Das hier war sein Zuhause.

Die tiefen Schluchten, bewohnt mit den buntesten und lustigsten Fischlein, sowohl als die seichten Strände der kunstvollsten Inselparadiese, um die sich die Menschen mit ihrem bedruckten Papierscheinchen buhlten. Die düsteren Nächte, in denen nicht einmal der silbrige Mondschein die pechschwarze Finsternis durchdringen vermochte. Die aufwallenden Stürme, wenn sich die Kinder des Himmels und Wolken erzürnten. Die malerischen Sonnenuntergänge, wenn sich das goldgelbe Antlitz des brennenden Sternes in die blaue Weite neigte und darin ertrank. Ja, das Meer war wundervoll und barg so viel Leben, so viel Anmut. Es glich aber auch einer wartenden Falle für eben jene, die diese Naturgewalt unterschätzten und mit ihrem unterlegenen Verstand herausforderten zu einem Kampf, dessen Ende schon vor Beginn längst feststand. Cassian war hier geboren und würde auf ewig dem Meer gehören, ganz gleich wo ihn sein junges Leben noch hinverschlagen würde. Er gehörte dem Ozean.

Und Cassian wurde im Gegenzug mit der endlosen Liebe der Weltmeere beschenkt, wurde sein Leben lang von den Gewalten gehegt und umsorgt, als wäre er ihr eigens geborenes Kind. Viele Neider hatten die Soldaten schon abführen müssen, die ihre Eifersucht in Form von grauenvollen Taten an dem blauhaarigen jungen Kerlchen verüben wollten. Dabei wollte Cassian nichts sehnlicher, als ein friedliches und harmonisches Zusammenleben der Meerwelt und der Menschenwelt. Es hatte doch einst funktioniert – wieso glich es einer wahrlichen Odyssee, dieses Vertrauensverhältnis ein weiteres Mal anzustreben?

Bevor allerdings eine Aussprache oder gar Versöhnung mit den Zweibeinern auch nur ansatzweise in Frage kommen könnte, müsste man die Ursache des Zwiespaltes tiefer suchen. Viel, viel tiefer und viel, viel verborgener zwischen den alten Märchen und tot geschwiegenen Sagen. Cassian glaubte sich zu erinnern, wie ihm seine liebe Mutter Abendgeschichten über die goldenen Zeiten erzählte, dabei lächelte als habe sie dieses Zeitalter selbst noch miterleben dürfen. Aber leider wirkte die Edeldame ebenfalls zu Tode betrübt. Sie musste den Untergang dieser strahlenden Epoche miterlebt haben, das verriet der Schmerz in ihren Augen.

Neben dem Herrschaftsgebiet der lichten Königsfamilie, angeführt von Cassian's Vater mit einer bemerkenswert geschätzten Autorität, gab es da noch das Reiche Dragstor's. Die Skrupellosigkeit in Person, Verfechter von Graus und Angst, gefürchtet noch vom jüngsten Sproß der lichten Meerhälfte. In Dragstor's Herzen beherbergte er die Unnachgiebigkeit seines Vaters, der vor ihm König über die Monster und Schreckgestalten der See war. Obszöne Gestalten, viel zu scheußlich als das Menschen beim bloßen Gedanken an sie ihren Verstand wahren könnten. Sie fraßen Glücksgefühle als Happs und labten sich an dem Fleisch verirrter Surfer, fielen über sinkende Schiffe her als haben sie seit Jahrhunderten nichts mehr zu fressen gehabt. Personifikationen der schlimmsten und dunkelsten Albträume. Sie entsprangen den bösen Illusionen kleinster Kinder, schöpften ihre existenzielle Kraft aus den kummervollen Sorgen. Und da es bis zum Ende der Zivilisation Kinder mit furchterfüllten Träumen gab, würden die Monster niemals vom Antlitz dieser Welt weichen.

Dragstor war die Verherrlichung dieser personifizierten Beklommenheit, der übermächtigen Ängste der kindlichen Fantasien. Die wahrliche Ausgeburt der Hölle.

Und mit der mächtigen Energie, die er aus den Albträumen beider Welten schöpfte, zog er noch lange vor Cassian's Geburt in den Krieg, forderte mit seinen unzähmbaren Bestien die lichte Krone ein um sein Reich zu vergrößern und den Ozean mit seiner tyrannischen Glaubensvorstellung zu leiten. Leiten in eine Richtung, die er für richtig hielt. Doch sich über andere zu stellen, ihr Wohl hinten anzustellen, machte ihn zu nichts besserem als einem Fischwesen mit der Intelligenz eines herrischen Größenwahnsinnigen. Und aus diesem Grund tobte der grausamste Krieg der Meere viel zu viele Jahre, bevor die geschundene Armee ihrer Stärke beraubt den Rückzug antrat und die damaligen Herrscher im Zwiespalt auseinander gingen. Der lichte Regent siegte durch das loyale Bündnis mit seinen Alliierten, jedoch zu einem hohen Preis. Denn die Behauptung gegenüber des dunklen Reiches zeigte ihm, dass die Menschen zu viel Einfluss ausübten auf eine Welt, der sie nicht angehörten.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Donde viven las historias. Descúbrelo ahora