8| Mütter und Töchter

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Ich ließ den Wortschwall über mich ergehen. Ich war so froh, wenn ich einfach zuhause war.
Das war ein richtiger Scheißtag. Erst war mein Bus ausgefallen, im strömenden Regen versteht sich. Dann war Helene mit mieser Laune aufgetaucht und hatte mich vor aller Welt zusammengefaltet und das tat sie noch immer.
Denn meine letzte Kolumne hatte ihr nicht gefallen. Ich war zu wenig auf das Thema des Heftes eingegangen. Dabei war das Thema absoluter Schwachsinn.
Rici hatte heute einen Termin außerhalb und Nina und Nici waren in ihren Büros weit von mir entfernt.
Der einzige Trost waren Arnes Nachrichten. Seit wir letzte Woche feiern waren und er mich bis nach Hause begleitet hatte, nur damit ich sicher ankam schrieben wir jeden Tag.
Er machte mich glücklich. Er war der große Bruder, den ich immer gewollt hatte, aber nie bekommen hatte.
Wie aufs Stichwort klingelte mein Telefon und die Nummer meiner Mutter leuchtete auf. "Och nee." Seufzte ich leise. Ich hatte jetzt gerade keine Lust mir anzuhören, wie toll meine Schwester war und wie dumm, hässlich und fett ich war. Denn das war alles was ich von ihr hörte. Neben den Fragen, wann ich denn gedachte mir einen Ehemann zu suchen.
Ich wartete bis das Klingeln aufhörte. Vielleicht würde ich sie später anrufen.
Doch noch immer meckerte Helene. "Vielleicht solltest du dir Gedanken über eine neue Arbeitsstelle machen." Ich horchte auf. Sie runzelte die Stirn und musterte mich. "Du hast noch nie wirklich hierher gepasst. Es wird das beste sein..." Empört sprang ich auf. "Wie bitte?" Rutschte es mir heraus und sie riss die Augen auf.
"Du willst das ich Kündige? Ist dir klar, dass ich deine Arbeit mache? Ohne mich musst du das selbst machen." Sagte ich und lachte auf. "Ich bin das Köpfchen und du das Gesicht. Gute Arbeitsteilung. Aber du hast recht. Ich passe hier nicht rein. Aber wenn du mich loswerden willst, dann schmeiß mich gefälligst raus." Sagte ich gefährlich ruhig. Wäre ich mal lieber ans Telefon gegangen.
Die Wut kochte in mir und ich bebte. Die letzten drei Jahre hatte ich mir den Buckel krumm gearbeitet um es ihr Recht zu machen und jetzt fiel ihr ein ich passte nicht hier rein. Am liebsten wollte ich auf etwas einschlagen.
"Du solltest für heute nach Hause fahren und dich beruhigen." Ich sah mich um, als würde ich ein Kamerateam finden. Doch nur einige Kollegen beobachteten uns. Vielleicht hatte sie recht.
"Ich nehme meinen restlichen Urlaub. Meine Kündigung kannst du mir per Post zuschicken." Sagte ich, sammelte meine Sachen ein und stolzierte an ihr vorbei. Dabei versuchte ich mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. 
Auf dem Weg nach draußen wählte ich die Nummer meiner Mutter. Jetzt konnte ich mir die Packung auch gleich abholen.
"Pummelchen." Begrüßte sie mich direkt und ich verdrehte die Augen. "Was gibt es denn?" Wollte ich wissen. "Kann ich nicht einfach mal so anrufen?" Fragte sie mit vorwurfsvollen Ton. "Doch natürlich." Lenkte ich ein. "Wie geht es dir? Hast du jemanden kennengelernt? Weißt du Annemarie hat jemanden kennengelernt. Mark, ein wirklich netter junger Mann." Begann sie. Unbewusst schlug ich die Richtung des Studios ein. Etwas abreagieren war vermutlich keine schlechte Idee.
"Das ist ja toll für Anne." Sagte ich und verdrehte die Augen. "Sie will mit uns essen gehen. Im Laufe der Woche." Ich wusste was kommen würde. "Wie passt dir morgen Abend?" Wollte sie wissen, doch eigentlich war es ihr egal. Der Termin stand schon. "Passt." Brachte ich zerknirscht raus. "Gut dann morgen Abend. Du bringst ja niemanden mit." Ich blieb stehen. Es machte mich wütend und verletzte mich, dass sie davon ausging, dass es absurd war, das ich jemanden kennengelernt haben könnte.
"Ich bringe jemanden mit." Sagte ich wütend. "Ich muss dann auch los. Schick mir die Adresse." Sagte ich und legte auf.
Was hatte ich getan?
Meine Mutter würde direkt ausrasten. Wie sollte ich bis morgen jemanden finden, der mit mir und meiner perfekten Familie wegging?
Meine Schwester war wunderschön und schlau. Sie war mir immer einen Schritt voraus. Ich war immer Stolz auf sie, doch das Gefühl ungenügend zu sein hatte ein Keil zwischen uns getrieben. Und ich wusste das es meine Schuld war. Und die meiner Mutter. Denn ich wusste das sie meinen Vater hasste und ich hatte immer befürchtet, dass sie ihn in mir sah. Doch auch sie gab mir ständig das Gefühl das ich besser sein müsste. Und ich wusste nicht ob ich das sein konnte. Ich war nun einmal nicht perfekt. Dabei wollte ich es so sehr sein.
In den letzten Jahren hatte sie sich verändert. Sie selbst war unglücklich mit ihren Los und ich verstand sie. Mein Vater war kein guter Mann. Er trank zu viel und schlug sie. Als er versuchte mich zu schlagen schmiss sie ihn raus. Dafür war ich ihr bis heute dankbar.
Als ich sieben war lernte sie Annes Vater kennen. Er war ein guter Mann. Behandelte sie anständig und war auch für mich ein guter Vater. Doch er starb bei einem Unfall vor ein paar Jahren. Seitdem war sie alleine und hasste die Welt. Anne war gerade zwanzig geworden und studierte im dritten Semester Jura. Sie war wunderschön, blond, langbeinig und perfekt. Sie war süß, herzlich, gütig, intelligent und einfach herzallerliebst. Jeder mochte sie. Und es war nicht schwer zu erraten, dass meine Mutter sie mehr liebte als mich, denn sie waren sich so viel ähnlicher als ich es war. Ich war wie mein Vater. Und das hasste ich mehr als alles andere an mir.
Ich war froh dass ich diese Gefühle nur einmal im Monat hatte, denn immer dann wenn das sporadische Treffen anstand, mit Mama, Anne und Mark, Tobias oder wie sie auch hießen, ließ ich mich treiben. Danach verdrängte ich es und tat so als gäbe es meine Familie nicht. So war es einfacher zu ignorieren, dass ich für sie nicht genug war.
Ich schrieb Rici eine Nachricht von dem was passiert war und ließ kein Detail aus. Sie antwortete mir sofort und versprach mich in zwei Stunden zu treffen, um über meine Schwester und meine Mutter zu lästern. Eine gute Idee, der ich sofort zustimmte.
Immerhin verstand mich ein Mensch auf der Welt.

Pretty FatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt