Die Rache einer Göttin

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Selena landete hart auf einem metallenen Boden und rutschte den Tunnel hinab in die Dunkelheit. Sie stemmte ihre Hände und Füße gegen die glatten Wände des Tunnels, durch den sie rutschte.
Mit Mühe und Schmerzen gelang es ihr, sich zu bremsen. Sie presste die Lippen aufeinander, während ihre Haut brannte von der Reibung.
„Verdammt ... das hätte ich mal besser durchdenken sollen", murmelte sie und begann langsam den stockdunklen Tunnel hinabzuklettern. Je tiefer sie kletterte, desto flacher und enger wurde der Tunnel. Sie sah bereits das Licht am Ende des Tunnels, doch sie wusste, dass sie vorsichtig sein musste. So lustig diese Rutschpartie war, aber Selena erinnerte sich noch genau, wie sie geendet hatte. Und zwar in den Armen der Märchenwaldkönigin.
Selena kramte ein Halstuch aus ihrer Gürteltasche und band es sich um Nase und Mund, während ihre Augen, die sich bereits an die Dunkelheit gewohnt hatten, die Tunnelwand absuchten. Kurz vor dem hellen Ausgang entdeckte sie die Düsen und die Bewegungsmelder, die an der oberen Wand des Tunnels befestigt waren. Selena grinste, kletterte weiter hinab und hielt genau vor den Düsen inne. Diese würden ein Schlafpuder sprühen, sobald man sie passieren würde.
Selenas Körper spannte sich an und sie atmete tief ein. Dann hielt sie die Luft an und rollte so schnell es ging durch den restlichen Teil des Tunnels. Die Düsen zischten und sie spürte das kühle Puder auf ihrer Haut, während sie aus dem Tunnel hechtete. Mit einer geschickten Rolle kam sie auf die Beine und schüttelte das Puder von sich wie ein Hund.
Sie hörte Schritte hinter sich und reagierte sofort. Sie warf sich zur Seite und entging somit dem Knüppel, der sie bewusstlos schlagen sollte. Selena kam gleich wieder auf die Beine und entwaffnete den Mann, der den Knüppel hielt, mit zwei gezielten Hieben.
„Hi Simon", sagte Selena zu dem Mann mit dem metallenen Fußstumpf, der sie verdattert vom Boden anstarrte. „Du warst schon immer der Langsamste von den Sieben."
Selena hörte Schritte hinter sich, wirbelte herum und warf den Knüppel direkt in das Gesicht eines anderen Mannes. Dieser stöhnte schmerzhaft auf und fiel rücklings auf den sterilen weißen Fließenboden.
„Oder warst du Simon?", wandte sie sich an den Mann am Boden, der sich die blutende Nase hielt. „Ich konnte mir noch nie merken, wer wer ist."
Der Mann mit dem Fußstumpf hinter ihr rappelte sich auf, während vier andere Männer sie zu umkreisen anfingen. Ihre Kleidung schwebte in der Luft wie von Geisterhand und Selena spürte die eiskalte Magie in der Luft knistern. Sie bekam Gänsehaut und ihr Körper spannte sich an.
„Ach kommt schon, Jungs, begrüßt man so eine alte Freundin?"
Selena breitete grinsend die Arme aus, während sie die fünf Männer um sich beobachtete. Ihre animalische Seite verstärkte sich und ihre Sinne schärften sich. Sie roch den Angstschweiß der Männer. Doch sie wusste, dass sie nicht Angst vor ihr hatten. Sie hatten Angst davor, was passieren würde, wenn sie keine ordentliche Arbeit machten.
„Selena ..."
Selena hob den Blick und entdeckte den Anführer der sieben Männer. Er trug eine Augenklappe und seine linke Hand war mit einem Verband abgebunden. Sie roch Blut.
„Wir hätten nicht gedacht, dass du wieder zurückkommst", sagte der Anführer und kam langsam auf sie zu. Sein Gesicht war blass und er hatte Schmerzen. Sein linker Arm zitterte.
„Was ist mit deiner Hand passiert?", erkundigte sich Selena und hob die Augenbrauen. „Hast du deine heiß geliebte Königin enttäuscht und sie hat dir dafür einen Finger abgeschnitten?"
Der Anführer verzog das Gesicht. Wut funkelte in seinen Augen. „Unsere Königin will nur das Beste für uns und sie nimmt kleine Opfer. Nicht ganze Körperteile wie du, Wolf."
Selena schaute zu dem Mann mit dem Fußstumpf. „Ach, komm, das war Notwehr. Ich dachte, wir wären darüber hinweg?"
„Was willst du hier, Selena? Bist du hier wegen deinen Freunden?", wollte der Anführer wissen.
„Freunde ist jetzt nicht gaaanz die richtige Bezeichnung, würde ich sagen", erwiderte Selena.
„Brüder", wandte sich der Anführer an die anderen. „Eure Königin will Selena lebend, daher verletzt sie nicht tödlich."
Selena hob die Hände, als die Männer sich in Bewegung setzten. „Moment! Moment! Ich habe einen Deal für Eure Königin!"
Die Männer hielten inne und schauten alle zu ihren Anführer, der sie mürrisch betrachtete.
„Was für ein Deal?"
Selena unterdrückte ein Grinsen. „Das bespreche ich nur mit der Königin persönlich."
Der Geruch von frisch gebackenen Kuchen und aufdringlichen Parfüm zog an Selenas Nase vorbei. Ihr Magen krampfte sich zusammen und die Anspannung in ihrem Körper war kaum auszuhalten. Ihr Blick glitt zu den Stufen, die hinauf in das Haus führten. Die Tür öffnete sich und Licht drang in den dunklen Keller.
Selena blinzelte und wich etwas zurück, als ihr Schatten in der Tür erschien. Ihre Augen blitzten unheimlich auf und sie fuhr sich über ihre weiße Schürze.
„Selena, Liebes, ich habe dich bereits erwartet. Der Kuchen ist gerade frisch aus dem Ofen und der Kaffee ist aufgesetzt", erklärte die Königin, lächelte und verschwand dann wieder in der offenen Tür.
Der Anführer warf Selena einen hasserfüllten Blick zu. „Anscheinend wurde dir gerade eine Audienz mit der Königin genehmigt, Wolf."
Selena zuckte mit den Schultern und lächelte unschuldig. „Was soll ich sagen, meinem Charme kann keine widerstehen."
Als Selena zu den Stufen ging, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Es war ein riesiges Kellergewölbe, das die komplette Waldlichtung einnahm. Die weißen polierten Fließen glänzten in dem grellen Deckenlicht,, während Selena mit dreckigen Füßen darüber lief. Einer der Männer hatte sich sofort daran gemacht, ihre Fußspuren wegzuwischen. Sie erinnerte sich, dass die Königin sehr viel Wert auf Reinlichkeit und Hygiene legte.
Selena bemerkte mit beklemmenden Gefühl, dass die Zahl der Glaskäfige sich verdoppelt hatte. Unzählige Glaskäfige waren eng aneinander gereiht und in jedem befand sich ein anderes Wesen, das der Gewalt der Märchenwaldkönigin ausgesetzt war.
Allerdings konnte Selena nicht erkennen, welche Wesen sich in den Käfigen befanden, denn diese bestanden aus spiegelndes Glas und waren abgedichtet, damit keinerlei Geräusche rein oder raus kamen. Die Gefangenen konnten aus ihren Käfigen alles hören und beobachten, allerdings nicht andersherum. Sie waren isoliert und sich selbst überlassen.
Selenas Nackenhaare stellten sich auf, als sie daran dachte, wie sie in einem der Käfigen gesessen hatte. Sie wusste, dass Hel und Kit in den Käfigen sein mussten. Allerdings wusste sie nicht in welchen. Aber das spielte auch keine Rolle, denn Selena hatte die beiden nur aus einem Grund mitgenommen:
Sie waren ihr Deal.
Sie wollte die beiden gegen Informationen und ihr Überleben tauschen. Ein Schwall von Schuldgefühlen überkam sie für einen Moment, aber sie schüttelte diese rasch wieder ab. Immerhin hatte sie die beiden gewarnt. Sie hätten nicht in den Wald mitkommen müssen. Eigentlich hatten sie sich das selbst zu verschulden.
So war es in der Märchenwelt. Jeder war für sich und kämpfte um sein eigenes Überleben. Es gab kein Vertrauen. Keine Freundschaft. Nur Deals, die einen beschützen konnten.
Es ist Zeit, das sie das lernen, redete Selena sich ein, während sie die Stufen hochging. Das Leben ist nicht fair. Das Leben ist hart! Nur wer schlauer ist als die anderen, überlebt.

Die drei Mythengetiere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt