Er fühlte sich unwohl.

Einsam.

Aber es schickte sich nicht als Regent, seine persönlichen Defizite und Wunschvorstellungen laut auszusprechen. Niemand brauchte einen Führer, der unter der Last seiner eigenen Traurigkeit zusammenbrach und dem aus diesem Grund die Autorität angezweifelt wurde. Ein Mann von seiner Hierarchie sollte das Volk leiten und vor äußeren Gefahren schützen, Stärke im kalten Krieg beweisen und dem Jahrtausendelangen guten Ruf der Königsfamilie Korratius nachkommen.

Nicht in Kummer zerfließen, weil er seine besondere Person nicht an seiner Seite wusste.

Er wollte nie den Titel seines Vaters weiterführen.

Aber als Nachfahre des Königs blieb ihm keine andere Wahl. Also verwandelte sich sein fröhliches Kinderleben in eine streng koordinierte Tagesroutine, vollgepackt mit ernsten Debatten zum Zweck der Friedenswahrung und da ihm der Unterricht im höfischen Fechten einfach nicht gelingen mochte, versuchte er sich an der Lehre der äesthetischen Künste. Es klappte besser als mit einem spitzen Degen durch das Wasser zu piecksen, doch erfüllen tat es ihn ebenso wenig mit den bunten Muscheln. Jede Nacht fühlte er sich furchtbar einsam, sein Gemach wirkte ohne das Tageslicht noch viel größer und verkrochen unter der Decke fühlte er sich entsetzlich klein und unbedeutend. Er fühlte sich nicht nur einsam, sondern war es auch, zumal seine Freunde aus Kindertagen mittlerweile alle eine Gefährtin an sich gebunden hatten und auswärts mit ihren Familien lebten.

War es so viel verlangt, zwischen den auferlegten Pflichten ein bisschen Glück zu finden? Dabei gab es doch nichts schöneres, als sich zu verlieben und mit seiner Partnerin kleine Miniaturversionen zu zeugen, eine Mischung aus den besten Eigenschaften dieser beiden Gefährten hervorzubringen.

Der Träger der ozeanblauen Augen konnte wahrlich nur mit brennender Sehnsucht Mutmaßungen anstellen, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn die Liebe im Herzen so umfassend intensiv und rein war, dass aus dieser Liebe ein neues Leben gezeugt und geboren wurde.

Verliebte Paare fassen sich bei den bunt schillernden Schwanzspitzen und vollführen schwebend anmutige Reigen, die mit zum Romantischsten gehören, was das Tierreich zu bieten hat. Eng aneinander wirbeln sie durch das blaue Nass, berühren sich wie es schon die Liebhaber aus alten Zeiten taten. Dabei drehen sie gemeinsam Pirouetten im Seegras oder tanzen in harmonischer Zweisamkeit über den Meeresgrund, versinken in der Präsenz des anderen und steigern die befriedigende Lust. Nach diesem Synchronschwimmen beginnt das weibliche Meergeschöpf schließlich den heiß ersehnten Balztanz, entführt das ihr ergebene Männchen an einen ungestörten Ort um das Liebesspiel zu vollbringen.

Im Reich des Ozeans unterscheidet sich die Fortpflanzung von der der Landwesen: wo bei den Menschen die Weibchen den Nachwuchs austragen, verhält es sich hier wie bei den Seepferden, aus welchen sich vor Jahrmillionen durch einen Wink der Evolution die ersten Meermenschen anfingen sich zu entwickeln. Demnach umgarnen die Weibchen bis heute die fruchtbaren Männchen, verführen sie zu einem sinnlichen Liebesspiel und begatten sie. Die vom Weibchen eingeführten Eizellen werden im Körper des Männchens befruchtet und je nach Art rund 3 Mondwechsel voller Hingabe ausgetragen, wobei deren Empfängnis von der breiten Gesellschaft mit Freude und Glückwünschen begrüßt wird. Ganz gleich ob arm oder reich, Bediensteter oder Adelsspross.

Trächtige Meerkinder galten als wunderbarste Kreation der Evolution.

Es ereignete sich vor einigen Jahrhunderten nach einem bitteren Krieg, indem der Großteil der Soldaten und freiwilligen Kämpfern fiel, dass eine drastische Überbevölkerung der Weibchen die Lebenslinien der Meerwesen um ein Haar ausgelöscht hätte. Diese erschreckende Periode, vom Tod der Gefährten und den vereinzelt übrig gebliebenen Männchen, setzte eine Regel in Kraft die es untersagte, die Wichtigkeit der Fortpflanzung zu ignorieren. Der Stellenwert der männlichen Bevölkerung schoss hoch hinaus und die Geburtenrate wurde durch das königliche Gesetz allmählich wieder stabilisiert. Die gespaltene Folgschaft erholte sich im Lauf der Jahre, vermehrte sich und hielt dabei ihre gefallenen Liebsten stets in Ehren. Denn ihr Sieg, der ihnen das Leben kostete, schenkte den zurück gelassenen Familienmitgliedern die seither längste anhaltende Friedensperiode der Geschichte. Beinahe 4000 Jahre feierten die Meerbewohner nun jährlich den Sieg über den Feind, ehrten die Geister ihrer tapferen Kämpfer und schenkten den Kindern Liebe, welche in ihrem Leib heranreiften und die Frucht eines heiß ersehntes Balzes waren.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Where stories live. Discover now