Vierzehn

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Prüfend hielt Eileen einen blauen Hoodie mit dem Logo eines Dubliner Eishockeyteams, das Reed förmlich verehrte, hoch.
"Meinst du, der würde ihm als Geschenk gefallen?", fragte sie.
Als sie keine Antwort bekam, sah sie zu Billie, die gedankenverloren zu den Schaufensterpuppen starrte.
Eileen fuchelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.
"Jemand zu Hause?"
"Was? Ja, er mag rot."
"Was hast du?", fragte Eileen und gab den Pulli in ihren Einkaufskorb.
Sie waren in die nächste Stadt gefahren, um Geschenke für Reed zu kaufen. Die Läden hatten nur noch gut eine Stunde geöffnet, weshalb es nicht hilfreich war, dass Billie mit ihren Gedanken ständig woanders war.
"Reed wird achtzehn.", meinte sie.
"Ähm... ja. Darum sind wir ja hier."
"Nein, ich meine... er ist dann erwachsen. Er wird hier weggehen und..."
Sie brach den Satz ab und begann, mit einem ihrer Zöpfe zu spielen.
"Das weißt du doch gar nicht."
"Wir leben in einem Kaff, Lee. Fast jeder geht weg. Und Reed wollte schon immer die Welt sehen."
"Wir sind doch alle im letzten Jahr. Warum siehst du dir nicht mit ihm die Welt an?"
Nachdenklich ließ Billie ihre Hand über die Kleider an der Stange neben ihnen gleiten.
"Unsere Pläne unterscheiden sich. Ich will hier bleiben. Ich will bei meinem Vater und meinem Bruder bleiben, einen guten Job irgendwo in der Nähe finden. Unser Ort ist ein Kaff, aber ich liebe unser Kaff. Nach dem Tod meiner Mutter bin ich zu meinem Vater und Thomas hier her gezogen. Natürlich vermisse ich Galway manchmal, trotzdem ich würde nirgendwo lieber sein wollen als hier.
Aber der Gedanke, Reed nicht mehr jeden Tag zu sehen... oder vielleicht sogar nie wieder..."
"Das würde er doch nie tun. Du bist ihm wichtig, Billie, das sieht man doch. Er würde nie einfach aus deinem Leben verschwinden."
Billie lächelte Eileen traurig an und umarmte sie.
"Bitte sag mir, dass du nicht auch weg willst."
Eileen dachte nach.
Schließlich löste Billie sich wieder von ihr und sah sie an.
"Oh, das... Warte, willst du?"
"Ganz ehrlich... als ich hergekommen bin, wollte ich sofort zurück nach Dublin. Ich hab es gehasst, hier sein zu müssen. Aber dann hab ich angefangen, mich in dem Haus wohlzufühlen. Meine Mum ist so glücklich und das scheint... keine Ahnung... auf mich abzufärben."
Sie grinste.
"Und dann sind da noch so eine blonde, liebenswürdige Streberin und ein rothaariger Klassenclown, die mir leider unfassbar ans Herz gewachsen sind."
Billies Augen glänzten verdächtig und sie fiel Eileen erneut um den Hals. Lächelnd erwiderte sie die feste Umarmung und schob beiseite, was ihre verräterischen Gedanken hinzugefügt hatten.
Und Cian...

Es regnete, als sie in den Bus nach Hause stiegen.
Eileen hatte sich für den Pullover als Geschenk entschieden.
Billie war in einem Buchladen verschwunden war so schnell wieder herausgekommen, dass Eileen gar nicht mitbekommen hatte, was sie dort gekauft hatte.
Sie konnte sich zwar schlecht vorstellen, dass Reed mit einem Buch glücklich werden würde, aber Billie kannte ihn besser als jeder andere. Sie würde schon wissen, was sie tat.
Während der Fahrt betrachtete Eileen die Tropfen, die über die Scheibe liefen und dachte an den nächsten Tag.
Was hatte Cian vor? 
Was dachte er denn, wie er ihr ihre Angst nehmen wollte?
Trotzdem musste sie lächeln. Es rührte sie einfach, was er für sie tun wollte.
"Oh, oh, das Lächeln kenn ich."
Sie fuhr zu Billie herum und spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen.
"Was?"
"Bitte, den Ausdruck hab ich schon hunderte Male bei Betty gesehen, wenn Reed nur geatmet hat. Natürlich kann ich dich im Gegensatz zu ihr leiden. Aber du weißt, was ich meine. Also, was hast du mir da noch nicht erzählt?"
"Ich... ähm... es ist nichts..."
"Ach, komm. Du warst jetzt schon so oft allein im Wald. Da stellt sich mir doch die Frage, ob du wirklich immer allein warst. Vielleicht hast du da ja jemanden getroffen."
"Nein... also... ich..."
"Also doch. Sag schon, wer ist es?"
"Es ist nicht so, wie du denkst..."
"Wie ist es denn?", bohrte Billie breit grinsend weiter nach.
"Es ist nichts Romantisches, nur... es war bloß Zufall und wir... sind nicht mal Freunde. Denke ich."
"Jetzt sag schon, wer ist es?"
Eileen biss sich auf die Lippe.
"Cian Fitzgerald?"
Billies Mund klappte wortwörtlich auf.
Sie starrte Eileen ungläubig an.
"Cian. Fitzgerald. Mit dem triffst du dich heimlich?"
"Wir treffen uns nicht! Es war wie gesagt eher Zufall und dann-"
Sie konnte Billie nichts von dem Foto erzählen. Sie vertraute ihrer Freundin, aber das war eine Sache, die nur ihre Familien zu betreffen schien.
Cians Freunde hatten sich ihnen gegenüber unmöglich verhalten und er hatte nichts getan, um das zu verhindern, aber sein Vertrauen konnte sie deswegen trotzdem nicht missbrauchen.
Das wäre nicht fair.
"Wir besuchen gerne denselben See und unterhalten uns hin und wieder. Das ist nichts Außergewöhnliches."
Billie sah sie prüfend an.
"Wenn du mir noch etwas erzählen willst, kannst du das natürlich immer. Aber bitte, bitte sei vorsichtig mit ihm, Lee. Ich weiß, das klingt nach einem Klischee, aber ich geh mit ihm seit zehn Jahren auf dieselbe Schule. Ich hab schon mehr Mädchen wegen ihm auf der Toilette heulen gesehen, als ich zählen kann. Und du weißt, ich bin gut mit Zahlen."
Eileen griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz.
"Danke, Billie. Ich mach nichts Dummes, versprochen."

Eileen atmete erleichtert auf, als sie zu Hause feststellte, dass George endlich weg war.
"Hallo, Schatz, wie war's in der Stadt?", hörte sie ihre Mutter aus dem Wohnzimmer rufen.
Müde streifte Eileen sich ihre Turnschuhe ab und trottete zu ihr. Sie ließ sich auf das weiche Sofa fallen und wäre am liebsten sofort eingeschlafen.
"Ganz gut. Ich hab ein Geschenk gefunden. Wie war's mit George?"
Ihre Mutter wurde tatsächlich rot und sah schuldbewusst zur Seite.
"Es tut mir leid, wenn ich dich mit seinem Besuch überfallen habe, es ist nur..."
Eileen konnte nicht wütend sein, auch wenn sie es wollte.
Sie setzte sich auf und legte ihrer Mutter einen Arm um die Schultern.
"Mir tut es auch leid. Ich freu mich wirklich für dich, wenn George dich glücklich macht. Und er wirkt auch wirklich lieb. Nur bitte versprich mir, dass er nicht gleich nach ein paar Monaten hier einzieht. Es ist alles noch so... neu und ich muss mich erst mal daran gewöhnen, wie es jetzt ist."
Ihre Mutter lachte leise und drückte ihr einen Kuss auf den Haarscheitel.
"Ich brauch auch Zeit, mein Schatz. George tut mir gut, ich geb's zu, aber jetzt sind erst mal nur wir zwei wichtig. Wir konzentrieren uns mal nur auf uns, das haben wir in Dublin nie."
Eileen stimmte ihr innerlich zu. Immer hatten sie sich nach dem Terminkalender ihres Vaters gerichtet. Damit war Schluss.
"Ich hab dich lieb, Mum.", murmelte sie und drückte sie enger an sich.
"Ich dich auch, Schatz. Mehr als alles auf der Welt."

Der Froschkönig (Märchenadaption)Where stories live. Discover now