Prolog "Wiedersehen"

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Dicke Regenwolken kündigten den herannahenden Abend an, während die Sonne am Horizont noch letzte warme Strahlen spendete. Die Einwohner von Francollarts beendeten langsam ihre Feldarbeiten und zogen sich zügig und voller Vorfreude in ihre gemütlichen Stuben zurück, in welchen es bereits nach allerlei schmackhaften Speisen duftete. Selbstverständlich musste, um den Geschmack abzurunden, entweder Est Est oder Erveluce zur Mahlzeit getrunken werden. Im Verlauf des Abends wurden Kerzen zum Erhellen der Wohnbereiche angezündet und die Fensterläden geschlossen bis sich schließlich die Nacht herabsenkte und eine friedliche Stille im Dorf einkehrte.

Verließ man das Dorf in östlicher Richtung führte der Pfad in einen dichten Mischwald. Keiner der Dorfbewohner wagte es, auch nur einen Fuß in dieses Habitat zu setzen. Dieser Wald war verflucht und übernatürliche Bestien wohnten darin. Bestien, welche direkt aus einem Albtraum zu stammen schienen. Höllenhunde, Neblinge, Nachtmahre und allerlei anderer Monstrositäten. Doch damit nicht genug! Es wurde gemunkelt, dass eine Bestie in Beauclair ihr Unwesen trieb. Redliche Ritter wurden kaltblütig ermordet und nicht einmal ein Hexer schien dem Problem gewachsen zu sein. Nach einem Aufeinandertreffen konnte die Bestie fliehen und die lange verschollene Schwester der Königin wurde während der Flucht des Monsters, von diesem eiskalt getötet. Zeugen behaupteten sogar, dass der Hexer das Monster habe ziehen lassen! Welch ein Affront!

Doch neben dem tratschenden Dorf Volk gab es auch eine Handvoll Leute, die das alles nur im Hintergrund wahrnahmen und weiterhin ihr gemütliches Leben in vollen Zügen genossen. Hauptsächlich traf das auf die Männer zu, doch auch die junge Alchemistin Livia Moreau zählte dazu. Tagsüber herrschte in ihrem Atelier ein stetiges Treiben und die Wünsche der Kundschaft umfassten ein breites Spektrum, während sie meist abends die Mixturen anfertigte und diese köcheln ließ. Neben ihrem Haus in Francollarts besaß sie zudem eine kleine Hütte am Eingang des bereits erwähnten verfluchten Waldes. Ihre Alchemiekünste waren in gesamt Toussaint bekannt und selbst aus Beauclair erhielt sie regelmäßig Aufträge, so war es auch nicht verwunderlich, dass die Einwohner von Francollarts ihr mehrmals ans Herz legten ihr Alchemielabor ins Dorf oder zumindest an den Dorfrand zu verlegen. Dies war für die junge Frau jedoch nie eine ernsthafte Option. Sie liebte es hin und wieder für sich zu sein, zudem gehörte dieses Labor bereits ihren Eltern. In diesem hatte ihr Vater ihr beigebracht Tränke zu destillieren und ihre Mutter zeigte ihr dort den richtigen Umgang mit dem Kessel und den Zutaten. Nun versuchten ihre Eltern sich in Kovir ein zweites Standbein aufzubauen, während sie in Toussaint das Geschäft weiterführte. Sie liebte ihre Arbeit und dass nicht nur wegen des Tränkebrauens, sondern auch wegen vereinzelter besonderer Kundschaft.

Sie zündete gerade die erste Kerze im Labor an, als ein Rabe mit dem Schnabel gegen das Fenster hämmerte. Bereits auf dem Weg zur Tür lag ein kleines Lächeln auf ihren Lippen.

"Regis! Es ist schön dich wieder zu sehen. Du hast dich äußerlich kaum verändert und ziehst es anscheinend immer noch vor deine Bekannten abends zu besuchen."

"Am späten Abend ziehen es die meisten Menschen vor, Zeit mit der Familie zu verbringen und sich abzuschotten. Eine nützliche Eigenart, wenn man jemanden Besuchen möchte ohne großes Aufsehen zu erregen. Und gerade in diesem Moment ist es sehr wichtig, dass unser Gespräch nur in diesen vier Wänden bleibt."

Livia stutzte und schaute dem Mann eindringlich in die Augen. "Das hört sich nach einem ernsten Problem an."
"In der Tat und ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich dieses Problem sogar mitgebracht habe."

Die junge Frau hob überrascht die Augenbrauen und begutachtete ihren Freund genauer. "Verflucht siehst du mir nicht aus. Auch Wunden kann ich auf den ersten Blick nicht erkennen."

"Vielen herzlichen Dank für deine Sorge. Meine Wunden sind bereits auf dem Weg hierher wieder vollständig verheilt. Ich würde es vorziehen alles Weitere bei einer warmen Tasse Tee zu besprechen. Ich habe einmal gehört, dass es den menschlichen Konventionen entspricht, wenn", Livia unterbrach Regis und wandte sich bereits zum Wasser kochen.

"Ja, ja. Ich weiß schon Regis. Tee beruhigt die Gemüter und lockert die Stimmung ein wenig auf. Deine Ausdrucksweise erzielt jedoch nicht ganz die von dir gewünschte Wirkung."

Dabei musste der Vampir schmunzeln. "Ich danke dir für deine Gastfreundschaft."

Als sich beide an dem kleinen Rundtisch niederließen und der Tee in der Kanne durchgezogen war begann Regis:
"Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Waren es vier oder fünf Jahre?"

"Für einen Vampir scheint dies so kurz wie ein Wimpernschlag zu sein, doch für uns Menschen sind vier Jahre eine sehr lange Zeit. Ich bin jetzt 21 Jahre alt und damit offiziell kein Kind mehr. Ich darf das Unternehmen meiner Eltern selbstständig weiterführen und gewerblichen Handel mit anderen betreiben."

"Meine liebe Livia. Ich hoffe du entschuldigst meinen kleinen Scherz. Selbstverständlich weiß ich, dass es vier Jahre her ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Leider habe ich es nicht pünktlich zu deinem Geburtstag geschafft, der exakt vor einer Woche war, doch ich habe dennoch ein Geschenk für dich dabei."
Regis zog aus seiner Tasche ein kleines Päckchen hervor und überreichte es Livia. Mit geweiteten Augen nahm sie es und blickte das Päckchen eine Weile schweigend an.

"Stimmt etwas mit dem Geschenk nicht?" Regis sah Livia besorgt an und beugte sich nach vorne. Er stieß dabei mit dem Ellbogen leicht an den Unterteller der Tasse.
"Nein! Ich habe es noch nicht einmal aufgemacht." Livia lachte und schaute andächtig das Päckchen an. "Es ist nur, wie soll ich sagen......., ein sehr komisches Gefühl als Mensch von einem höheren Vampir ein Geburtstagsgeschenk zu bekommen, welches auch noch wunderschön verpackt ist."

Beruhigt ließ sich Regis wieder gegen die Stuhllehne sinken und lächelte sie an. "Meine liebe Livia, du solltest wissen, dass ich mich sehr für die menschlichen Bräuche interessiere. Besonders die Kunst des Geschenkeverpackens hat mir wieder erwarten sehr viel Freude bereitet. Ich möchte mich nur in aller Form für den leicht modrigen Geruch an dem Papier entschuldigen. Die letzten Wochen habe ich in einer Krypta in der Nähe von Beauclair verbracht. Leider war es mir in dieser Zeit nicht möglich dich zu besuchen."

"Eine Krypta? Entschuldige wenn ich das sage, aber meinst du nicht, dass diese Art von Ort zu klischeehaft ist? Hast du auch noch Knoblauch am Eingang aufgehangen und Weihwasser verspritzt?"

Regis räusperte sich und blickte Livia nun ernst an. Ich würde mich gerne weiter mit dir über dieses Thema unterhalten und amüsieren aber leider müssen wir langsam zu etwas ernsterem kommen."

Livia hielt das verpackte Geschenk immer noch fest und wandte ihren Blick Regis zu. Dieser fuhr auch sogleich fort. "Du hast bestimmt von den aktuellen Geschehnissen in Beauclair gehört."

Livia legte das Päckchen auf den Tisch und nahm einen Schluck Tee. "Eigentlich ja, aber auch du solltest meine Kundschaft kennen. Das meiste ist entweder Tratsch über die Heldentaten der fahrenden Ritter, das anstehende Ritterturnier oder von Ungeziefer befallene Weinkeller. Das musst du dir mal vorstellen, letztens kam ein Händler nach Francollarts und meinte allen Ernstes, dass Beauclair über Nacht von einer Schar Vampire angegriffen wurde. Unzählige Tote soll es gegeben haben und die persönlichen Ritter der Königin haben sich vor lauter Angst im Schloss verschanzt. Der Gipfel dieser ganzen Geschichte ist das mysteriöse Auftauchen der älteren Schwester der Königin. Sie starb angeblich auch bei dem ganzen Tumult." Livia winkte ab und nahm noch einen kräftigen Schluck Tee. "Den Leuten in Beauclair sollte man mal den Wein wegnehmen, damit sie wieder zu Sinnen kommen."
Regis saß schweigend am anderen Tischende und hörte sich Livias Zusammenfassung, den Kopf auf die Hand gelehnt, mit gerunzelter Stirn an. Als sie endete stieß er einen schweren Seufzer aus und stand auf. Er lief langsam zum Fenster und sah in die junge Nacht hinaus.

"Regis? Bitte sag mir, dass das nur der Unfug irgendeines betrunkenen Händlers war."

" >Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er dabei nicht selbst zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. < Ein äußerst passendes Zitat eines menschlichen Dichters und Philosophen. Vielleicht kennst du ihn?"

"Regis. Mir ist jetzt nicht nach Philosophie. Du kommst am späten Abend zu mir und begrüßt mich quasi mit den Worten, dass das kommende Gespräch keine Zeugen haben darf. Anschließend eröffnest du mir, dass tatsächlich eine Katastrophe in Beauclair passiert ist und dass du ein Problem mit dabeihast. Was geht hier vor?"

Regis blickte immer noch aus dem Fenster.
"Das meine Liebe, möchte ich dir nun ausführlich erläutern."
Der Regen setzte ein und sollte die komplette Nacht anhalten.

Witcher - Motten fühlen sich vom Licht angezogenWhere stories live. Discover now