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Wie lange das Meerwesen zwischen den Wellen seinen Freund auch suchte: es blieb erfolglos.

Der Sturm hatte sich tatsächlich der Anweisung seines Gebieters gebeugt und sich gänzlich zurückgezogen, die Regenwolken waren vom Wind unschädlich gemacht worden und die silbrig gerauschte Gischt war Bläschen für Bläschen zerplatzt. Mit der einkehrenden Stille des Weltmeeres fand die harmonische Idylle zurück zu ihrem Wesenskern und der Träger der ozeanblauen Augen, dem das Verschwinden der Fluten das Achtgeben auf den Zweibeiner ungemein erleichterte, seufzte erschöpft. Allmählich schien er seine maximale Grenze zu erreichen und der Wunsch unterzutauchen und seine Sinne durch die salzige See mit neuer Kraft zu bestärken, sich die Lungen mit dem herrlichen kühlen Nass zu beatmen, wuchs mit jedem verstreichenden Moment. So nachsichtig und gutherzig der Junge mit den ozeanblauen Augen auch handelte: letzten Endes gehörte er der See. Seine Seele, seit der Geburt einem bestimmten Weg verschrieben und sein Körper, der fernab des menschlichen Territoriums gezeugt wurde. Seine Persönlichkeit mit allen Eigenschaften, sein Leib mit jeder einzelnen farbigen Schuppe, alles was ihn zu einem Kind des Meeres machte, das gehörte alles der Naturmacht und er würde größenwahnsinnig sein, behauptete er etwas Gegenteiliges. Er liebte seine Heimat, würde ausnahmslos alles für deren Erhalt opfern und er wusste, dass das Meer seinen geliehenen Leib zurückforderte, sobald das Leben aus ihm wich. Zwar erlaubte ihm die Evolution inzwischen seine Kiemen kaum sichtbar zu tragen und damit dem Aussehen eines Zweibeiners zu ähneln, wenn auch nur der Hüfte aufwärts, dennoch würde ihm die beißende, frische Luft auf Dauer die bereits ächzenden Lungen schädigen.

Der Mensch ruhte nach wie vor behütet in seinen Armen.

Er würde ihn nicht loslassen, ganz gleich wie gepeinigt er war und wie Kräfte an ihm zerrten. Es würde so falsch sein, das kleine Leben erst vor dem Tode zu bewahren und ihn dann doch aus Egoismus getrieben in die Arme des Ozeans zu geben. Ihn bei lebendigem Leib ertrinken lassen, beobachten wie das Licht in seinen Augen erlischt und er einem unschuldigen Elternpaar ihr Kind, vielleicht sogar ihr einziges, raubte. Das Meerwesen schluckte angestrengt die Anspannung in den Armen hinunter und verfestigte seinen Griff, als es fühlte wie das Opfer des Sturms mit jedem Schlag seines Unterleibes schwerer und schwerer wurde. Wegen seiner mangelnden Disziplin würde keine Familie ihr Kind zu Grabe tragen müssen, eher würde er sein Leben hergeben. Diese furchtbare Vorstellung allein reichte aus, um sein Herz schmerzhaft gegen seinen Brustkorb hämmern zu lassen. Keine Mutter und kein Vater werden ihr Kind zu Grabe tragen, wenn es mir möglich ist, dieses Schicksal zu verhindern.

Im Reich unter der Meeresoberfläche regelten Gesetze und Bündnisse das Zusammenleben der verschiedenen Adelsprovinzen, und trotzdem existierte eine ungeschriebene Regelung, ein für alle gültiger Kodex, der sogar noch bedeutsamer war als die königlichen Vorschriften: das Volk der Ozeane sollte sich nicht wie die Menschen in den glänzenden Reichtum verlieben, sondern die wahren Werte der Existenz wertschätzen und ihnen beiwohnen. Und dieser Schatz, der von den Meermenschen seit jeher über alles gestellt wurde: Familie. Denn nichts trug einen vergleichbaren Wert als mit den Liebsten zu leben und eine Gemeinschaft aufzubauen, die sicherer war als ein Heer aus gerüsteter Soldaten.

Das Meerkind wünschte sich immer schon selbst Nachkommen, wollte sie mit der gleichen Liebe aufziehen wie es seine Eltern bei ihm taten und Teil des ozeanischen Kreislaufes sein. Ihnen die Wichtigkeiten im Leben lehren, ihnen zusammen mit seiner Gefährtin die Werte von Freundschaft und Loyalität näher bringen. Wenn er dieses Glück, Familienheil, im Austausch für die Krone erhielte, so mochte er sich von allen funkelnden und glitzernden Reichtümern trennen und keines der Artikel missen.

Bis zum heutigen Tag jedoch wurde ihm dieser sehnliche Wunsch verwehrt, keine der edlen Damen welche er auf diversen Konferenzen oder prächtigen Festen inzwischen getroffen hatte, wollte sich aus freien Stücken auf ihn einlassen. Dabei sollte man meinen, ein Geschöpf mit seiner royalen Stellung würde an jedem Finger mit fünf Verehrerinnen gesegnet sein. Sein sinnliches Aussehen, die ozeanblauen Augen mit der prächtigen silberblauen Meerflosse gepaart mit seinem Herz aus Gold, die Kombination dieser elysischen Gaben lockten die Partnerinnen doch in ganzen Schwärmen an. Mitnichten. Nichts erschien für den Jungen mit den ozeanblauen Augen schwieriger, als eine Partnerin zu finden, trotz seines Charmes und imponierendem Äußeren, ja nicht einmal die guten Sitten erweckten Eindruck oder sicherten sich die Aufmerksamkeit einer Prinzessin. Trotz seinem Stand in der Gesellschaft verließ er ein jedes prachtvolle Fest allein und mit den Flüsterungen im Rücken, die er sehr wohl vernahm und sich bitterlich zu Herzen nahm, sie mit in die Schlafgemächer nahm und den Kummer mit dicken Tränen versuchte aus seiner Seele zu verdrängen. Irgendwas schien in dieses perfektionistische Gesamtbild nicht zu passen, musste verantwortlich für die kritischen Blicke sein, die er so oft auf sich spürte und kommentarlos zu ertragen hatte.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]   vkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt