Kapitel 2.10 - Cornwall

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Zwei Wochen nach dem Sturz von Carson verbesserte sich sein Zustand von Tag zu Tag. Seine Gedächtnislücken und Sprachaussetzer kamen nicht mehr so häufig vor und er hatte auch wieder mehr Farbe im Gesicht. Es war eine intensive Zeit gewesen, denn Carson wollte partout nicht dem Rat von Doktor O'Leary folgen und brachte sich selbst in Gefahr, indem er schon einen Tag nach seinem Sturz die Arbeit wieder aufnehmen wollte. Die Verletzung machte sich auch gleich bemerkbar und Carson sank zu Boden, wobei die Naht aufplatze und Doktor O'Leary erneut gerufen werden musste. Danach hatte de Warenne persönlich Carson eingebläut das Bett zu hüten und ihm gar gedroht, falls er es verlassen sollte, ehe der Doktor sein Einverständnis gab, würde er ihn sofort entlassen.
Isabella stand gerade in der Küche und bereitete das Frühstückstablett für Carson vor. Heute war der erste Tag an dem Doktor O'Leary Carson erlaubt hatte, einen kleinen Spaziergang im Garten zu unternehmen und ihn aber zugleich dringlich ermahnte es gemächlich anzugehen. Als Isabella an die Tür von Carsons Zimmer klopfte, öffnete ihr de Warenne, etwas verdutzt trat sie ein und stellte das Tablett ab.
„Also wie gesagt Carson, ich verlasse mich auf sie" sagte de Warenne. Isabella ging wieder hinaus, doch noch bevor sie die Tür verschliessen konnte, kam auch de Warenne hinaus. Isabella versuchte ihm nicht in seine dunklen Augen zu starren und unternahm einen weiteren Versuch seiner Person wieder einmal zu entkommen, doch sie kam nicht weit. „Miss Grey, darf ich dich kurz sprechen?" Isabella rann es eiskalt den Rücken hinunter. Doch sie blieb stehen, drehte sich um und setzte ein Lächeln auf
„Jawohl Mylord, was kann ich für sie tun?" Alexander liess seinen prüfenden Blick über sie wandern und sagte
„Ich werde heute Abend nach Cornwall aufbrechen, da ich an den Feierlichkeiten meiner Tante teilnehme. Ich werde aber am Sonntagabend, wenn es vorbei ist, zurückreiten. Bis dann trägst du die Verantwortung. Es treffen zwar nach und nach wieder alle Dienstboten hier ein, doch Molly wird erst Anfang September wieder hier sein. Wenn irgendetwas ist, wende dich an Carson, ich habe ihn instruiert. Und ach ja, bevor ich es vergesse... behalte Carson im Auge, sonst wird dieser wieder Übermütig". Er verstummte und eine knisternde Stille legte sich im Korridor nieder. Isabella schluckte, er stand noch immer vor ihr und sah tief in ihre Augen und bevor Isabella etwas erwidern konnte, kam er sachte auf sie zu und strich ihr zart über ihre Wange. Seine Hand war so sanft, als würde eine Gänsefeder über ihr Gesicht streifen. Seine Augen liebkosten ihr Gesicht und verharrten in ihrem Blick. Er sah durch ihre Augen hindurch, fast so als könnte er ihr Innerstes erblicken und all ihre Geheimnisse entlocken. Isabella wurde es abwechselnd heiss und kalt, doch sie sah sich ausser Stande einen Schritt zu tun. Sie wusste, er würde sie erneut küssen und obwohl sie sich einredete, dass sie von diesem Hünen nichts wollte, so wurde ihr doch klar, dass sie sich insgeheim diesen Kuss herbeisehnte. Er senkte langsam sein Haupt hinab und legte sanft seine Lippen auf die ihren. So weich und warm. Isabella gehorchte den stummen Befehlen, die seine Lippen gaben. Sie öffneten sich und boten sich dar... seine Zunge wanderte in ihre Höhle und streichelte ihre. Isabellas Brustspitzen wurden hart, stellten sich auf und fingen an heiss zu glühen. Sie stützte sich auf seinen harten Brustkorb und ihr Körper lechzte danach seine Haut zu fühlen... Seine Hände wanderten zu ihrem Gesäss und umfingen es. Er umfasste ihr Hinterteil und drückte es an sich, damit Isabellas Schenkel die Seinen berührten. Isabella konnte nicht glauben was sie da fühlte. Seine harte Männlichkeit spürte sie deutlich an ihrem Bauch pochen. Er küsste sie noch wilder und leidenschaftlicher und zog sie wieder in dieses wohlig warme Gefühl. Schmetterlinge schienen in ihrem Bauch herumzuflattern und wollten nicht wieder ruhen. Langsam entliess er sie aus seiner Umarmung. Isabella wollte sofort protestieren gegen dieses Verlustgefühl, welches sich in ihr auszubreiten schien. Doch sie war eine Lady... so etwas tut eine Lady nicht... und in diesem Moment wurde ihr deutlicher als zuvor bewusst, dass sie zum Teufel keine Lady mehr war! Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und liess ihre Zunge in seine Höhle wandern. Er öffnete die Augen und sie sah sein brennendes Verlangen. Doch dann schob er sie von sich weg... sie stand vor ihm, ohne zu atmen... sie sah seine Augen, die von brennendem Verlangen in Verachtung umschlugen. „Ich spiele nicht den Ersatz für meinen Bruder!" dann rauschte er an ihr in Richtung Treppe vorbei. Isabella schnappte nach Luft. Was zum Teufel hatte er damit gemeint?! Dachte er etwa, dass sie mit seinem Bruder das Bett teilte?! Das konnte er doch nicht ernsthaft annehmen! Isabella hatte Rickard de Warenne seit dem Vorfall im Gang nicht mehr gesehen. Die Dienstboten hatten sich erzählt, dass Alexander de Warenne seinen Bruder noch am selben Tag nach Cornwall zu seiner Schwester geschickt hatte und er anscheinend Fuchsteufelswild gewesen war. Die Dienstboten waren sich einig gewesen, dass es aufgrund dessen geschehen war, weil er den Befehl missachtet hatte. Isabella jedoch hatte ein ungutes Gefühl, dass nicht nur dies der Auslöser gewesen war...
Vor seiner Abreise hatte sie ihn nur noch aus dem Fenster über der Eingangshalle gesehen, als er auf seinem Araber durch das Eingangstor ritt. Isabella war wütend... wie konnte er nur denken, dass sie sich seinem Bruder an den Hals warf und dann noch behaupten, dass er ihn nicht ersetzen würde?! Wo war sie hier nur hineingeraten! Sie konnte sich nicht erinnern, dass so ein Benehmen je bei ihnen Zuhause vorgefallen war... Doch schon wurde sie in ihren Gedanken, ihn zu verachten, herausgerissen, den ihre Ladyschaft kam gerade die Balustrade entlang, als Isabella die Gobelins abhängte, um sie zu reinigen.
„Lass die Kutsche für mich einspannen und bring mein Gepäck nach unten. Eine Tasche kannst du für dich mitnehmen. Eine Kleine" sagte die Countess im vorbei gehen. Sanfte Röte verfärbte Isabellas Hals, ihr war dieses Benehmen zuwider, wie konnte eine Hochwohlgeborene sich so grob und unzivilisiert verhalten?!
„Verzeihung eure Ladyschaft, aber wohin soll es gehen? Ich kann nicht länger, als einen Tag ausser Haus verbringen, da Carson der Butler mich braucht". Isabella war auf die Reaktion gefasst.
„Sind meine Anweisungen missverständlich?! Ich will, dass du das Gepäck nach unten bringst und die Kutsche bereitstellen lässt! Wir fahren nach Cornwall! Ich will an dem Ball meiner Schwägerin teilnehmen. Carson ist alt genug, um sich um seine Wehwehchen zu kümmern. Ich dulde keine weiteren Widerworte". Diesen letzten Satz zischte sie mehr, als dass sie ihn aussprach und verschwand um die Ecke. Isabella wusste nicht was sie davon halten sollte, doch sie liess von ihrer Arbeit ab und ging in den Stall. Dort war, wie sie gehofft hatte, Walther.
„Walther ein Segen dich hier anzutreffen!"
„Miss Grey... ist etwas geschehen?" fragte Walther besorgt und sah sie an.
„Keine Sorge Walther, alles wie es soll. Nein, ihre Ladyschaft wünscht nach Cornwall zu reisen. Ich muss dich bitten die Kutsche vorzubereiten und nach Mister Howell zu schicken, damit er sich unverzüglich hier einfindet. Und ach ja... bitte bring Emil diesen Zettel. Er muss unbedingt während meiner Abwesenheit nach Carson sehen und natürlich nach dem Earl of Surrey persönlich. Molly kommt erst Anfang September wieder zurück und kann sich erst dann um alles kümmern. Ich würde sie ungern früher aus ihrer freien Zeit holen lassen" sagte Isabella etwas verzweifelt. Es war ihr schleierhaft, weshalb die Countess sie um sich haben wollte, aber ein Befehl war ein Befehl, sie konnte ihn unmöglich verweigern, wenn sie diese Stellung noch eine Weile behalten wollte und das hatte sie vor.
Als sie wenig später mit der Kutsche durchs Tor fuhren, war sich Isabella nicht sicher, was sie von der ganzen Situation halten sollte. Zuerst hatte die Countess darauf bestanden, dass Isabella neben dem Kutscher platz nahm, doch dieser beanspruchte die gesamte Sitzfläche, so dass sie unmöglich neben ihm sitzen konnte. Somit musste die Lady sie wohl oder übel mit sich in der Kutsche fahren oder sie zuhause lassen. Dies würde wohl nur der Anfang einer äusserst unangenehmen und lästigen Reise bedeuten! Die Lady schlief jedoch kurz nach der Abfahrt ein. Das gab ihr die Gelegenheit sie einmal genauer zu betrachten. Sie war eine gemeinhin ansehnliche Frau. Sie besass braunes langes Haar, das nun unter einem eleganten Hut zusammengesteckt war. Im Allgemeinen hatte sie schlanke Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und eine zarte sehr helle mondscheinfarbene Haut. Wenn sie so schlief und man sie betrachtete, würde man niemals davon ausgehen, dass sie ein Biest war. Sie war relativ gross und das konnte den einen oder anderen Mann wohl durchaus einschüchtern. Isabella lenkte ihren Blick nach draussen. Sie fragte sich, was für ein Mensch wohl der alte Lord war. War er wie seine Söhne oder hatte er mehr Ähnlichkeit mit seiner Frau? Seit sie hier angefangen hatte, vor ungefähr fünf Monaten, hatte sie nur einige Kleinigkeiten mitbekommen. Der Lord war immer noch Krank und wenn sie den Hausangestellten gehör schenkte, stand es wirklich schlecht um ihn. Eigentlich war es schon ein Wunder, dass er jetzt noch unter den Lebenden weilte. Zuerst war Isabella davon ausgegangen, dass dies der Countess sehr nahe ging, da sie Wochenlang nie zu sehen war und wenn sie umherwanderte, dann machten sich alle Angestellten aus dem Staub, suchten buchstäblich das Weite. Doch Isabellas Gefühl sagte ihr, dass zwischen ihrem Gemahl und ihr keine Liebe oder ein Gefühl der tiefen Verbundenheit bestand. Es gab vielleicht höchstens Verständnis, mehr nicht. Natürlich sah sie nur die Seite der Countess. Doch Trauer einer liebenden Frau sah anders aus. Naja was kümmerte es sie, ob es Liebe war oder nicht. Die meisten Ehen wurden zweckmässig geschlossen. Warum sollte es bei den Engländern anders sein? Sie schüttelte sich innerlich und liess von diesen Gedankengängen, die sie überhaupt nichts angingen, ab. Vor der Abfahrt hatte Isabella Carson einen Besuch abgestattet. Dieser meinte, dass es ihm nichts ausmache und er selbst schon wieder seiner Tätigkeit nachgehen könne. Doch sie konnte ihn davon überzeugen, dass er sicher noch zwei Tage Bettruhe brauchte und dass Emil nach ihm sehen werde. Jedoch war Isabella überzeugt, dass Carson bestimmt jetzt schon auf den Beinen stand, um nach dem Rechten zu sehen. In der Zeit für die sie Carson zur Seite gestanden hatte, hatte sich eine solide Freundschaft entwickelt. Carson war ein typischer Butler, er lebte diese Arbeit. Er verkörperte sie vollkommen. Er war durch und durch Butler in allen Fasern seines Herzens. Durch Carson an ihrer Seite hatte Isabella einen weiteren Verbündeten neben Molly, wodurch sie die empörten Blicke, Tuschelaien und unangebrachten Bemerkungen von Amelia und Dina ertragen konnte. Sie sah aus dem Fenster. Mittlerweile hatte es schon eingedunkelt und die Lady hatte ausdrücklich befohlen die ganze Nacht durch zu reisen. Die Reise würde ungefähr drei Tage beanspruchen, sofern die Wege passierbar waren. Nun verspürte auch Isabella ein wenig Müdigkeit, sie schloss die Augen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt