Kapitel 3.6 - Der Blick der Erkenntnis

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Als sie das Gasthaus betraten schlug ihnen ein warmer Geruch von Braten, Speck und Kartoffeln entgegen. Sofort meldete sich ihr Magen und verlangte nach einer warmen Mahlzeit. De Warenne stand an die Theke und wartete auf den Wirt. Dieser kam sogleich aus einem Hinterzimmer hervor
„Herzlich Willkommen mein Herr. Was kann ich für euch tun?" Der Wirt war so gross wie ein Fass, seine massigen Hände wischte er sich an seiner nicht mehr ganz so weissen Schürze ab.
„Ein Tisch für zwei. Wir nehmen die Suppe, dann vom Braten und den Kartoffeln. Und ein Zimmer für die Nacht für uns beide". Der Wirt schielte an de Warenne vorbei und nahm Isabella in Augenschein, er schien etwas verdutzt. Der sah wahrscheinlich nicht allzu oft Frauen in Hosen, dachte sich Isabella.
„Sind sie verheiratet mein Herr?" fragte der Wirt nun wieder de Warenne zugewandt. Dieser schien mit seiner Antwort zu zögern und Isabella spitzte ihre Ohren.
„Nein sind wir nicht... Ich wünsche allerdings, dass sie ein Zimmer in meiner Nähe hat". Der Wirt nickte mit dem Kopf nach oben
„Natürlich kein Problem... ich denke, ich habe das perfekte Zimmer für sie beide". Der Wirt stampfte ihnen voraus die Treppe hinauf und zeigte ihnen zwei nebeneinanderliegende Schlafstätten. Nach dem der Wirt gegangen war, um nach Wasser für ihre Zimmer zu schicken, sagte de Warenne
„Miss Grey, machen sie sich frisch. Wir können danach unten das Abendessen zu uns nehmen". Sie nickte und wartete bis der Helfer des Wirtes das Wasser für ihre Waschschüssel gebracht hatte. Der junge Knecht war schlaksig und sah bemitleidenswert aus. Seine Kleidung wirkte zu kurz und hätte schon länger einmal eine Wäsche vertragen können. Er goss das Wasser in ihre Schüssel und verschwand ohne ein Wort aus ihrer Kammer. Das kalte Wasser fühlte sich sehr angenehm an. Sie wusch sich mit der rauen Seife von Kopf bis Fuss. Sie massierte sich die Schenkel, die von der Reise geschwollen und verhärtet waren. Es war anstrengend auf einem Pferd zu reiten, zu zweit, und dann noch zu versuchen, diese Person so wenig wie möglich zu berühren. Sie liess die Seife in die Waschschüssel gleiten und schlüpfte in ihr Badetuch. Sie liess sich auf die Kante ihres Bettes nieder und sah sich in dem kleinen Raum um. Das Zimmer war kompakt. Die Wände waren aus hellem Birkenholz, jedoch hatte es vereinzelt Blumen in verschiedenen Farben aufgemalt. Es hatte ein einzelnes Himmelbett, ein Nachtschränklein worauf eine dicke Talgkerze stand, einen kleinen Schrank, ein Schreibtisch und eine Tür, diese führte allerdings nicht in den Gang. Sie fixierte die Tür... was konnte... was konnte sich dahinter befinden? Sie stutze, erhob sich von dem Himmelbett und ging langsam auf die Tür zu, kurz vor ihr hielt sie inne. In diesem Moment klopfte plötzlich jemand gegen diese Tür. Sie machte einen Satz rückwärts und erschrak beinahe zu Tode. Es war eine Verbindungstür!
„Miss Grey, kann ich eintreten?" Ausser Stande irgendeine Antwort zu geben, stand sie da. Die Tür öffnete sich und Alexander de Warenne erschien im Rahmen. In seiner Hand hielt er ihren Leinensack. „Verzeihung Miss Grey" sagte er überrascht, doch bevor er seinen Blick abwandte verweilten seine Augen auf ihren nackten Fesseln, die unter ihrem Tuch hervor lugten „Ich dachte den könnten sie brauchen... ziehen sie doch zum Abendessen ihr rosa Kleid an" er hielt inne und als sie nichts erwiderte, sagte er „Sie sind fertig?" Isabella nahm den Sack entgegen und nickte nur. Warum war er auf einmal so höflich und formell zu ihr? Er ging wieder durch die Verbindungstür zurück und liess sie vor Schreck erstarrt, allein im Zimmer. Eine verfluchte Verbindungstür! Der Wirt dachte also, dass sie seine Geliebte war, deshalb das perfekte Zimmer! Isabella sank auf ihre Schlafstatt nieder und starrte auf den Boden. Sie war sich immer noch nicht sicher, wie sie zu ihm stehen sollte. Sie hatte sich zwar angeboten, doch sie konnte nicht gegen ihre Erziehung verstossen... Ja sie hatte ein anderes Leben begonnen und konnte sich gewisse Frivolitäten erlauben, aber sie musste sich eingestehen, dass sie nicht nur auf der Suche nach Leidenschaft war, sondern auch nach Liebe und Geborgenheit. Falls dieser Lord of Cumberland oder wie auch immer er sich nannte, sie so weit bringen würde, dass sie eines dieser Dinge fühlte und sich zu ihm ins Bett legte, würde er doch einige Regeln der Diskretion einhalten müssen. Sie war ehrlich gesagt nicht erpicht darauf, dass Fremde sie als Maitresse betrachteten oder gar als ein leichtes Mädchen. Wenn es denn so kommen sollte, wollte sie es geheim halten. Zu ihren Bedingungen. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Nun, sie sollte sich natürlich schön anziehen, wenn es nach ihm ging, vielleicht damit der Wirt sah, dass sie eine Frau war und nicht ein Bursche. Jaaa, das hatte er sich schön ausgedacht! Aber nicht mit ihr. Sie würde in denselben Kleidern, wie sie gereist war, ihr Mahl einnehmen. Isabella zog sich triumphierend die Hose und das Hemd an, ihren Leinensack stellte sie in den Schrank. Sie öffnete die Tür und de Warenne wartete bereits im Gang. Er trug schwarze Hosen und ein weisses Leinenhemd, vorne war es etwas geöffnet und mündete in ein V. Leinenbänder zurrten lose den V-Ausschnitt zusammen. Seine schwarzen Haare hingen lässig in seinem Nacken. Sie berührten kaum seine Schultern. Eine Strähne wellte sich an der Seite seiner Stirn. Seine fast schwarzen Augen schienen einem zu hypnotisieren. Er blickte sie an, und plötzlich fühlte sie sich unbehaglich. Er hatte sich angemessen gekleidet. Anscheinend schien es ihm wichtig zu sein einen gepflegten Eindruck zu hinterlassen. Sie konnte hinter seiner Miene nicht erkennen, was er von ihrer Aufmachung hielt. Je länger er nichts sagte, umso schrecklicher fühlte sie sich. Schliesslich hob er seinen Arm und bot ihn ihr an und da es Isabella kindisch fand, sich nochmals ins Zimmer zu begeben um sich umzuziehen, hackte sie ein. Sie setzten sich unten an einen Tisch, und der Wirt kam sogleich und schenkte ihnen Wein ein. Falls er immer noch über Isabellas Kleider erstaunt war, so liess er sich dies nicht anmerken. Seine Frau, Isabella schlussfolgerte dies, packte den Messingtopf über dem heissen Feuer und schleppte ihn zum Tisch. Dort setzte sie ihn ab und schöpfte ihnen die Holzschalen bis zum Rand voll. Sie ächzte als sie den Topf wieder hochhievte und wandte sich mit ihm ab. Der Lord nickte ihr zu und Isabella griff nach dem schäbigen Holzlöffel und begann zu essen. Es war eine derbe Bauernsuppe mit Rüben, Kartoffeln und Feldhase. Sie war froh, dass es anscheinend nur ein Hase gewesen war, den der Koch in den Topf geworfen hatte, so konnte sie die wenigen Stücke zusammen mit Karotten hinunterschlucken. Sie hatte das süsslich riechende Fleisch von Hasen noch nie gemocht. Aber Isabella ass artig alles in ihrer Schüssel auf, weil sie schon länger nichts mehr gegessen hatte. Auf der Reise und in Cornwall war keine Zeit geblieben, um zu Essen und nach dem Vorfall mit Talbot war sie ohne Essen zu Bett gegangen. Nach der Suppe brachte die Frau ihnen eine Platte auf der eine gewaltige Keule eines Wildschweines lag. Sie schien über dem Feuer geröstet worden zu sein, denn die Haut glänzte golden und sah äusserst saftig aus. Dazu lagen knusprige Kartoffelhälften mit Salz und wilden Kräutern verfeinert. Isabella sah de Warenne an, doch dieser gab ihr den Vorzug und sie riss einige Sehnen des zarten Wildschweines ab und buxierte sie in ihre Schüssel, schöpfte einige der Kartoffelhälften hinzu und wartete dann bis er sich bedient hatte. Als er sich den ersten Bissen in den Mund schob, konnte Isabella sich nicht mehr zurückhalten. Dieser nussige vollmundige Geschmack übermannte ihren Gaumen und versetzte sie hunderte Meilen nördlich zurück nach Hause. Für einen Moment vergass sie de Warenne, dieses Wirtshaus und vor wem sie floh. Dem Lord schien das Essen ebenfalls zu zusagen, denn er bestellte nach. Er bot ihr ebenfalls noch etwas an, doch Isabella war vollkommen satt und sie fühlte sich allmählich schläfrig. Er war mittlerweile von Wein auf Whisky umgestiegen und hatte bestimmt schon das sechste Glas geleert. Isabella war erstaunt, soviel vertrug nicht einmal Talbot und er war ein Säufer. Doch de Warenne verhielt sich wie immer, er wurde nicht gesprächiger und auch nicht aufdringlich. Es gab jedoch einige Momente in denen sie sich ansahen und sie fühlte einen warmen Schauer über sich fliessen. Er vermittelte ihr Sicherheit, auch wenn er nichts sagte. Seine Anwesenheit, seine Augen verrieten es ihr. Es war ein Gefühl... eine Empfindung, wie als wäre sie sicher und geborgen im Schosse ihrer Familie. Eines jedoch tat der Alkohol mit de Warenne, seine Augen erschienen ihr weicher und der dunkle gefährliche Schatten in seinen Höhlen schien verdrängt. Sie konnte tief in ihn eindringen und er wich ihr nicht wieder aus. Auf einmal regte sich ein Impuls in ihr, sie wollte seine Haarsträhne nach hinten streichen und ihm einen Kuss auf seine halbgeöffneten Lippen hauchen. Der Gedanke ängstigte sie nicht einmal mehr, im Gegenteil es erschien ihr so natürlich... Seine Hand lag auf dem Tisch, in der Nähe seines Bechers, sie müsste nur ihre Hand ausstrecken und dann würde sie seine raue Haut fühlen und könnte ihm versichern, dass er sich vor nichts zu fürchten bräuchte, dass sie ihm und seiner Familie nichts tun würde.
„Sind die Herrschaften mit dem Essen zu Ende?" erklang eine Stimme direkt neben ihnen und Isabella schrak zusammen. De Warenne nickte zustimmend und erhob sich
„Wollen wir zu Bett gehen? Die Reise morgen wird anstrengender". Als sie oben angekommen waren und Isabella in ihr Zimmer gehen wollte, hielt er sie an ihrem linken Arm zurück. Sie drehte sich um und sah ihn an. Er kam auf sie zu und küsste ihre Stirn. Dann sah er sie eine schier unendlich lange Zeit an. In seinen Augen lag so viel Wärme. Die grosse Einsamkeit und Verletzlichkeit waren nun deutlicher als je zuvor erkennbar. Doch dann drehte er sich um, und sie beide verschwanden in ihren Zimmern. Isabella entkleidete sich und schlüpfte in ihr Nachtgewand. Einige Zeit lag sie noch da und dachte über diese gefühlvollen Augen und den zarten Kuss nach, bis sie der Schlaf mit einem Netz einzufangen schien und sie glitt in eine traumlose Vergessenheit.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Where stories live. Discover now