ihr Schreiten wollte, wurden beide von dem knarzenden Geräusch des Bettes aus dem Moment geholt. Maurice war aufgewacht und kam nach kurzer Zeit langsam die Trepper herab. Sein Gesicht war noch immer gerötet und die längeren Haare klebten dank dem Schweiß und den getrockneten Tränen wirr im Gesicht. Sein Blick wanderte von der jungen Alchemistin zu Dettlaff, wo er ängstlich hängen blieb. Er hielt an der letzten Stufe an und musterte misstrauisch den schwarzhaarigen Mann.
Livia räusperte sich verlegen und hob zügig das Buch auf. Sie legte es auf den Tisch und trat mit gemächlichen Schritten und einem leichten Lächeln auf den Jungen zu. „Ich habe dir meinen neuen Freund noch gar nicht vorgestellt, nicht wahr?" Als sie Maurice erreicht hatte, ging sie in die Hocke, drückte ihre Ellbogen auf die Oberschenkel und stützte ihren Kopf auf beiden Händen ab, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein und fuhr mit beruhigender Stimme fort. Die Position verlieh ihr etwas mädchenhaftes, was durch die hochgesteckten Haare zusätzlich verstärkt wurde. „Das ist Dettlaff. Lass dich bitte nicht von seinem grimmigen Blick abschrecken, eigentlich ist er ganz nett. Besonders zu wahnsinnig lieben Jungen wie du einer bist." Dabei zwinkerte sie ihm zu, was ein weiteres Schniefen seitens Maurice zur Folge hatte.


„Waren die anderen wieder gemein zu dir?" Maurice senkte seinen Blick und begutachtete seine schmutzigen Schuhe, als wären diese ihm völlig unbekannt. Livia zuckte unmerklich zusammen, als sie die Präsenz des Vampirs neben sich spürte. „Du hast deine Puppe am Eingang verloren. Ich habe sie für dich gereinigt und wieder instandgesetzt." Maurice Augen weiteten sich als Dettlaff ihm die reparierte Puppe entgegenhielt. „Noir!" Blitzschnell nahm er das Spielzeug an sich und drückte es fest an seine Brust. „Leider fehlen mir für eine bessere Reparatur einige Werkzeuge und Materialien, doch für den Moment sollte das ausreichen."
Die Puppe immer noch fest an sich drückend, sprang der Junge von der Treppe und hüpfte durch den kompletten Wohnbereich. „Danke, danke, danke, danke! Noir hatte noch nie so ein wunderschönes Hemd an!" Aus ihrer hockenden Position konnte Livia erkennen, dass der Vampir am unteren Bereich seiner roten Tunika, ein Stück herausgeschnitten hatte, um der Puppe ein neues Hemd zu nähen. Sein heller Hautton stand im starken Kontrast mit den dunklen Farben seiner Kleidung. Ihr entfuhr ein lautes melodiöses Lachen, welches dem Vampir nicht entging. Er schaute mit einem undefinierbaren Blick auf sie herab, ehe ein Aufschrei des Jungen seine Aufmerksamkeit wieder auf diesen lenkte.


Maurice wurde während seines Freudentanzes immer euphorischer, bis er schließlich über einen Bücherstapel stolperte und der Länge nach hinfiel. Livia hielt sich vor Lachen den Bauch und musste dem Drang wiederstehen vor Freude loszuheulen. „Ich denke dein Problem ist gelöst. Möchtest du einen Tee trinken ehe ich dich nach Hause bringe?" Der Junge rappelte sich auf und nickte heftig. Er suchte sich einen Platz neben Dettlaff und erzählte ihm die abenteuerlustigsten Geschichten. Der Vampir hörte ihm aufmerksam zu und stellte ab und an einige Fragen, wenn das Gespräch kurzzeitig ins Stocken geriet. Die junge Frau saß etwas weiter entfernt von der sich darbietenden Szene und genoss die lockere Atmosphäre, bis der Blick des Jungen äußerst ernst wurde.
Dettlaff konnte sich den plötzlichen Wandel nicht erklären und sah Maurice fragend an. „Habe ich etwas unpassendes gesagt?" Der braunhaarige Junge schüttelte den Kopf und musterte den Mann ausgiebig von Kopf bis Fuß. „Nein, hast du nicht. Aber ich möchte eine Sache direkt klarstellen." Er legte eine bedeutungsschwangere Kunstpause ein, in der Livia wieder nach ihrer Tasse griff und an dem Tee nippte.


„Livia gehört mir!" Livia verschluckte sich und spuckte die Hälfte des Tees wieder aus. Verlegen hob sie eine Hand vor dem Mund und starrte die Beiden mit rot werdenden Wangen an, ehe sie ihr Taschentuch hervorholte, um schnell das Gröbste wegzuwischen. „Ich kann verstehen, dass du Interesse an ihr hast, aber wenn ICH groß bin, werde ICH sie heiraten." Der Knirps verschränkte seine Arme und blickte den Größeren mit einem verschmitzten Grinsen an. Dettlaff hob überrascht eine Augenbraue wegen der schlagartigen Wendung des Gesprächsverlaufes, ehe sich der Hauch eines Lächelns auf seine Lippen stahl. Er neigte leicht seinen Kopf als er fortfuhr. „Nun, Livia kann sich glücklich schätzen, einen Verehrer wie dich zu haben." Maurice rieb sich mit dem Zeigefinger unter der Nase und grinste. „Es freut mich, dass du das auch so siehst. Dann steht unserer Freundschaft nichts mehr im Wege." Damit reichte er dem Vampir seine Hand, welche dieser zögerlich ergriff.

„Freunde?"

Dettlaffs Blick wurde warm und seine tiefe Stimme erfüllte den Raum.

„Freunde."


Nach einer Weile ergriff Dettlaff das Wort. „Weshalb ist dir diese Puppe so wichtig?" Maurice Blick wurde traurig. „Mein Papa hat sie mir geschenkt. Er.... er ging vor zwei Jahren in den Wald zum Jagen, seitdem ist er verschwunden. Meine Mutter ist fest davon überzeugt, dass er tot ist, aber das glaube ich nicht! Er ist bestimmt immer noch dort draußen und sucht nach einem Rückweg." Dettlaff blickte Livia fragend an. „Eine junge Mutter mit kleinem Kind und einem Mann, der mehr schlecht als recht verdient. Was werden die Leute aus dem Dorf wohl annehmen, wenn der Mann ohne jeglichen Grund plötzlich verschwindet?" Livia brachte es nicht übers Herz den für sie naheliegenden Verdacht auszusprechen. Der Vampir schien jedoch nicht recht zu begreifen. „Und was meinen die Leute?" Livia stöhnte innerlich auf ehe sie Dettlaff mit einem Blick signalisierte, dass das Thema damit vorerst beendet war.


Maurice, welcher die Anspielung von Livia ebenfalls nicht verstanden hatte, unterbrach die Stille. „Die anderen aus dem Dorf sind seitdem sehr gemein zu mir. Heute haben die Jungs meine Puppe geklaut und ... das Ergebnis habt ihr ja gesehen. Viel schlimmer sind aber die Erwachsenen meiner Mutter gegenüber. Sie benutzen Wörter, die ich nicht kenne. Tagsüber ist Mama stark und muntert mich auf, aber nachts, wenn ich im Bett liege, sitzt sie allein an der Feuerstelle und weint. Es gibt auch einige Nächte, in denen sie Männer zu uns nach Hause holt, aber die verlassen uns bereits nach wenigen Stunden wieder. Ich weiß nicht, was sie in aller Heimlichkeit zu besprechen haben, aber meistens gibt es am nächsten Tag eine richtig große Mahlzeit. Es ist das schönste Gefühl auf der Welt, mit vollem Bauch und im Bett an Mama angekuschelt einzuschlafen. Bis Papa zurück kommt werde ich mir mühe geben stark zu werden. Ich werde meine Mama vor allem beschützen."


Ehe Maurice es bemerkte wischte sich Livia die Tränen vom Gesicht und sprach mit leicht gebrochener Stimme. „Maurice, ich werde dich jetzt nach Hause bringen. Deine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen." Der Junge nickte und blickte Dettlaff an. „Begleitest du uns? Ich könnte dir zuhause noch weitere Spielsachen von mir zeigen! Ich habe zwar nicht viele, dafür liebe ich aber jedes einzelne umso mehr." Ehe der Vampir etwas erwidern konnte fuhr Livia dazwischen. „Nein. Ich werde dich allein nach Hause bringen. Dettlaff ist hier, um mir ein wenig bei der Arbeit unter die Arme zu greifen. Ich kann mich vor lauter Aufträge gar nicht mehr retten und benötige deswegen eine Aushilfe."


Dettlaff runzelte die Stirn und blickte sie ratlos an, widersprach jedoch nicht. Bevor sie das Atelier verließen, suchte sie noch eine ihrer kleineren Jacken heraus und warf sie Maurice um die Schultern. An ihm sah es eher wie ein Mantel aus, der fast den Boden berührte. Zum Abschied überraschte der Junge den Vampir mit einer blitzschnellen Umarmung und dankte ihm erneut für die Reparatur der Puppe.


Der Weg zu Maurice Haus war schnell zurückgelegt und ehe er an der Tür klopfte wandte er sich nochmals an die Alchemistin. „Danke dass du mich heute Abend zu dir gelassen hast. Es ist immer wieder schön bei dir zu sein. Vielleicht ist dein Freund bei meinem nächsten Besuch auch wieder da? Er ist wahnsinnig nett und wenn er mal mehr Zeit hat, werde ich ihm alle meine Spielsachen zeigen! Der wird bestimmt große Augen machen und auf das ein oder andere neidisch sein." Ein trauriges Lächeln umspielte Livias Lippen als sie ihm zum Abschied winkte.


Als sie das Dorf verlassen hatte und sich auf dem Feldweg zu ihrem Haus befand blieb sie abrupt stehen. Der Vollmond leuchtete den Weg aus und ließ ihre Haare in einem silbernen Farbton erstrahlen. Eine leichte Brise umspielte ihr Kleid und hob es leicht an, sodass man die untere Hälfte ihrer schlanken Oberschenkel sehen konnte. Die Sonnenblumen wippten in regelmäßigen Intervallen und die großen Blätter raschelten in angenehmer Harmonie. Zu ihrem Missfallen musste die junge Frau feststellen, dass die Wirkung der Tränke allmählich nachließ und starke Kopfschmerzen das dumpfe Gefühl ablösten. Mit einer eleganten Bewegung öffnete sie die Schleife, welche ihre Haare beisammenhielt und atmete erleichtert aus.


Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung und wandte sich um. „Ich weiß, dass du da bist. Du kannst dich jetzt zeigen." Fast zeitgleich materialisierte sich der Vampir knapp vor ihr und blickte ihr wortlos in die Augen. Livia erwiderte seinen Blick ehe sie weitersprach. „Es tut mir leid, dass ich dich nicht mitnehmen konnte. Der Trubel der letzten Tage hat mich völlig vergessen lassen, dich darüber zu informieren, dass einige aus dem Dorf das menschliche Aussehen der Bestie von Beauclair kennen." Dettlaff zuckte bei der Erwähnung des bösartigen Titels zusammen und presste die Lippen fest aufeinander.


„Du solltest dich auf keinen Fall im Dorf aufhalten. Wenn sie dich erkennen, werden sie keine Ruhe geben und die nähre Umgebung solange durchsuchen bis sie dich gefunden haben."


„Hm." Nach einer kurzen Pause fügte er an. „Kennst du die Männer, welche Maurice und seiner Mutter Schaden zufügen?"
Livia blinzelte verwirrt und strich sich einige Haarsträhnen hinter ihr Ohr. „Alle kenne ich nicht. Nur die Aufdringlichsten, welche selbst bei Tage nicht davor zurückschrecken gemeine Dinge zu tun."
Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu, sodass sich ihre Körper fast berührten. Sein Blick war stets auf sie gerichtet und eine wilde Entschlossenheit brannte in ihnen. „Wer?"
Als Livia verstand, was Dettlaff vorhatte, weiteten sich ihre Augen und sie wich einige Schritte zurück. „Das kannst du nicht tun, auch wenn diese Männer widerwärtige Taten begehen!" Sein Atem beschleunigte sich und er verkürzte erneut den Abstand zwischen ihnen. „Warum nicht? Warum willst du diese Menschen schützen? Sie werden niemals damit aufhören! Zumindest nicht, wenn keiner etwas dagegen unternimmt. Bis sein Vater wieder da ist, muss jemand anderes den Beiden helfen!"


Nun hatte Livia die Gewissheit, dass Dettlaff den Zusammenhang der Situation von Maurice nicht verstanden hatte und wollte weiter ausholen, um dem Vampir den Sachverhalt näher zu bringen. Doch soweit sollte es nicht kommen. Dettlaff packte Livia an den Oberarmen und zog sie zu sich, sodass ihre Körper sich nun tatsächlich berührten. „Ich verstehe dich einfach nicht! Du hilfst mir und anderen aus dem Dorf und schreckst dabei vor keinerlei Gefahren zurück! Aber dem Jungen möchtest du nicht helfen? Wieso?!"


Livia spannte vor Wut ihren Kiefer an. „Selbstverständlich helfe ich ihm! Ich achte jedoch stets darauf, niemand anderen dabei zu verletzten! Was ist daran so schwer zu verstehen?!"


„Wenn du mir die Namen der Männer nennst, werde ich sie töten und Maurice wird nicht weiter leiden müssen."

Die Atmung der jungen Frau beschleunigte sich und die folgenden Sätze kamen aus ihr heraus, ehe sie über deren Konsequenz nachgedacht hatte. „Hast du denn gar nichts aus Beauclair gelernt?! Du willst dasselbe hier noch einmal durchziehen? Wie mir scheint wurde ich kurzzeitig von deinem Verhalten mir Gegenüber geblendet. Der Titel auf den Steckbriefen passt vorzüglich zu dir!"

Der Griff des Vampirs lockerte sich und sein Blick wurde mit jedem weiteren Satz von Livia leidender. In ihrer Rage bemerkte Livia nicht, dass sie Dettlaff tief getroffen hatte und endete zischend mit:

„Du bist ein Monster."


Kurz bevor Dettlaff sich in eine Wolke transformierte und lautlos verschwand, bemerkte Livia das wahre Ausmaß des Schadens, welchen sie angerichtet hatte. Ihr Herz raste und sie machte einige Schritte in die Richtung, in welche Dettlaff verschwunden war.

Witcher - Motten fühlen sich vom Licht angezogenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt