Sechzehn

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Reed lebte mit seinen Eltern in einem großen Haus am nahen Stadtrand. 
Ihnen gehörte außerdem ein ganzes Waldstück, das ebenfalls einen See beinhaltete. Er war deutlich größer als ihr See. 
Bei seinem Anblick zog sich Eileens Herz zusammen. Nicht mehr aus Angst, was sie erleichtert aufatmen ließ. 
Aber dort draußen, bei den Hügeln, das war nicht ihr See.
Vielleicht gehörte er zu Cians Gründstück, vielleicht auch nicht. Aber ihr gehörte er nicht. Nicht mal auf eine emotionale Weise. Genauso wenig wie...
"Hey, es fängt gleich wieder an zu regnen! Willst du nicht ins Haus kommen?"
Sie drehte sich zu Reed um, der ihr von der Terrasse aus zuwinkte.
"Ich komm schon!", rief sie und lief über die Wiese nach oben zurück zum Haus.
Reeds Eltern waren meist auf Geschäftsreise.
Er hatte sie und Billie eingeladen. Billie verspätete sich, weil sie noch einen Aufsatz fertig schreiben wollte.
Reed ging in die riesige Küche, die nur aus schwarz und grau zu bestehen schien, und füllte zwei Gläser mit Zitronenlimonade. 
"Also", begann Eileen, nachdem sie sich damit auf der breiten Ledercouch niedergelassen hatten. "Was hast du nach dem Abschluss vor?"
Natürlich hoffte sie so, Billie mit der Antwort etwas beruhigen zu können, aber Reed war ihr ebenfalls als Freund wichtig geworden, weshalb sie auch ein persönliches Interesse daran hatte. 
"Ganz ehrlich? Ich hab keine Ahnung. Was ist mir dir, Lee? Du redest weder großartig über deine Vergangenheit, noch deine Zukunft."
"Huch, das klingt ja dramatisch."
Reed lachte leise und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas.
"Tut mir leid, aber leider die Wahrheit. Sag schon, was sind deine Pläne? Wünsche? Träume?"
"Mmh, du solltest ans Theater. Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich es auch nicht. Ich war irgendwie nie besonders gut in etwas. Immer nur durchschnittlich."
"Ach was, es gibt sicher irgendetwas."
Eileen zuckte mit den Schultern. 
"Wenn, dann weiß ich nichts davon."
"Kunst?"
"Ich kann Farbkleckse auf eine Leinwand malen."
"Musik?"
"Das tu ich deinen Ohren nicht an."
"Sport?"
Eileen lachte bloß.
"Was ist mit Zahlen? Vielleicht kann Billie dir ein paar Sachen mit Buchhaltung oder Mathe oder was auch immer beibringen...", schlug Reed vor.
"Du weißt, was ich auf die letzten Mathearbeit bekommen habe, oder?"
"Was ist mit Sprachen?"
"Keine Ahnung, ich bin nicht schlecht in Französisch, aber damit arbeiten..."
"Hast du dir nie Gedanken darüber gemacht, was du später einmal machen willst?"
"Hey, stell mich nicht allein an den Pranger! Du hast genauso wenig einen Plan."
"Vielleicht haben wir eine glorreiche Geschäftsidee und gründen gemeinsam ein Unternehmen. Dann brauchen wir keinen Plan mehr."
"Wäre eine Geschäftsidee nicht trotzdem ein Plan?"
"Ach, Lee, bitte stell meine Genialität nicht in Frage."
Sie musste lachen.
"Wenn wir tatsächlich eine gute Idee haben, dann bist du mein Geschäftspartner, Reed, versprochen."
Sie stießen mit den Gläsern an.

Eileen stieß einen spitzen Schrei aus und hielt sich die Decke vors Gesicht.
"Was habt ihr denn?", fragte Billie. "Das ist doch kein Horrorfilm."
"Bist du dir da sicher?", grummelte Reed, der großes Interesse an der Decke zu haben schien. 
"Laut Internet ist das Genre Mystery und er ist schon ab 16, also seid nicht solche Babys."
"Hast du eine sadistische Ader, von der ich nichts wusste?", fragte Reed.
"Vielleicht ist sie auch nur eine Soziopathin.", meinte Eileen.
Billie lachte und schob sich noch Popcorn in den Mund.
"Abgesehen davon ist die Beleuchtung grauenhaft. Und was soll das für ein Kamerawinkel sein?", fuhr Eileen fort.
"Danke, dass es mal jemand anspricht.", erwiderte Reed. 
Billie sah zwischen den beiden hin und her. 
"Seit wann... warte mal, Eileen, hast du etwa Ahnung von Bildern?"
"Keine Ahnung. Es ist mir nur aufgefallen."
"Reed hat Ahnung von Fotografie. Vielleicht kann er dir was beibringen."
Reed sah zu Eileen.
"Könnte das deine Sache sein?"
"Ich weiß es nicht. Vielleicht. Wir können es ja versuchen."
Grinsend warf Reed die Decke zur Seite, unter sie sich zu dritt eingekuschelt hatten, und sprang auf. Er lief zu einem der Schränke im Wohnzimmer. 
Eileen erhaschte einen kurzen Blick auf diverse Bücher und kleine Statuen, die wie Souvenirs aus anderen Ländern aussahen. 
Reed kramte sich kurz durch die Regale, eher er mit einer schwarzen Tasche aus Kunstleder zurückkam. Er öffnete sie und holte eine einfache Kamera heraus, die schon gute zehn Jahre auf dem Buckel haben musste.
"Hier, versuch mal ein paar Fotos damit zu machen. Wir sehen sie uns am Freitag und dann wissen wir, ob du das Talent hast, das unsere liebe Billie hier vermutet. Und ich ehrlich gesagt auch."
Prüfend sah sich Eileen den kleinen Apparat an, schaltete die Kamera ein und aus und lugte durch die Linse.
"Ist eine Speicherkarte drin?"
"Ja, sie müsste sogar leer sein."
"Danke, Reed. Ist es für deine Eltern wirklich in Ordnung, wenn ich sie mir ausleihe?"
"Ach, die wissen gar nicht, dass das Ding noch existiert."
"Vielleicht ist das wirklich dein Talent.", meinte Billie.
"Ich hab doch bisher kein einziges Foto gemacht.", antwortete Eileen.
"Ist nur so ein Gefühl. Können wir jetzt den Film weiterschauen?"
Reed verzog das Gesicht.
"Warum können wir uns keine Komödie ansehen?"
"Weil der beste Teil noch gar nicht gekommen ist."
"Kommt da etwa noch mehr Blut?", fragte Eileen. 
"Nein, aber dafür kommt jetzt ans Licht, wer ihr Mörder."
Eileen ließ die Kamera sinken und sah Billie an.
"Warte mal... wir haben uns doch letztens über Fiona und Heather unterhalten. Weißt du noch etwas über Fiona?"
"Nein, warum? Bist du wieder Heather begegnet?"
"Nein. Es ist nur... es ist mir gerade wieder eingefallen. Das Thema ist einfach interessant."
Sie gab sich Mühe, möglichst unbeschwert zu klingen.
"Oh, ja, das ist es. Darum hab ich damals für das für das Referat so gut recherchiert wie ich konnte."
"Sie wohnte mit ihrer Schwester in dem Haus beim Mohnfeld."
Beide sahen überrascht zu Reed.
"Woher weißt du das?"
"Von meinen Eltern. Mein Vater war doch früher Bürgermeister und ich hab sie mal über die alten Grundstücke reden hören."
"Und das erzählst du mir erst jetzt?", zischte Billie.
Reed verschränkte die Arme.
"Ich wusste, dass du dort rufschnüffeln wollen würdest. Entschuldige, dass ich nicht vorhatte, dich in einem baufälligen Haus irgendwo durch die Böden krachen zu lassen."
Eileen hörte nur noch halb zu. 
Sie rappelte sich hoch und rannte zur Garderobe. 
"Hey, was hast du vor?", rief Billie ihr hinter her.
"Ich muss etwas prüfen, sofort."
Erstaunt stellte sie fest, dass Reed und Billie sich ebenfalls ihre Schuhe anzogen und Jacken überwarfen.
"Was tut ihr?"
"Das klang, als hättest du etwas Interessantes vor.", meinte Reed mit einem Zwinkern.
Eileen warf den beiden ein dankbares Lächeln zu.

Der Froschkönig (Märchenadaption)Where stories live. Discover now