Der kleine Fuchsdämon, der ein Held werden wollte.

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„Müssen wir das wirklich tun?", fragte Kitsune flüsternd und schaute zu seinem großen Bruder. Dieser rollte genervt mit den Augen.
„Fang NICHT schon wieder damit an, Sieben!"
„Es ist nur ...", meinte Kitsune und ignorierte das theatralische Aufstöhnen seines älteren Bruders. „... warum müssen wir diese armen Leute immer in die Irre führen? Wir könnten ihnen doch auch helfen."
„Oh bitte!" Kitsunes Bruder wandte sich an ihn und schaute voller Verachtung auf ihn hinab. „Du bist wirklich eine Schande für jeden Kitsune-Dämon ... Mutter hatte Recht", fügte er murmelnd hinzu, aber gerade so laut, dass Kitsune ihn verstehen konnte.
„Das hat sie nicht", erwiderte dieser kleinlaut und hoffte, dass sein Bruder ihn nur ärgern wollte. Seine Mutter würde niemals so über ihn reden. Niemals! ... oder?
„Und ob sie das hat! Eins und Zwei haben es mir erzählt." Die fünf Fuchsschwänze von Kitsunes Bruder glitten unruhig durch die Luft. Seine Ohren zuckten, während ein teuflisches Grinsen seine scharfen Zähne entblößte.
Ein Stich fuhr durch das kleine Herz von Kitsune und sein Magen zog sich zusammen. Tränen drängten sich in seine Augen. Er presste die Zähne fest aufeinander, denn er würde auf gar keinen Fall vor seinen Bruder weinen. Diese Genugtuung würde er ihm nicht geben.
„Unsere Mutter schert sich einen Dreck um uns, Sieben", schnaubte sein Bruder. „Was meinst du, warum sie uns Nummern als Namen gegeben hat?"
Die kalten Augen seines Bruders glitten wieder zurück zur Straße, die die beiden seit Stunden beobachteten. Die zwei Fuchsdämonen warteten auf ihr nächstes Opfer. Einen unbedachten Wanderer, mit dem sie ihren Spaß haben konnten. Aber war das wirklich alles, was Kitsune jemals tun würde? War da nicht mehr draußen für ihm?
„Da brauchst du jetzt nicht heulen", murrte Fünf. „Unsere Mutter interessiert nichts außer, dass wir ihr Essen bringen. Denn sie ist zu fett, um selbst auf die Jagd zu gehen."
Kitsune kämpfte seine Tränen hinunter, die in seinen Augen brannten. Er wollte etwas sagen, aber er hatte Angst, dass seine Stimme brach.
Fünf duckte sich rasch und zog Kitsune zu sich herunter. Kitsune mied den Blick seines Bruders und starrte durch die Blätter zu dem Weg ohne irgendetwas zu sehen außer die knorrigen Bäume des Waldes. Diese Bäume sah er nun schon sein Leben lang. Noch nie hatte er den Wald verlassen und er war sich sicher, dass auch seine Mutter noch nie woanders gewesen ist.
„Endlich!", stieß Fünf freudig aus und holte Kitsune aus den Gedanken zurück. „Jackpot, Sieben! Es ist einer dieser dicken Händler mit einem Leiterwagen voller Zeug."
Fünf wurde aufgeregt und seine Fuchsschwänze immer unruhiger. Kitsune schaute zu dem dicken Händler. Er pfiff gut gelaunt vor sich hin, während sein alter Esel langsam den Holzwagen vor sich herzog. Der Händler hielt einen Strick, der um den Hals des Esels befestigt war, und tätschelte diesen liebevoll den Hals.
Er wirkte wie ein netter Mann und Kitsune widerstrebte es umso mehr ihn zu überfallen. Das war einfach nicht richtig in seinen Augen. Aber er wusste auch, dass er der Einzige in seiner Familie war, der so dachte.
„Ich lenke ihn ab und du schlägst ihn k.o.", erklärte Fünf und verschwand, bevor Kitsune etwas dazu sagen konnte. Fünf verwandelte sich in eine wunderschöne junge Frau mit eleganter Kleidung. Voller Neid stellte Kitsune fest, dass sein Bruder die Illusionstechnik bereits perfektioniert hatte. Nichts deutete mehr an einen Fuchsdämon hin außer seinen Fuchsschwänzen, aber diese hatte er geschickt unter einem Rock verborgen.
Das junge Mädchen schlich eilig auf den Weg und legte sich auf den dreckigen Boden. Sie schloss die Augen und tat, als wäre sie bewusstlos. Kitsune wusste, wie es ablief. Es war immer dasselbe Spiel.
Einer seiner älteren Brüder verwandelte sich in ein hilfloses Mädchen und die Wanderer kamen ihr zu Hilfe. Nichtsahnend, dass sie gleich einem bösen Streich zum Opfer fallen würden. Oder ihr Leben verlieren würden.
Seit Kitsune ganz klein war, hatte er nie verstanden, warum sie hilflosen Menschen wehtun mussten oder warum sie diese schrecklichen Streiche spielten. Für ihn machte das keinen Sinn, denn diese ahnungslosen Wanderer hatten ihnen nie etwas getan.
Kitsune schaute auf den Boden und kämpfte wieder mit den Tränen. Er wusste, dass seine Mutter nicht in Liebe und Fürsorge glänzte, aber er hätte nie gedacht, dass sie ihn als Schande bezeichnen würde.
Es tat furchtbar weh. Denn Kitsune hatte sich schon immer wie der Außenseiter gefühlt. Nicht nur, weil er der jüngste und dickste war. Sondern auch, weil er so anders war als seine Geschwister. Er fand keinen Gefallen darin, Streiche zu spielen und unschuldigen Menschen weh zu tun. Stattdessen wollte er lieber helfen. Er wollte Gutes tun mit seinen Kräften.
Sein tränenverschleierter Blick glitt zu dem Händler und seinem Bruder, der als schönes Mädchen auf dem Boden lag. Noch hatte der Händler seinen Bruder nicht bemerkt. Er pfiff immer noch gut gelaunt vor sich hin. Die Frage war nur, wie lange noch.
Kitsune durchfuhr es wie ein Schlag: Ein Gedanke. Eine Idee. Etwas, das sein miserables Leben ändern würde. Seine Tränen wichen zurück und sein Herz schlug schneller und schneller. Es hämmerte gegen seine Brust, als die Entscheidung sich in ihm formte. Die Entscheidung, das Richtige zu tun. Und zwar genau in diesem Moment!
Er würde beweisen, dass er keine Schande war. Kitsune griff nach den kleinen Rauchbomben, mit denen seine Geschwister ihre Opfer immer bewusstlos machten. Er schätzte die Entfernung ab, zielte und warf eine kleine Rauchbombe. Das kleine Knäuel aus Blättern, Lehm und Kleber flog durch die Luft und landete genau auf der Stirn des Mädchens.
Seine Illusionstechnik war zwar schlecht, aber dafür war er der Beste im Zielen. Das Mädchen riss erschrocken die Augen auf, doch da explodierte die Bombe bereits mit einem leisen „Blob" und der Inhalt verteilte sich in einer kleinen Staubwolke auf ihrem Gesicht.
Kitsune hörte einen Fluch, der aber rasch erstarb, als das Mädchen das Bewusstsein verlor und sich darauf in seinen Bruder Fünf zurückverwandelte. Kitsune sprang aus seinem Versteck, hastete zu seinem Bruder und machte sich daran ihn von der Straße zu rollen. Dabei war er nicht sehr vorsichtig. Wenn Fünf wieder zu sich kam, dann würde er toben und ein paar Beulen haben. Aber bis dahin war Kitsune bereits weit genug weg ... hoffte er.
„Hallo?", erklang eine Stimme hinter ihm und er zuckte erschrocken zusammen. Der Händler stand auf einmal ganz nah bei ihm. Er hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt und schaute sich fragend um, während Kitsune ihm aus dem Gebüsch beobachtete. Der Esel wackelte mit den Ohren, schien aber desinteressiert.
„Hallo? Ist da jemand?"
Kitsunes Herzschlag rauschte in seinen Ohren. Er hatte vorher noch nie mit einem Opfer gesprochen. Manchmal hatte er sie belauscht und fasziniert ihren Geschichten zugehört. Meistens waren es Geschichten von fernen Ländern. Doch seine Lieblingsgeschichten waren die über Helden.
Kitsune nahm all seinen Mut zusammen und trat aus dem Schutz der Blätter. Denn wenn er eines von den Geschichten gelernt hatte, ein Held hatte keine Angst.
„Hallo", sagte er in der Sprache des Opfers. Es klang holprig und er hoffte, dass der Händler ihn verstand.
„Oh hallo Kleiner", grüßte der Händler ihn lächelnd, als er ihn erblickte. Kitsune war noch in seiner Fuchsdämongestalt, aber den Händler schien das nicht zu stören. Er hatte einen dichten Vollbart, der mit allerlei Perlen verflochten war. Generell trug er auffällige schillernde Kleidung und seine Augen musterten Kitsune neugierig.
„Was machst du hier ganz alleine?", fragte der Händler. Kitsune trat ein wenig weiter vor, achtete aber darauf genug Abstand zwischen ihnen zu halten.
„Ich ..." Kitsune stockte, als er überlegte, was er eigentlich wollte. Soweit hatte er gar nicht gedacht. „Eh ... ich will einfach nur weg", sagte er schließlich. „Ich habe mein Leben lang hier in diesem Wald gelebt, aber ich möchte hinaus in die Welt und ... und Gutes tun. Ich möchte ein Held werden."
Der Händler musterte ihn eine Weile nachdenklich. Kitsune wusste nicht, was hinter der Stirn des Mannes vorging, aber er mochte, dass der Händler ihn nicht auslachte für diese Aussage. Seine Brüder hätten sich lustig über ihn gemacht.
„Nun, ich bin auf den Weg zu den Märchenländern", sagte der Händler schließlich. „Wenn du willst, dann kannst du mich begleiten, kleiner Freund."
Freund. Niemand hatte Kitsune jemals als Freund bezeichnet. Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen.
„Das wäre nett ...", erwiderte der kleine Fuchsdämon zögerlich. Der Händler lächelte und tätschelte seinen Esel.
„Hast du auch einen Namen? Ich habe nämlich die Devise, dass ich niemanden mitnehme, dessen Name ich nicht kenne."
Kitsune überlegte eine Weile. Seine Mutter hatte ihn Sieben genannt, weil er das siebte Kind war. Aber er mochte den Namen nicht. Vielleicht konnte er sich jetzt einen coolen Heldennamen ausdenken?
„Nun?", hakte der Händler nach, als Kitsune noch zögerte.
„Was ist dein Name?", fragte er den Händler. Dieser lachte, laut und dröhnend.
„Mein Name ist Grerr." Seine dunklen Augen funkelten spöttisch. „Und deiner, kleiner Freund?"
Kitsune zögerte weiterhin.
„Wenn ich dir vertrauen soll, dann muss ich deinen Namen wissen. So sind die Regeln", erklärte Grerr beharrlich. „Außerdem braucht jeder Held einen Namen."
„Mein Name ist Kitsune Sieben", sagte Kitsune schließlich, weil ihm gerade kein besserer Name einfiel. Aber er würde sich definitiv einen überlegen. Denn ein neues Leben brauchte einen neuen Namen.
Grerr nickte ihm grinsend zu. „Freut mich. Ich werde dich Kit nennen, wenn das okay ist?"
Kitsune nickte und war begeistert von dem Spitznamen. Grerr legte eine Hand auf den Rücken seines Esels. „Das ist Erika."
Kitsune nickte dem Esel zu. „Freut mich."
„Dann lass uns mal weitergehen", seufzte Grerr und schaute sich misstrauisch um. „In diesen Wäldern sollen angeblich kleine Räuber lauern, die dich überfallen." Grerr warf Kitsune einen kurzen abschätzenden Blick zu, der verlegen zu Boden schaute. „Du bist doch nicht so ein kleiner Räuber, oder Kit?"
Kitsune schüttelte den Kopf. „Nein! Ich ... Ich überfalle nicht. Ich will nur helfen!"
Grerr nickte und setzte sich dann in Bewegung. „Nun gut, dann werde ich dir das mal glauben."
Kitsune folgte dem Händler und wagte sich nicht mehr zu seinem Bruder umzudrehen. Er hatte ihn zwischen zwei Bäumen verborgen und mit Laub bedeckt. Wenn er in einer Stunde aufwachen würde, wäre er sicherlich stinksauer auf Kitsune. Doch das war ihm egal, denn er hatte eine Entscheidung getroffen. Er würde sich aufmachen und Gutes tun. Er würde zu einem Held werden und allen beweisen, dass auch ein Kitsune-Dämon dazu fähig ist!
Kitsune war stolz auf sich und grinste. Er hatte sich noch nie so frei und glücklich gefühlt. War das immer so, wenn man sich entschied das Richtige zu tun?
„Was machst du hier eigentlich so alleine?", fragte Grerr. Kitsune schwebte neben dem Esel und ihm her, aber er hielt immer noch Abstand. „Bist du nicht noch ein bisschen jung, um hier alleine im Wald zu sein?"
„Ich bin bereits zwölf Monde alt!", widersprach Kitsune heftig. „Ich bin KEIN Kind mehr."
Grerr hob beschwichtigend eine Hand. „Schon gut, schon gut. Beruhige dich, Kit."
Grerr beobachtete ihn eine Weile, bevor er fragte. „Was bist du eigentlich?"
Kitsune schaute ihn verwirrt an. „Weißt du das nicht?"
„Nein, Kleiner. Ich komme aus der nordischen Mythologie. So einen schwebenden kleinen Fuchs mit zwei Schwänzen haben wir bei uns nicht."
„Ich bin ein Kitsune. Das ist ein Fuchsdämon. Wir können uns in Menschen verwandeln, schweben und Feuermagie erschaffen."
Kitsune hob seine kleine Pfoten und erschuf einen kleinen Feuerball in der Luft. Die Flamme wärmte sein Fell und ließ seine dunklen Augen glitzern.
Grerr nickte beeindruckt. „Das ist ziemlich cool ... gibt es viele von euch?"
„Nein." Kitsune seufzte und dachte an die grausamen Geschichten, die seine Mutter erzählt hatte. Früher hatte es unzählige Fuchsdämonen gegeben, doch das war bereits Ewigkeiten her. Kitsune kannte auch nur seine Familie und wusste, dass seine Mutter eine der wenigen Überlebenden nach der großen Jagd gewesen war.
„Also sind Kitsune quasi selten?", holte Grerrs Stimme ihn zurück aus den Gedanken.
„Kann man so sagen, ja." Etwas blitzte in den Augen des Händlers auf, dass Kitsune nicht deuten konnte. Aber es war wie ein kleiner Stern in den Augen. Oder ein Goldstück. Egal, was es war, es war auf jeden Fall hübsch.
„Verstehe", murmelte Grerr und ging weiter durch den Wald. Kitsune schaute sich immer wieder um. Er erwartete jeden Augenblick, dass einer seiner Geschwister kommen würden. Dieser Wald gehörte seiner Familie.
Sein Magen zog sich zusammen, wenn er daran dachte, dass er seine Heimat nun hinter sich lassen würde. War das wirklich die richtige Entscheidung gewesen?
Zweifel sprudelten in ihm hoch. Zweifel und Angst, dass es ein Fehler war. Immerhin war er hier sicher gewesen für eine lange Zeit. Er kannte die Welt da draußen eigentlich gar nicht ... was, wenn er verloren ging? Oder noch Schlimmeres passieren würde?
„Oh, verdammt, was ist das?", rief Grerr auf einmal auf und deutete nach links. Kitsune zuckte erschrocken zusammen und schaute nach Links. Panik erfasste ihn. Hastig glitt sein Blick umher. Suchend nach dem Grund, warum Grerr so aufgeschrien hat. Doch er fand nichts.
„Was ...", wollte er fragen und drehte sich zurück zu Grerr. Zu spät bemerkte er, wie der Händler auf einmal ein Blasrohr an seinem Mund hatte und auf ihn zielte. Kitsunes Augen weiteten sich, doch er konnte nicht mehr reagieren. Der Pfeil sauste durch die Luft und bohrte sich direkt in seine Brust.
Er keuchte auf und alles verschwamm, als er zu Boden fiel. Der Händler lachte amüsiert auf.
„Du bist ja wirklich ein treudoofes Kerlchen", hörte Kitsune Grerr sagen, als sich seine schweren Schritte näherten. Kitsune konnte sich nicht rühren und seine Sicht war ein Schleier aus Schemen, während er immer weiter in die Dunkelheit absank.
„Du wirst mir einen guten Preis liefern auf dem Schwarzmarkt", gluckste Grerr, bevor Kitsune das Bewusstsein verlor.

Die drei Mythengetiere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt