Kapitel 5.1 - Lady Elaines Qualen

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„Was ist nur los mit euch beiden? Seit zwei Monaten sprecht ihr fast kein Wort mehr miteinander. Das an sich ist doch schon sehr ungewöhnlich. Ihr wart einmal so unzertrennlich, dass ich fast eifersüchtig auf eure Freundschaft war. Also was ist passiert?" Rickard de Warenne blickte erst seine Schwester Elaine und dann seinen Bruder an. „Elaine?" sie blickte ihn an und erhob sich dann
„Mein lieber Rickard, ich möchte nicht darüber sprechen, fragt doch euren Bruder! Eine gute Nacht" zischte Lady Elaine und rauschte mit flatternden Röcken aus dem Festsaal. Als sie an Isabella vorbeikam, sah sie, wie ihr Tränen die Wangen herunterliefen.
„Alexander, was ist passiert?" fragte Rickard und leerte mit einem Schluck sein Glas leer. Alexander de Warenne lehnte sich in seinem Esszimmerstuhl zurück und seufzte
„Ich fürchte, ich habe sie auf eine Art gekränkt, die nicht so leicht zu verzeihen ist mein Bruder" und sein Blick fiel auf Isabella, die einen Moment innegehalten hatte, um den Lord bei seiner Aussage nicht zu stören. Bei seinem Blick wurde sie jedoch rot, stapelte noch die letzten Tabletts und machte sich auf den Weg zur Küche. Das war ja typisch, nun würde er denken sie lausche! Sie ging hinein, stellte alles ab und überliess den Mägden das Spülen. Isabella holte sich in ihrer Kammer ihren Biberfellmantel, denn sie hatte vor in den Hof zu gehen, um sich etwas abzukühlen. Der Schneefall hatte sich gelegt und überall waren Fussspuren von verschiedenen Tieren zu erkennen. Sie hielt die Kerze tiefer, damit sie sich die Spuren genauer ansehen konnte. Die einen stammten bestimmt von einem Rotfuchs. Sie wollte ihnen ein Stück folgen, doch gleich darauf war die Spur durch andere menschliche Schritte verwischt. Sie führten direkt zum Stall und schienen frisch zu sein. Sie stutzte, wer könnte zu dieser Zeit zum Stall wollen? War etwas mit den Pferden? Isabella hob ihre Kerze und versuchte hinab zum Stall zu sehen, aber sie konnte nichts Auffälliges erkennen. Kurzerhand entschloss sie sich nach dem Rechten zu sehen. Der Schnee war seitlich vor dem Stalltor aufgestapelt, also musste vor kurzem jemand hineingegangen sein. Sie schlüpfte durch das Tor. Die Fackeln an den Steinwänden flackerten im Windzug. Sie hielt inne und lauschte. Sie hörte eine feine weibliche Stimme, die schluchzte und weinte. Eine der Boxentüren war geöffnet und davor lag ein Sattel. Gerade als Isabella weiter gehen wollte, kam eine umhüllte Gestalt aus der Box und wollte den Sattel aufheben. Isabella hielt inne und sah zu dem Mädchen. Sie hob den Sattel und sah dann in ihre Richtung. Sie presste ihre Lippen aufeinander und sagte gequält
„Geh wieder weg... und sag keinem, dass du mich gesehen hast! Schon gar nicht meinem Bruder!" krächzte Elaine de Warenne und weitere Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen.
„Mylady, sie wissen das ich dies nicht tun kann. Was wollen sie denn im Dunkeln hier draussen? Wegreiten? Sie holen sich den Tod!" sagte Isabella sanft.
„Das spielt keine Rolle" sagte Lady Elaine resigniert und setzte sich auf einen Heuhaufen. „Meinen Bruder interessiert es nur, ob er mich jungfräulich verheiraten kann und somit die Last meiner Wenigkeit los ist.... Er hat kein Verständnis! Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht mir zu zuhören. Darum will ich weg. Ich muss fliehen. Kannst du mir nicht helfen?" Isabella war ein wenig überrumpelt. Sie hatte das Wegreiten eigentlich nicht ernstgemeint, aber Lady Elaine schien es ziemlich ernst zu sein. Sie setzte sich neben die junge Frau.
„Ich bin ehrlich gesagt nicht gerade die richtige Ansprechperson Mylady" sagte Isabella „aber das spielt jetzt keine Rolle... Ihr wollt weglaufen Mylady? Wieso? Hat man euch gedemütigt oder gar verletzt?" fragte Isabella ernsthaft. Sie würde ihr persönlich hier raushelfen, sollte das der Fall sein. Doch sie ahnte schon was kommen würde.
„Nein..." und Lady Elaine fing wieder an zu weinen. Sie legte ihren Kopf an die Schulter von Isabella. Sie nahm Lady Elaine in den Arm und tröstete sie.
„Sch... sch... ruhig. Was auch immer euch belastet, teilt es mir mit. Vielleicht kann ich euch helfen oder einfach nur eine Freundin sein, wenn ihr es wünscht". Das Pferd, das in der nun geöffneten Box stand, kam in den Gang hinaus. Es war eine wunderschöne Schimmel Stute. Sie streckte ihren langen Hals zwischen die Beine der beiden Frauen, die auf dem Heu sassen, schnaubte zufrieden und begann das Heu zu fressen.
„Ach Moonlight" sagte Lady Elaine und löste sich etwas aus der Umarmung von Isabella. „Ich weiss es muss dir dumm vorkommen, doch... ich weiss nicht, was ich tun soll..." sagte die Lady schweren Herzens.
„Erzählt mir doch erst einmal was geschehen ist und was euch bis zu diesem Punkt getrieben hat" meinte Isabella und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wusste, dass dieses Mädchen, welches beinahe schon eine Frau war, eher weniger Gesprächspartner oder vertraute Freundinnen besitzen musste. Das tat ihr leid.
„Mein Bruder hat mir, an dem Tag als wir von Cornwall zurückkamen, unterstellt ich hätte etwas Unziemliches mit einem meiner Bewerber getan. Er hat sie als lackaffige Gentlemen und Mitgiftjäger bezeichnet!" Isabella musste lächeln. Der grosse weise Bruder, der seine kleine Schwester beschützen will. Lady Elaine sprach weiter „Er hat mich hingestellt, als würde ich... als würde ich meine Jungfräulichkeit nur allzu leicht freigeben oder als wäre ich leicht zu beeindrucken. Dabei weiss doch jedes Mädchen, welches zur Frau heranwächst, dass wir gefälligst darauf aufpassen sollten! Und gerade er, den man sozusagen in flagranti erwischt hat, wie er sich in einem Arbeitszimmer mit einem Dienstmädchen vergnügt, will mir Vorwürfe machen!" Isabella schluckte, wusste sie, dass sie dieses Dienstmädchen war und hatte sie es nur aus Höflichkeit nicht gesagt? Ihre Wut galt eindeutig ihrem Bruder und nicht der Dienstmagd, aber trotzdem... Elaine de Warenne war inzwischen aufgestanden und hatte sich neben ihr Pferd gestellt. Sie kraulte es liebevoll hinter dem Ohr. Auch Isabella erhob sich und trat zum Pferd
„Es ist immer schwierig sich in die Gedanken anderer hinein zu versetzen und ich hoffe Mylady, sie nehmen mir nicht übel das ich offen spreche, aber ich denke wir würden zu keinem vernünftigen Ende kommen, wenn ich nicht offen sein könnte". Lady Elaine nickte zustimmend. „Gut... Ich denke sie sind mit Recht enttäuscht, dass ihr Bruder denkt, sie hätten sich schändlich verhalten. Und es ist schade, dass ihr Bruder nicht naja... taktvoller mit ihnen darüber gesprochen hat, aber bedenken sie Mylady" und Isabella blickte nun Lady Elaine direkt an „Ihr Bruder liebt sie. Und manchmal da sind die Herren der Schöpfung einfach etwas sehr unbeholfen, wenn es um Dinge geht, die sie fürchten oder gerne umgehen möchten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich nicht sorgen... Männer drücken gewisse Dinge einfach sehr, naja plump aus". Elaine de Warenne schien etwas gemilderter
„Glaubst du? Aber ich habe von vielen Damen und Töchtern, als ich bei Tante Cathy war gehört, dass es den Meisten nur um eine gute Position und Einfluss bei der Heirat ihrer Töchter oder eben ihrer Schwestern geht... gewisse gar, unmögliche Hochzeiten befürworten, bei denen man weiss, dass die Lady ein schlechtes Los gezogen hat" schloss Elaine de Warenne verängstigt.
„Aber Mylady, wieso lassen sie sich davon beeindrucken oder gar verängstigen? Hatten sie je das Gefühl, dass ihr Bruder Alexander de Warenne einer dieser Gentlemen ist?" Isabella machte eine Pause, auch wenn sie nun etwas zu viel preisgeben würde, so musste sie doch dieses Detail Lady Elaine mitteilen. „Mylady, ich kann nur so viel sagen, ihr Bruder würde ihnen niemals so etwas antun. Er liebt sie. Und ich würde ihn niemals für eine kalte berechnende Person halten, der nur Verträge abschliesst, die ihm einen Vorteil bringen. Also ich bitte sie, sprechen sie mit ihrem Bruder darüber und sagen sie ihm was ihnen diese Klatschbasen eingeredet haben" sagte Isabella mit einem Lachen und Lady Elaine wirkte um einiges erleichtert. Sie umarmte Moonlight und wischte sich ihre letzten Tränen ab.
„Ich danke dir für deine Worte. Annabeth hatte recht". Sie schlossen gemeinsam die Pferdebox und Lady Elaine de Warenne nahm ihren kleinen Beutel, den sie für ihre Flucht gepackt hatte und sie gingen zum Stalltor.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt