Acht

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Das Mädchen war zu neugierig.
Wütend stampfte Cian über die Wiese. Er wusste nicht, was geschah, wenn jemand sein Geheimnis herausfand. Er ertrug das Ganze schon ohne neugierige Leute kaum. Das Anwesen tauchte wie ein dunkles Schloss hinter dem Hügel auf. Auf der Wiese davor befand sich ein Teich, den Beatrice extra hatte ausheben lassen. Der Vollmond spiegelte sich auf der dunklen Wasseroberfläche. Der Teich war schön, aber Cian liebte den See. Er war an den Ort gebunden und hatte schöne Erinnerungen von den früheren Tagen. Beatrice erwartete ihn bereits an der Tür. Sie lächelte traurig und umarmte ihn.
"Mein Junge... Wie geht es dir?"
Cian fand seine Tante immer schon ein bisschen rührselig, aber er erwiderte die Umarmung.
"Gut, Beatrice. Alles in Ordnung, wirklich."
"Ja, so wie immer, nicht wahr?" Sie seufzte. "Ich wünschte nur..."
Cian legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Ich weiß. Ist Onkel Walter wieder da?"
Beatrice' Ausdruck wirkte gequält.
"Er schafft es leider nicht."
Cian versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Natürlich war er nicht da. Er war es nie.
Er schob sich an ihr vorbei, die breite Teppe des Foyers hoch in den ersten Stock. Seine Zimmer lagen am Ende des linken Flurs. Er ließ seine Sporttasche auf das frisch gemachte Bett fallen und schloss sich in seinem Bad ein. Die Bäder gehörten zu den Räumen, die noch größtenteils im Stil des Orginalbaus erhalten worden waren, weshalb es fast nur aus Marmor bestand. Nur die Dusche war neu. Unter die stellte Cian sich und dachte nach, während angenehm warmes Wasser über seine Schultern floss. Es kam nicht oft vor, dass jemand den See fand. Die Augen der meisten Leute waren für Magie zu getrübt durch das eintönige Leben der letzten hundert Jahre. Und keiner von denen, die den See erkannten, waren die, nach denen er suchte. Er bezweifelte, dass Eileen anders war. Nach einer halben Ewigkeit verließ er das Bad und zog sich etwas Bequemes an. Der Mond warf sein milchiges Licht in sein Schlafzimmer. Achtlos schießt Cian die Sporttasche zu Boden und ließ sich seufzend auf das Bett fallen. Er versuchte, die Augen zu schließen und etwas Ruhe zu finden, aber seine Gedanken wirbelten umher.
Wie in jeder Vollmondnacht fragte er sich, ob es je anders werden würde. Ob er jede Nacht in diesem weichen Bett verbringen könnte. Ohne Angst, ohne Sorgen. Ein leises Klopfen erklang. Cian antwortete nicht, was die Person am anderen Ende wohl als Aufforderung verstand. Beatrice kam mit einem voll beladenen Tablett herein, das sie auf seinem Nachttisch abstellte. Der Duft von Kürbissuppe, Tomantenbrot und Kokoskuchen stieg ihm in die Nase.
"Hast du Hunger?", fragte sie mit betont fröhlicher Stimme.
"Nein.", antwortete Cian, aber sein knurrender Magen strafte ihn Lügen.
Seufzend setzte Beatrice sich auf den Rand des Bettes, das groß genug für drei Personen war.
"Es tut mir leid, dass du so leiden musst. Aber du musst etwas essen. Ich mache mir Sorgen um dich. Du wirst jeden Monat dünner und sprichst nicht mehr uns."
Cian schwieg auch jetzt. Er wollte Beatrice nicht weh tun, aber es tat einfach nur weh, sie anzusehen. Das Haus anzusehen. An Walter zu denken oder die Fotos seiner Eltern zu betrachten. Als das war alleine leichter zu ertragen. Doch das konnte er ihr nicht sagen. Darum drehte sich einfach zur Seite. Beatrice schluchzte leise und schloss wenig später die Tür hinter sich. Cian legte sich wieder auf den Rücken und betrachtete die mit Sternen bemalte Zimmerdecke. Seine Eltern hatten sie angeblich für ihn streichen lassen. Vielleicht war es auch Beatrice gewesen, die anschließend ein schönes Gedenken an sie erschaffen hatte wollen. Cian fand sie etwas kindisch, aber er sah sie nur einmal im Monat. Sie erinnerten ihn daran, dass es andere Zeiten gegeben hatte. Andere Tage, andere Nächte. Wie so oft packte ihn eine unbändige Wut auf seinen Großvater, der überhaupt Schuld an alledem hatte. Wie seine Eltern hatte er ihn nie kennengelernt, aber ihm hätte er zu gerne die Meinung gegeigt. Ihn angeschrien und gefragt, warum er ihm das angetan hatte, auch wenn er damals noch nicht mal eine Tochter gehabt hatte.
Als junger Teenager hatte Cian sich damit zufrieden gegeben, alle Fotos seines Großvaters zu verbrennen, die Beatrice nicht vor ihm hatte retten können. Es war nur ein schwacher Trost gewesen, zuzusehen, wie das Gesicht, das dem seinem viel zu ähnlich war, langsam von den Flammen des Kamins verschluckt worden war.

Der Froschkönig (Märchenadaption)Where stories live. Discover now