Mondsüchtig

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Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte in Livias Verstand eine beängstigende, allesumfassende Leere, während sich eine erdrückende Stille auf sie herabsenkte deren Gewicht die junge Frau langsam, aber stetig unter sich zu zermalmen drohte. Abgelöst wurde dieser Zustand von Verwirrung gepaart mit aufkeimender Wut, welche sich in ihr breit machte und sich in ihren Gedanken einnistete, um in rasanter Geschwindigkeit seine Wurzeln zu schlagen und austreiben zu lassen. Ihr Gesicht spiegelte das Gefühlchaos der Alchemistin wider, während sie ihre Zähne fest aufeinanderpresste und dem Vampir verärgert hinterherblickte.

„Dettlaff!" Mit Bestürzung musste Livia feststellen, dass sie ihre eigene Stimme kaum wiedererkannt hatte. Sie fühlte sich wie ein Fremder im eigenen Körper gefangen. Livia erhob sich leicht schwankend von der Bank, um dem Vampir durch die Masse an schunkelnden Körpern nachzueilen. Während ihrer Verfolgung spürte sie den heißen Atem und vereinzelte Speichel Tröpfchen der Feiernden, an welchen sie sich vorbeidrängte, auf ihren entblößten Hautpartien. Warmes schwitziges Fleisch wurde gegen ihren tauben Körper gepresst, die instrumentale Begleitung, lediglich ein dumpfes monotones Dröhnen im Hintergrund.

Die meist unkoordinierten Bewegungen der angeheiterten Menschen, deren penetrante, sie umgebenden Geruchswolken, welche durch die Mischung von Alkohol, Erbrochenem und Fäkalien äußerst dominant ausfielen und der sowohl alte wie auch frische Schweißgeruch, welcher während des Tanzens und dem damit verbundenen engen Aneinanderreiben der Körper entstand, wurden von der jungen Alchemistin nur unterschwellig aufgenommen.

Währenddessen sammelten sich unterhalb der lichtspendenden Fackeln unbemerkt von der feiernden Menge, weitere verkohlte Körper diverser Nachtschwärmer.

Abseits der Feierlichkeiten hielt der Vampir schließlich inne. Sanftes Mondlicht umspielte seine Silhouette, ein faszinierendes Schattenspiel war auf seinem schwarzen Ledermantel zu beobachten und ließ die aufwendig verarbeiteten goldenen Verzierungen der Dolchscheide in einem kalten Licht erstrahlen. Das schwarze Leder seines Mantels schien jedoch den Großteil des Mondlichts zu absorbieren, was zur Folge hatte, dass der Körper des Vampirs nahezu mit der Nacht verschmolz. Die milde Brise des Nachmittags hatte sich gelegt und wurde nun durch eine überraschend kühle Frühlingsnacht ersetzt.

„Dettlaff." Livia atmete erschöpft durch den Mund aus, die Schultern leicht nach vorne gesackt. „Falls ich dich heute im Verlauf des Abends durch meine Verhaltensweise auf irgendeine Art verletzt haben sollte tut es mir leid."

Die Körperhaltung des Vampirs versteifte sich, ehe er leicht den Kopf in ihre Richtung wandte. „Du hast nichts falsch gemacht." In seiner Stimme lag ein resignierter Unterton und die harten Konturen seines markanten Gesichts verliehen ihm einen grimmigen Ausdruck.

„Du lügst! Irgendetwas stimmt nicht! Seit Gaunter bei uns am Tisch war, hast du dich komisch benommen!" Die Wangen der jungen Alchemistin glühten, bedingt durch den Alkoholkonsum, regelrecht. „Was zur Hölle ist los mit dir? Wenn du mir nicht sagst was dein Problem ist, kann ich dir auch nicht helfen!"

Dettlaff runzelte verwirrt für einen kaum merklichen Augenblick seine Stirn, ehe er sich mit einem entschlossenen Blick der aufgelösten jungen Frau zuwandte. „Livia, dich trifft keine Schuld. Es ist...", er sog mit bebenden Nasenflügeln scharf die frische Abendluft ein und presste seine Lippen fest aufeinander, sodass sie eine harte schmale Linie bildeten. Livia bemerkte trotz ihres leicht angeheiterten Zustands, dass er einen inneren Konflikt mit sich ausfocht und sich uneins war, wie er ihr diesen näher beschreiben sollte. Es hatte beinahe den Anschein, als ob der Vampir unter körperlichen Qualen leiden würde.

„Wir..., müssen nicht jetzt darüber reden." Unbeabsichtigt sprach Livia im Flüsterton zu dem Vampir.

Sein intensiver Blick ließ Livias Herz merklich schneller schlagen. Nahezu schmerzhaft pochte es einem Stakkato gleich, gegen ihren unregelmäßigen auf- und absenkenden Brustkorb, während es rhythmisch in ihren Ohren wiederhalte. Mit seinen blauen Augen schien er auf den Grund ihrer Seele blicken zu können und gestattete ihr ebenfalls einen tiefen Einblick in seine. Endlose Sehnsucht breitete sich in den blauen Augen des Vampirs aus, während er die Distanz zwischen sich und der jungen Frau überbrücken wollte.

Witcher - Motten fühlen sich vom Licht angezogenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora