„Wäre ich auf meinem Luxusdampfer, dann würde mir der Alkohol bestimmt schon die Sinne berauschen", beschwerte sich der Ältere und verschränkte seine Arme vor der Brust, stritt sich weiterhin mit seiner Freundin und machte aus einer Mücke eine ganze Herde Elefanten. Der Schub seines Testosterons nahm ihn gänzlich ein und weigerte sich, mit Vernunft an die Sache heranzugehen. „Aber stattdessen lass ich mich von dir breitschlagen, Geistern nachzujagen"

„Du weißt doch gar nicht, was tatsächlich passiert ist", rechtfertigte sie sich und hob mahnend eine Braue. „Dich interessieren solche Stories doch genauso sehr wie mich, zier dich nicht so und gib's zu"

„Du bist...unmöglich", schüttelte er furchtbar ungeduldig den Kopf und blickte auf sein Handydisplay, rümpfte die Nase und runzelte die Stirn. „Lass uns gehen, es ist schon fast Mitternacht"

„Und du bestimmst was ich mache, seit wann genau?"

„Seit ich keinen Bock mehr hab, mir von Opas ihre versauerten Kriegsgeschichten anzuhören die es eh nie gab"

Autsch. Lindsay blinzelte entsetzt und wusste keinen Konterer mehr, der diese Beleidigung entkräften könnte. Was der Alte aber dann an ihrer Stelle tat, wie seine Reaktion ausfiel, überraschte die Reporterin und bekräftige ihren Glauben in das Gute im Menschen. Statt ein böses Wort zu verlieren oder den mangelnden Anstand der Jugend zu kritisieren, schmunzelte er verständnisvoll und seufzte lang gezogen, keine Anwandlung von Gram zeigte sich in seiner Ausstrahlung.

„Streitet nicht, ihr zwei. Ich kann seine Missgunst nachvollziehen, ihr seid beide jung und solltet eure Zeit nicht mit Tattergreisen wie mir vertun. Schaut euch die Welt an, all die schönen und kleinen Wunder die sie zu bieten hat. Auch wenn ihr keine Geschichte von mir gehört habt, heißt das nicht, dass es keine gibt. Oder gab. Sie tut es, da drin", lächelte er und deutete auf sein Herz. Ob sie seine Geste richtig deuteten, wussten nur die beiden selbst. Aber für den Alten zählte keine Meinung von Fremden, die nie selbst in seiner Haut steckten. Sie fühlten nicht die Dinge, die ihn belebten und die ihn bewegten. Sein Denken und Handeln bestimmten, ihn zu gewissen Entscheidungen trieben und die Reporter empfanden nicht auf derselben Ebene, wie er es tat.

Sie würden es nie.

Weder Ted noch Lindsay würden um die Beschwerlichkeiten der Reise wissen, die die ozeanblauen Augen erduldeten. Die unermessliche Freude, die dem jungen Herzen gestattet war zu fühlen. Die Einsicht die sie spiegelten, als der Pfeil sein Ziel nicht verfehlte und mit perfektionistischer Tödlichkeit dem anmutigen Geschöpf das Leben raubte.

Der Alte senkte den Blick. Jetzt, wenn er die Szene erneut Revue passieren ließ, mochte er beinahe erschauern. War es nicht zu grausam, etwas so Unschuldiges den Preis zahlen zu lassen für etwas, was andere vermasselt hatten? Einem Kind die noch nicht angetretene Zukunft zu stehlen, bevor es die Vorzüge des Alters schmecken konnte?

Eigentlich, wenn man es so sah, glich es einer herzzerreißenden Wiederholung des berühmtesten Dramas der Welt. Shakespeare. Der Poet riss die Liebhaber entzwei und verstrickte ihre Romanze in verfeindete Abstammungen, die einem Glück von Beginn an im Weg standen.

Cassian und Ezra hatten keine Chance.

Hatten sie nie, zumindest keine ernst zu nehmende.

Alles was ihnen blieb war, aus der ihnen gegebenen Zeit das Beste zu machen. Aber...ein paar Tage? War es ausreichend, um den Schmerz und den Verlust zu rechtfertigen? Eigentlich nicht, wie der Alte entschied und nachdenklich in's Grübeln geriet.

Ted, dem die Zerstreutheit des Alten immer noch nicht weniger auf die Palme brachte, rümpfte die Nase und machte kein Geheimnis aus seinem Frust. „Wie auch immer. Lindsay, lass uns gehen. Ich bin müde und brauch definitiv Alkohol von der Tanke im Ort"

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Where stories live. Discover now