Kapitel 1.5 - Eine vermaledeite Aufgabe

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Er stand schon eine Weile in der Tür, aber er bewegte sich nicht. Sie lag da, nur mit dem Tuch bedeckt und schlief tief und fest. Er hatte sich eingeredet, dass sie vielleicht Hilfe oder noch irgendetwas anderes benötigte. Obwohl er eigentlich keine Zeit für solche Sperenzien hatte, zog es ihn in den Pavillon zu diesem Geschöpf. Es beschäftigten ihn so viele Dinge, die er noch gar nicht zu ordnen vermochte. Sein Vater war schon lange unerklärlich Krank und gleichzeitig hatte er sich störrisch geweigert seinen Söhnen irgendwelche Aufgaben abzugeben. Dann gab es Momente in denen er beinahe so war, wie er seinen Vater nie mehr geglaubt hatte zu sehen. Seine Anfälle wurden jedoch stärker, so dass er kaum noch seine Gemächer verliess und sein tyrannischer Ruf bereits weit über London hinausging. Da hatte Alexander keine andere Wahl mehr gehabt. Er hätte es sich nie verziehen, wenn Surrey durch das Zutun seines Vaters untergegangen wäre. Er hatte richtig entschieden. Die Finanzen seines Vaters waren eine reine Katastrophe gewesen und es hatte ihn Wochen gekostet, um die Rechnungsbücher zu prüfen, zu korrigieren und die angehäuften Schulden zu tilgen. Leider hatte Rickard selbst noch nicht die Reife, diese Dinge zu übernehmen. Sie beide hatten vor nicht allzu langer Zeit noch keinen engen Kontakt gepflegt, doch Alexander hatte das eine oder andere Geflüster über seinen Bruder vernommen. Sie beide hatten wohl ihre missratene Kindheit auf zwei völlig verschiedene Arten gelernt zu vergessen. Alexander war dem Wehrdienst des Königs unterstellt. Er konnte und wollte nicht die Böden seines Vaters für alle Zeit übernehmen. Er hatte seine eigenen Ländereien und seinen eigenen Titel errungen. Er wollte damals eigentlich nichts mehr mit seinem Vater zu tun haben. Jetzt jedoch schien es mit seinem alten Herrn dem Ende zu zugehen. Trotz seiner Abneigung und dem Groll den er für seinen Vater empfand, hatte er es nicht fertig gebracht Surrey und seinem Vater endgültig den Rücken zu zukehren. Es war immerhin das Erbe einer sehr alten Familie. Deswegen, und nur deswegen, war er schon ein halbes Jahr hier. Er hatte alle Hundreds Surreys besucht und versucht den Agrarhandel anzutreiben. Soweit hatte auch alles funktioniert und er gewann das Vertrauen der Dörfler und der tüchtigen Bauern. Er seufzte resigniert. Genug der schweren Gedanken für heute, befahl er sich und schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Er ging auf das Bett zu und blieb davorstehen. Sie hatte die Augen geschlossen und machte feine Atemzüge. Was hatte sie nur an sich? Irgendetwas... er war sich nicht sicher. Er lehnte sich zu ihr hinunter und schob sie sanft unter die Decken, bedeckte sie und zog dann das nasse Tuch weg. Sie musste nach dem Bad sofort eingeschlafen sein. Der Duft von Jasmin und Rose umhüllte ihn. Er sog diesen Duft tief in seine Brust. Es erinnerte ihn an glücklichere Tage hier in Surrey. Er sah zu ihr hinab. Die Decken umhüllten sie vollends und doch verharrte sein Blick auf ihren weiblichen Rundungen. In dem schwachen Schein des Mondes, der durch die Fenster brach, wirkte ihre Haut zerbrechlich. Ohne aktiv darüber nachgedacht zu haben, hatte er seine Hand ausgestreckt und berührte mit einer Fingerspitze ihre alabasterweisse Haut. Sie war so weich. Er fuhr mit dem Finger weiter über ihre zarten Lippen. Sie bewegte sich kurz und sagte etwas, was er nicht verstehen konnte. Eilig zog er seinen Finger weg, als hätte er sich verbrannt, drehte sich um und verliess den Pavillon. Er hätte nicht hierherkommen sollen! Welcher Teufel hatte ihn nur geritten?! War er den gar nicht mehr bei Sinnen! Wieso stand er nachts alleine hier im Pavillon bei diesem Mädchen?! Schon beim ersten Blick in ihre satt grünen Smaragde hatte er gespürt, wie sich tief in seinem Inneren etwas regte. Und das beunruhigte ihn zu tiefst. Er schüttelte seine Grübelei hastig ab, machte noch einen Kontrollgang durch den Garten und ging dann in den dritten Stock, wo sich sein Gemach befand. Er sollte sich nicht mit solchen Nebensächlichkeiten abgeben. In seinem Gemach lehnte er sich gegen die dicke Ahorntür und versuchte das Chaos in seinem Kopf zu ordnen. Das Feuer prasselte angenehm. Er stiess sich von der Tür ab und setzte sich auf seine Chaiselongue. Er nahm die Whisky Flasche von dem kleinen Tisch, goss sich ein Glas ein und trank es pur. Wann würde er jemals wieder eine Nacht ruhig und ohne Albträume verbringen können? Schoss es ihm bitter durch den Kopf. Seine Vergangenheit hier bei seinem Vater, dann jahrelang Krieg um seine Pflicht als Brite zu erfüllen. Die Jahre auf dem Schlachtfeld hatten ihre Narben auf seinem Körper, wie auch auf seiner Seele hinterlassen. Er konnte sich selten an einen einzelnen Mann erinnern, der vor seine Klinge gekommen war. Aber Gott behüte, es waren verdammt viele gewesen! Er goss sich ein weiteres Glas ein. Er lehnte sich zurück und schloss seine Augen. Im Krieg war alles erlaubt... Dieser Mann, zu dem er geworden war, zog ohne Zweifel für den König in den Krieg und würde den eigenen Tod in Kauf nehmen. Dieser Umstand machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, er sehnte ihn schon fast flehentlich herbei und wartete nur auf die Stunde und den Mann, der ihn in die Arme des Todes trieb. Zeit wäre es, dachte er bitter. Er trank das Glas mit kräftigen Schlucken aus und füllte es erneut. Was hatte er schon zu verlieren? Nichts... nicht mal einen Hund. Tief in sich verspürte er das Bedürfnis immer und jederzeit an vorderster Front zu stehen. Die Ruhe bevor die Schlacht losging, die vermisste er. Dieses Gefühl war unbeschreiblich und es schien ihm, als gäbe es ihn manchmal nur genau für diesen Moment und doch war da noch Carlisle. Je länger er hier zu verweilen schien, desto mehr formte sich in seinem Kopf ein anderes Ziel, als ausschliesslich Krieg. Er lehnte sich zurück und liess die Flüssigkeit in seinem Glas kreisen. Sein Blick wanderte im düsteren Raum umher. Bisher hatte er es nicht bemerkt, aber nun errang es seine Aufmerksamkeit. Links neben der Chaiselongue lagen ein Leinensack und ein kleines Paket auf dem Boden. Neugierig was dieses kleine Biest wohl mit sich rum trug, öffnete er den Leinensack. Ein Gewand aus brauner Wolle und ein etwas vornehmeres Kleid aus rosa Leinen und Spitze kamen zum Vorschein. Natürlich war dies kein Vergleich mit den feinen und äusserst vornehmen Kleidern der Damen in seiner Klasse. Sie trugen nur das Beste und Teuerste. Aber das rosa Leinenkleid hatte etwas persönlicheres. In diesem Kleid musste die Besitzerin strahlen und verlieh so dem Gewand das gewisse Etwas. Er hängte die Kleider über einen Stuhl und nahm dann einen kleinen Lederbeutel in die Hand. Darin waren nur Brot und etwas Silber. Nicht gerade viele Dinge, die das Mädchen mit sich herum trug. Auch wenn sie nicht viel besass, so hätte er doch erwartet einige persönlichere Dinge zwischen ihren Sachen zu entdecken. Alec legte den Lederbeutel weg und stutzte. Die meisten Personen, die mit so wenig unterwegs reisten, waren entweder Verbrecher oder auf der Flucht, was zugegebenermassen oft auf das gleiche hinauslief. Er griff nach dem kleinen Paket, welches am Boden lag. Es war mit einer Hanfschnur verschnürt worden. Alexander entschnürte es und öffnete die Verpackung. Darin kam etwas in Leder gewickeltes zum Vorschein. Er entfaltete es sachte. Ihm fiel eine juwelenbesetzte Halskette und eine Rolle Pergament in den Schoss. Ihm war sofort klar, wer dieses Paket geschickt haben musste. Er beachtete die Halskette kaum und entrollte das Pergament. Er hielt es näher an die Kerze bei seinem Nachttisch. Die Schrift war zierlich und schwungvoll auf das Pergament gebracht worden. Es waren nicht viele Zeilen, die geschrieben worden waren und so konnte er die Nachricht mit einem Blick überfliegen. Die Handschrift, erkannte er auf Anhieb.

My Lord,

Diese juwelenbesetzte Halskette ist in tadellosem Zustand und kann ohne weiteres noch etliche Jahre getragen werden. Die Exklusivität dieses Einzelstückes ist ihnen bereits bekannt. Ich rate ihnen dringlichst zu diesem Stück noch weitere einzelne Schmuckstücke zu erwerben, denn wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, sind weitere namhafte Lords des Nordens an solch exquisiten Kunstfertigkeiten interessiert. Ganz genau so, wie sie es vorausgesehen haben.

Von ihrem tiefsten und treuest ergebenen J

Auch wenn es ihm schon klar gewesen war, als er das Paket geöffnet hatte, so war er nun doch überrascht Jacksons Brief hier vorzufinden. Jackson war sein Oberster Offizier. Er schrieb immer in Rätseln zum Teil, weil es ihn belustigte, zum anderen, weil niemand ausser den Betroffenen eine Ahnung hatte, was damit gemeint sein könnte. Jeder Aussenstehende würde glauben, der Brief wäre an einen Lord gerichtet, der sich für kostbare Schätze interessierte und die unverschämt teure Kette trug das Ihrige zum Schwindel bei. Er liess das Pergament sinken und setzte sich auf seine Chaiselongue zurück. Er hatte also mit seiner Vermutung richtig gelegen... König Henry VIII wollte nun auch über den Thron von Schottland herrschen. Für ihn gab es praktisch nie ein anderes Thema. Der provisorische Frieden mit Schottland war nur dazu da, dass der König seine Heere neu aufrüsten konnte, um dann mit neuer Wucht zu versuchen in Richtung Schottland zu ziehen. Er wollte die Auld Alliance zwischen Frankreich und Schottland vernichten und so die Clans in die Knie zwingen. Die kleinen Kriege gegen Frankreich hatten nicht wirklich Erfolg gebracht. Ein paar kleine Landgewinne, aber nichts von grossem Wert. Aber woher zum Teufel hatte dieses Mädchen dieses Paket?! Hatte sie es gestohlen? War sie vielleicht eine Spionin? Er runzelte die Stirn, sie wirkte auf ihn allerdings nicht so als könnte sie einen ausgewachsenen Mann bezwingen und ihm ein Paket entwenden... Er würde die Augen offenhalten müssen. Das würde ihm gerade noch fehlen, ein Spion mitten im Haus seiner Familie! Er lehnte sich zurück und leerte ein weiteres Glas. Langsam setzte die vernebelnde Wirkung des Whiskys ein. Die Flasche stand fast leer auf dem Tischchen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt