26|Die ganze Nacht

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𝙴 𝙽 𝙴 𝚂

,,Können wir aufhören über mich zu reden?", fragte sie nun lachend und nahm einen Schluck aus ihrer Dose. ,,Ganz ehrlich... ich glaube du redest viel zu selten über dich. Ich hab' das Gefühl, du bist jemand der immer für andere da ist, aber nie das selbe zurück verlangt", teilte ich ehrlich meine Gedanken mit ihr. Sie zuckte mit den Schultern und spielte mit einem kleinen Kieselstein, den sie auf dem Boden entdeckt hatte. Ich weiß nicht was es war, aber immer wenn wir auf einem Dach saßen, war die Stimmung zwischen uns ganz anders. Als würden wir uns schon Jahre lang kennen. Ich nahm mein Kissen und rutschte ein wenig näher zu ihr ran. ,,Ich bin genauso. Ich bin viel zu Stolz um über Probleme oder irgendwelche Gefühle zu reden. Guck, wir machen einen Deal ok?" Ich pausierte und sie sah mich nun an. ,,Ich erzähl dir was persönliches und dann erzählst du mir auch etwas und dann gehen wir ne runde Basketball im Garten spielen und tun so als hätten wir nie unsere Coolness gebrochen, ok?" , sagte ich überzeugt mit einem Grinsen im Gesicht.

Ich hatte das Gefühl, dass sie das brauchen würde. Einen guten Freund, der ihr mal zuhört. Ich bekam ein verlegenes Lächeln von ihr, welches ihr kleines Grübchen auf der linken Seite zum Vorschein brachte. Ich hob meinen Arm etwas an, als Andeutung, dass sie näher rankommen sollte, was sie überraschenderweise ohne rumzuzicken auch tat und mir erlaubte meinen Arm um sie zu legen. ,,Was ? Ohne dass du ausrastest und rumzickst ?", verwunderte es mich. Sie sah von unten zu mir nach oben ,,Bevor ich es mir anders überlege!", sagte sie und schlug mir gegen den Bauch.

Ich erzählte ihr von meinem Vater. ,,Mein Vater ist gestorben, als ich noch ein kleines Kind war und die Zwillinge noch Babys waren. Er war lange Zeit sehr krank und ist irgendwann an Nierenversagen gestorben. Seit dem ist unsere Mutter ganz alleine für uns dagewesen. Es ist komisch, ich mich nicht so ganz an ihn erinnere. Ich habe ihn die ersten 10-15 Jahre meine Lebens ziemlich vermisst, obwohl ich gar keine richtigen Erinnerungen an ihn habe. Mittlerweile hab ich mich damit abgefunden ihn nie so richtig kennenlernen zu können.", teilte ich ihr ehrlich mit. Ich wollte, dass sie merkt, dass sie mir vertrauen kann.
,,Oh.. das tut mir leid", sagte sie vorsichtig.
,,Schon gut . Du bist dran", forderte ich sie auf... immerhin wollte ich, dass sie sich mal öffnet und ein wenig Last von ihr fällt.

Sie zögerte einwenig, bevor sie anfing.
,,Ehm.. alsooo.. keine Ahnung. Ach, Ich kann sowas nicht"
Sie zuckte mit den Schultern, pausierte kurz, fing dann aber doch nochmal an zu sprechen. ,,Mein Vater ist .. seit dem ich mich erinnern kann Drogen und Alkohol süchtig. Er hat meine Mutter bestimmt schon hunderte male betrogen. Er kam, wenn er überhaupt nach Hause kam, irgendwann mitten in der Nacht voll besoffen nach Hause und hat jedesmal meine Mutter und mich geschlagen. Er hat meine Mutter manchmal so sehr geschlagen, dass sie bewusstlos wurde. Dann ist er einfach wieder gegangen und ich war alleine mit meiner bewusstlosen Mutter und meinem schreienden kleinen Bruder, der noch fast ein Baby war. Wir haben oft versucht vor ihm abzuhauen. Deswegen sind wir auch hier her gezogen. Er hat viel Schaden angerichtet, auch finanziellen Schaden, weswegen meine Mutter jetzt nochmal zurück musste um einige Dinge zu klären.
Ich bin früher oft mit blauen Flecken, einem blauen Auge oder anderen Verletzungen zur Schule gegangen. Ich habe es nie zugegeben aber ich hatte auch eine lange, tiefe Phase in der ich in Depressionen verfallen bin, was eigentlich keine Überraschung ist.
Ich denke nicht, dass so etwas einen für immer vollkommen verlassen kann, aber ich habs definitiv geschafft da wieder rauszukommen und mir gehts jetzt um Längen besser. Was noch stark geblieben ist von früher, sind Panik- und Angstattacken. Ich hab' manchmal unkontrollierte Angstattacken, die unbegründet sind. Es ist keine Angst vor etwas bestimmtem, sondern einfach ein extrem starkes Gefühl von Angst, wie aus heiterem Himmel. Die Angst vor der Angst selbst. Es ist jedes mal ein bisschen anders.. manchmal , wie als würde sich der ganze Raum um mich herum drehen und manchmal, wie wenn alles und jeder um mich schneller ist.. wie wenn man eine Kassette spult .. so hört sich dann alles an. Manche Schübe dauern nur einige Sekunden, andere mehrere Minuten.
Ich kann das mittlerweile eigentlich gut überspielen, sodass es für andere nicht bemerkbar ist, aber das war heute der Fall im Cafe und keine Ahnung wie ... aber du hast es bemerkt", sie nahm noch einen Schluck von ihrem Getränk . Ich war sehr überrascht. So viel Offenheit und Ehrlichkeit hätte ich nicht von ihr erwartet... Viele kleine Dinge wurden mir klarer. Das kleine Zucken, was ich jedesmal sah, wenn jemand die Hand hob in ihrer Nähe. Das herumkauen auf den Lippen, ihre Verschlossenheit und ihre Angst irgendwem zu vertrauen. ich wusste nicht was ich sagen sollte, weswegen eine Weile lang Stille herrschte, bis sie aufstand und ich sie fragend ansah.

,,Jetzt komm! Du hast gesagt wir spielen Basketball", sagte sie lachend.. als hätte sie mir nicht gerade diese dunkle Geschichte erzählt. Ich musste schmunzeln, weil das so typisch für Liya war. Ich schüttelte leicht lachend meinen Kopf und stand dann auf. Wir gingen gemeinsam wieder rein und liefen raus zu ihrem Garten.
Ich hab lange nicht mehr auf mein Handy gesehen aber es ist sicherlich schon sehr spät. Bevor wir den Garten betraten stoppte ich sie kurz und hielt sie am Arm fest. ,,Hey, warte kurz", ich zog sie zu mir und sie fiel in meine Umarmung. Nach einigen Sekunden erwiderte sie meine Umarmung. Wir lösten uns leicht uns sie sah mich wieder so an wie vorhin. Von unten nach oben und lächelte leicht, bevor sie sich umdrehte und zu einem Korb lief, in dem der Ball lag.

Wir spielten. Es war Mitten in der Nacht und wir spielten Basketball. Der, der als erstes 10 Körbe trifft, gewinnt. Sie war so schlecht, aber ich versuchte sie gewinnen zu lassen, was nicht die einfachste Aufgabe war. Wir lachten viel, fielen oft hin und lachten umso mehr.

Ich hielt den Ball mit beiden Händen fest, als sie vor mir stehen blieb und auf einmal ganz ernst wirkte.

,,Ehm Enes... Ich wollte mich noch kurz für den Tag heute bedanken .. und ehm.. Freunde?'' Sie streckte mir die Hand aus.
Ich wollte gerade ebenfalls meine Hand ausstrecken um ihren Handschlag zu erwidern, als sie mir den Ball wegschlug und damit zum Korb rannte. ,,Du kleine Hexe!", rief ich.

Dennoch traf sie nicht, was mich zum Lachen brachte. ,,Ich kann so hoch nicht werfen!", beschwerte sie sich wütend. Ich musste lachen, darüber, wie sie sich aufregte.

Ich lief langsam von hinten auf sie zu. ,,Komm, ich helf' dir", sagte ich leise, als ich sie in der Taille packte und anhob, damit sie den Ball endlich ins Netz bekommen konnte...
Nachdem sie getroffen hatte, sprang sie vor Freude rum wie ein Flummi, was mich sehr zum Lachen brachte.

Wir verbrachten noch circa eine halbe Stunde draussen, bis wir beide sehr müde wurden..

,,Du kannst nach Hause wenn du willst .. aber du kannst auch auf dem Sofa schlafen.. es ist ziemlich gemütlich", teilte sie mir mit. Ich lachte leicht. Ich weiß, dass sie Angst hatte ganz alleine in einem relativ neuen, großen Haus zu sein. ,,Sofa klingt gut", teilte ich ihr mit. ,,Ich bring dir eine Decke", sagte sie . ,,Oh aber... Pyjamas kann ich dir leider nicht anbieten.. mein Bruder ist etwas kleiner als du", lachte sie.

Sie brachte uns Decken und Kissen ins Wohnzimmer. ,,Danke", flüsterte sie noch leicht, bevor sie das Licht ausmachte und sich dann auf die gegenüberliegende Couch legte.

Ego vs. EgoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt