Zwanzig

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Eileen hielt sich von Billie und Reed den restlichen Tag über fern.
Es tat ihr weh und die beiden sahen sie oft genug entschuldigend an, aber sie war immer noch wütend.
Und das flattrige, warme Gefühl, das sie bei dem Gedanken an ihren Besuch beim See empfand, machte die ganze Sache nicht gerade besser.
Sie war glücklich und wollte deswegen nicht von den beiden aufgezogen werden.
Nach dem Unterricht wollte Billie mit ihr reden, aber sie schob sich an ihr vorbei und stieg schnell aufs Rad, eher einer beiden ihr folgen konnte.
Sie fuhr direkt nach Hause und wollte sich mit dem Lernen ablenken.
Sie wollte wegen all dem, was momentan ihr Leben durcheinander brachte, nicht ihre Noten leiden lassen. Das Problem dabei war nur, dass es unmöglich war, sich konzentrieren.
Ihre Mutter kam früh nach Hause.
Sie stellte ein paar Einkäufe in der Küche ab und setzte sich dann zu Eileen aufs Sofa, so sie es sich mit ihren Mathebuch gemütlich gemacht hatte.
"Willst du endlich mit mir reden?", fragte ihre Mutter.
Eileen presste die Lippen aufeinander und legte ihren Notizblock beiseite.
"Du bist sogar die Einzige, mit der ich reden will."
"Was ist los? Geht es um unsere Familie?"
Eileen sah in die traurigen Augen ihrer Mutter.
Sie konnte nicht mehr alles von ihr verheimlichen. Sie wollte nicht mehr alles von ihr verheimlichen.
Also erzählte sie ihr, wie Cian mit dem Foto zu ihr gekommen war und warum sie deshalb so neugierig auf ihre Familiengeschichte geworden war.
Sie erzählte ihr auch von ihren Freunden, die wütend waren, weil sie Cian dadurch näher gekommen war.
Sie betonte allerdings, dass es eine platonische Ebene war.
Alles musste ihre Mutter ja nicht wissen.
Als sie fertig erzählt hatte, kam es ihr vor, als wäre ihr ein Stein vom Herzen gefallen.
Ihre Mutter strich ihr kurz übers Haar und lächelte dann traurig.
"Ich verstehe, warum du dieses Rätsel unbedingt lösen willst. Ich hab nur Angst, dass es dir genauso viel Kummer bereitet wie mir. Wie schon deiner Großmutter. Versprich mir einfach, dass du dich nicht in eine Sache verläufst, die vielleicht niemand wirklich verstehen kann."
Eileen ließ sich von ihr fest in den Arm nehmen und gab ihr das Versprechen.
Sie hoffte nur, dass sie es auch halten konnte.

Am Tag vor Reeds Party wurde das Schweigen zwischen Eileen und ihren Freunden langsam wirklich nicht mehr erträglich.
Sie war verletzt, ja, aber es tat auch weh, die beiden nicht mehr um sich zu haben.
Sie waren die besten Freunde, die sie je gehabt hatte. Und diese Freundschaft wegen einem Jungen wegzuwerfen kam ihr falsch vor.
Als sie zufällig in die Mädchentoilette trat, wo Billie sich gerade die Hände wusch, begegnete sie dem warmen Blick ihrer Freundin.
"Wir müssen reden.", platzte es aus ihr heraus, gleichzeitig als Billie sagte: "Ich will nicht mehr streiten."
Beide brachen in erleichtertes Gelächter aus.
Eileen ging zu ihr und umarmte sie. Billie erwiderte die Umarmung fest und schniefte.
"Tut mir leid.", seufzte sie. "Tut mir wirklich, wirklich leid."
"Mir auch.", antwortete Eileen.
"Jetzt muss sich nur noch Reed entschuldigen.", stellte Billie fest. "Es wäre ziemlich filmreif gewesen, wenn er zufällig vorbeigekommen wäre und wir uns zu dritt umarmt hätten."
"In der Mädchentoilette?", fragte Eileen amüsiert.
"Genau deswegen. Er hätte vermutlich einen Schulverweis bekommen, aber vielleicht auch einen Oscar."
"Hm, sollte er nicht eigentlich einen Oscar für den besten Kuss bekommen? Mit dir zum Beispiel? Bei seiner Party morgen? Das wäre eine gute Gelegenheit, Billie."
Die Augen ihrer Freundin wurden noch größer und sie starrte Eileen an.
"Was für... wofür eine Gelegenheit... ich weiß nicht, was-"
Eileen hob bloß die Augenbrauen.
"Du versuchst jetzt nicht gerade wirklich, deine Gefühle für ihn abzustreiten, oder? Ich verbringe den ganzen Tag mit euch. Ich bin nicht blind."
Mit einem tiefen Seufzen lehnte Billie sich gegen das Waschbecken hinter ihr und nahm ihre Brille ab, um die Gläser mit einem Tuch zu reinigen.
Eileen vermutete allerdings, dass sie nur etwas zu tun haben wollte.
"Dazu gehören immer zwei, Lee. Ja, Reed ist nett zu mir, aber er ist zu allen nett. Nur weil wir gute Freunde sind, heißt das nicht, dass er mich auch mehr mag."
"Aber wie willst du es denn herausfinden, wenn du nichts unternimmst?"
Billie verschränkte die Arme und sah sie ernst an.
"Unternimmst du denn etwas wegen Cian?"
Die Frage war berechtigt.
Zum ersten Mal fühlte Eileen sich sogar mutig genug, etwas von sich aus zu unternehmen. Und Cians Verhalten schien ebenfalls auf mehr als eine Freundschaft hinzudeuten.
Sie hatte auch nicht mehr die Befürchtung, dass er mit ihr spielte.
Aber er hielt sich aus einem anderen Grund zurück. Sie spürte, dass ihn etwas belastete und hatte für sich beschlossen, ihm etwas Zeit zu geben.
"Es ist nicht der richtige Moment.", gab sie missmutig zurück.
"Bei mir scheint es seit zehn Jahren nicht der richtige Moment zu sein.", brummte Billie.
"Immer, wenn ich ihn darauf ansprechen wollte, kam eine Betty oder eine Ella oder eine Celine, der er schöne Augen gemacht hat, und mein Mut war weg. Ich wollte ihn weder als Freund verlieren, noch wollte ich, hätte er überhaupt je romantisches Interesse an mir gehabt, auf seiner Liste landen."
"Aber du bist doch nicht wie die anderen. Ihm bist du wichtig. Sehr sogar."
"Ja, das sagst du. Aber solange er mir das nicht selbst sagt, kann ich einfach nicht daran glauben."
"Versteh ich gut."
Die Schulglocke ertönte vom Gang aus.
"Dann muss ich es mir wohl verkneifen.", meinte Eileen. "Du hast jetzt auch Geschichte, oder?"
"Jep, genau wie Reed. Er riecht wahrscheinlich, dass wir über ihn geredet haben."
"Wie das?"
"Ach, sein Superego kann das. Na komm, wir kommen sonst zu spät."
Billies Sorge war unbegründet.
Professor Murray war noch nicht da.
Dafür lag ein kleiner Teddybär auf Eileens Platz.
Sie sah zu Billie, die abwehrend die Hände hob.
"Ich weiß von nichts."
Der Teddybär hatte ein Stück Papier umgebunden.
Eileen nahm es ihm ab und entrollte es.

"Es tut uns wirklich leid. Vor allem mir, ich hab den Bären gekauft. Aber Billie entschuldigt sich auch noch!

- Reed"

Als Eileen wieder hochsah, stand Reed bei ihnen und sah sie abwartend an.
"Kommt nie wieder vor, Lee. Ich schwöre!"
Er bekreuzigte sich.
Eileen schmunzelte und nahm in den Arm.
"Du bist echt unmöglich."

Der Froschkönig (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt