Eins

202 19 5
                                    

7 Jahre später

Als ihre Mutter vor der Schule anhielt, rutschte Eileen etwas tiefer in ihren Sitz und zog sich die Kapuze ihres Hoodies ins Gesicht.
"Schatz, ich komm zu spät zur Arbeit."
Ihre Mutter sah streng auf sie herab. Eileen hätte aufmüpfig zurück gestarrt, wenn sie nicht solche Angst gehabt hätte. Sie hasste Neues. Sie war zufrieden in ihrer alten Schule gewesen, wo sie nach dem Unterricht in ihr altes Haus gehen konnte, ob sich danach mit ihrem Laptop in ihrem alten Zimmer auf die alte Couch setzen zu können. Aber hier schlug jede neue Erfahrung, jedes neue Gebäude, jedes neue Gesicht, auf sie ein wie eine riesige Welle. Dieser Gedanke ließ sie erschaudern.
"Eileen.", drängte ihre Mutter erneut. "Dich wird schon keiner beißen."
Mit zitternden Fingern öffnete Eileen die Tür. Sie dachte gar nicht daran, sich von ihrer Mutter zu verabschieden. Zumindest diesen kleinen Protest brachte sie auf. Sie drückte ihren Rucksack wie einen Schutzschild an sich und trottete so zum Eingang. Einige Blicke folgten ihr, aber sie blendete sie so gut wie möglich aus und suchte die Türen nach dem Lehrerzimmer ab. Die Schule war schon alt. Der Boden war aus Holz und den Wänden hätte ein Anstrich sicher gut getan.
Eileen ignorierte das erste Klingeln, das wohl darauf hinwies, dass der Unterricht in fünf Minuten begann. Die Schüler schoben sich wortlos an ihr vorbei in ihre Klassen. Sie atmete schon erleichtert auf, als ein Mädchen in etwa ihrem Alter stehenblieb. Ihre Rehaugen wirkten gerade zu riesig hinter den Gläsern ihrer Brille. Sie musterte sie eingehend, eher sie lächelte.
"Hallo, du musste die Neue sein."
Eileen hatte sich vor genau so einen Moment so sehr gefürchtet, dass sie kein Wort herausbrachte und nur steif nickte. Das Mädchen schien das nicht zu stören. Ihre strohblonden Haare waren zu zwei ordentlichen Zöpfen gebunden und mit der Bluse und dem karierten Blazer wirkte sie beinahe erwachsen. Nur ihre rundes Gesicht und das Funkeln in den Augen ließen sie wirklich jung wirken.
"Suchst du das Lehrerzimmer? Ich bringe dich gerne hin. Wie heißt du eigentlich?"
Eileen hatte nicht mal eine der Fragen beantwortet, da schob das Mädchen sie auch schon vorwärts.
"Eileen.", murmelte sie, da sie nicht ganz so unhöflich sein wollte.
"Ich bin Belinda. Aber nenn mich einfach Billie. Vielleicht kommst du ja in unsere Klasse!"
Vor einer hell gestrichenen Tür kam sie zum Stehen und klopfte ein paarmal.
Eine Frau im mittleren Alter öffnete. Sie sah erst Billie und dann Eileen eingehend an. Ein Lächeln breitete sich auf ihren dezent geschminkten Lippen aus. Eileen hatte das Gefühl, dass nicht sehr ernst gemeint war.
"Eileen Connor, schätze ich mal."
Sie betonte jede einzelne Silbe, als wäre der Name nur eine Lüge, bei der sie Eileen ertappt hatte.
"Danke, dass du sie begleitet hast, Belinda. Du kannst in die Klasse gehen."
Billie nickte ihr noch kurz zu, eher sie in Windeseile um Ecke verschwand. Eileen sah ihr etwas wehmütig hinterher. Ihre Nähe war immer noch angenehmer gewesen, als die dieser Lehrerin.
"Ich bin Professor Douglas. So wie es aussieht, bist du bei mir in der Klasse." Sie verschwand kurz in dem großen Raum hinter ihr, der mit Schreibtischen, einfachen Holzstühlen und einer Kaffeemaschine ausgestattet war. Augenblicke darauf drückte sie Eileen einen Bücherstapel in die Hand und deutete ihr, mitzukommen. Eileen hatte Mühe, Professor Douglas zu folgen und dabei das Dutzend Bücher auf ihren Armen nicht fallen zu lassen. Vor der Klassentür wäre sie beinahe in die Lehrerin hineingerannt. In der Klasse war es stickig und eng. Eileen wurde von rund fünfzehn Augenpaaren beobachtet, als sie sich unsicher vor die Tafel stellte.
"Guten Morgen.", begann Professor Douglas ohne Umschweife. "Das ist Eileen Connor. Sie verbringt ihr letztes Schuljahr hier bei uns. Hinten ist noch ein Platz frei. Hebt euch eure Fragen für die Pause auf, wir haben von gestern noch einiges nachzuholen."
Eileen schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass keine Vorstellrunden wie an ihrer alten Schule gab. Außerdem sah sie Billie in der vorletzten Reihe sitzen. Das Mädchen redete zwar etwas viel, aber sie war freundlich und lächelte sie auch jetzt breit an. Unsicher erwiderte Eileen ihr Lächeln und ließ sich auf ihren Platz fallen. Viele drehten sich ein paarmal zu ihr um, aber Professor Douglas zog die Aufmerksamkeit immer wieder schnell auf sich. Sie redete über Moleküle. Währenddessen blätterte Eileen ihre neuen Schulbücher durch und fand in einem auf der ersten Seite ihren Stundenplan. Sie blendete irgendwie Douglas Stimme ganz aus, da sie dieses Thema schon in vor einem Jahr gelernt hatte. Zwei scheinbar lange Stunden verstrichen, eher es zur ersten Pause läutete. Billie war sofort bei ihr, genau wie vier weitere Mädchen und zwei Jungs. Alle fragten dasselbe. Woher sie kam, warum sie in dieses Kaff gezogen war und wie es ihr bis jetzt gefiel. Die Namen konnte Eileen sich unmöglich merken und die Mädchen konnte sie auch nicht auseinander halten, da die meisten von ihnen dieselbe Frisur und dieselbe Kleidung zu tragen schienen. Sie hätte nicht gedacht, dass sich Markenmodetrends bis in ein Dorf durchsetzen würden, dass von dem nächsten Einkaufszentrum fast eine Stunde Autofahrt entfernt war. Das Grüppchen verlor auch schnell wieder das Interesse an ihr, nur Billie blieb bei ihr.
"Hast du irgendwelche Fragen? Soll ich dir in der Mittagspause die Schule zeigen?"
Eileen nickte dankbar.
"Das wäre nett."
Ein schlaksiger Junge kam an ihren Tisch und hielt ihr die Hand hin.
"Hey, ich bin Reed. Billie hat dich wohl schon unter ihre Fittiche genommen. Immer noch besser als-"
Billie verpasste ihm einen Stoß mit dem Ellbogen und sah ihn drohend an.
"Sie soll sich ihre eigenen Meinung bilden."
Reed verdrehte die Augen, beließ es aber dabei. Er hatte eine sehr direkte Art, was Eileen sowohl etwas einschüchterte als auch sympathisch find. Er und Billie waren die Einzigen, die sie wirklich nett fand. In der Mittagspause holten sie sich aus einer Bäckerei gegenüber der Schule etwas zu essen und dann begann Billie mit ihrer Führung. Sie fügte historische und architektonische Fakten bei beinahe jeder Tür und jeder Treppe hinzu. Eileen sah Reed bei allem dem Wissen erstaunt an. Er zwinkerte.
"Ja, unsere Billie ist ein wandelndes Lexikon."
Aber sie schien in gar nicht zu hören, da sie gerade in einen Vortrag über die große Tanne im Hof vertieft war. Eileen musste einige Male lachen. Vielleicht war es nicht ganz so schlimm, wie erwartet.

Der Froschkönig (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt