3| Arschlöcher und andere Katastrophen.

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"Theresa?" Ich blickte auf. Meine Cheffin stand vor mir. Sie reichte mir eine Kiste. Musterte mich schnell und kräuselte missbilligend die Lippen. "Die sind gestern noch gekommen." Erklärte sie.
Leserbriefe. Ich nickte gewissenhaft. Helene Winter war groß, blond und wunderschön. Sie war Chefredakteurin der Maddy und ihr gehörte die Kolumne Kiss and tell.
Jedenfalls stand ihr Name darunter. Eigentlich hatte ich das Schreiben übernommen seit ich vor drei Jahren hier angefangen hatte. Dabei durfte ich zwar kreativ werden, aber niemals zu viel von den Meinungen abweichen, die Helene vertrat.
Dabei waren es nicht gerade Meinungen die ich vertreten wollte. Denn wenn ich Leserbriefe aufgriff, so wollte ich ehrlich sein und sie beantworten und den Frauen nicht raten ihre Problemzonen wegzumassieren oder mit teuren Beautyprodukten wegzucremen.
Ich wollte ihnen sagen, dass sie nicht abnehmen mussten um perfekt zu sein. Das Makel schön machten. Auch wenn ich das selbst nicht glsuben konnte.
Noch immer spukte mir der Satz von Stefan durch meinen Kopf. Hast du Mitleid mit der Fetten?
Jedes Mal tat es wieder weh. Ich wusste, dass ich dick war. Deswegen ging ich ja zum Training , aß nur Rohkost und verzichtete auf sonstige Kohlenhydrate.
Ich brauchte kein Mitleid. Aber immerhin war Mitleid besser als Ekel oder Wut.
Ich öffnete den ersten Brief. Er war parfümiert und auf rosa Briefpapier. Ich überflog ihn und schnaubte. Dann öffnete ich einen weiteren.
Ich wusste, dass ich jedes Problem ernst nehmen sollte. Aber manche Frauen beneidete ich um das was sie für Probleme hielten. Ich hatte gelernt, das jede Frau, so schön sie auch war immer etwas fand, dass ihr nicht an ihrem Körper gefiel. Und das fand ich ebenso eigenartig wie erfrischend. Denn damit waren sie nicht komplett anders als ich.
Diese Woche sollte es um das Thema der Gesichtspflege gehen. Ich hatte daraus der erste Augenblick gemacht.
Dinge die einen störten, wenn man jemanden kennenlernte. Die man versuchte zu verstecken, wobei es Leute gab, die genau das vielleicht mochten. Ich wusste selbst wie schwer es war zu akzeptieren, das man dieses Manko hatte und damit schön war. Ich beneidete Frauen, die das konnten.
Mit einem Rumms landete, wie aufs Stichwort, Ricarda auf meinem Tisch. Sie überschlug ihre langen Stelzenbeine, wie sie selbst sie nannte und klatschte ihre Hand auf die geöffneten Briefe, dich ich aufeinander gelegt hatte. "Tess." Begrüßte sie mich schlicht. "Freitag gehen wir was trinken." Bestimmte sie. Ihre langen welligen Locken fielen ihr offen über den Rücken. Ihre dunklen Augen musterten mich. "Nicole und Nina kommen auch mit." Ich nickte. Eigentlich wollte ich aber nicht mitkommen. Ich liebte die drei Frauen sie waren lustig und freundlich. Und wunderschön. Jede von ihnen auf eine eigene Weise. Aber ich war... ich. Ich fühlte mich stets wie das fünfte Rad am Wagen. Vor allem wenn wir tanzen gingen. Während sie mit Männern tanzten, ließen sie mich alleine stehen, bis ich genug hatte und einfach nach Hause fuhr. In meine 1-Zimmerbude in Steglitz.
Und doch nickte ich, wie ich es jedes Mal tat. Denn ich konnte und wollte mir nicht leisten, die wenigen Freunde zu verprellen.
"Ich komme mit. Wenn du mich arbeiten lässt." Sagte ich mit einem lächeln. "Oh du hasst diese Briefe." Sagte sie kopfschüttelnd. Ich nickte. Das stimmte. Doch ich liebte sie auch irgendwie. Sie erinnern mich daran, das wir alle gleich waren. Auch wenn manche gleicher waren.
"Wir treffen uns wie immer bei Nina um 22 Uhr." Dann erhob sie sich. "Zieh was heißes an. Sonst musst du was von mir tragen." Drohte sie mir. Ihre knappen Sachen würden mir niemals passen, doch trotzdem zog ihre Drohung. Denn beim letzten Mal wo ich Jeans mit Turnschuhen getragen hatte war sie eine Woche sauer gewesen.
Ich überflog noch einige Briefe und machte mir erste Stichpunkte für die nächste Ausgabe.
Erst als Helene um kurz nach fünf ihr Büro verließ merkte ich wie spät es war. Ich hatte den roten Faden für die nächste Kolumne fertig, der nahtlos an die letzte Woche anknüpfte.
Ich räumte meine Unterlagen weg, fuhr den Computer runter und schnappte meine Tasche. Gegen sechs stand ich vor dem Studio und gab mich einem Moment dem Gefühl hin, dass ich keinen Bock hatte.
Dann jedoch atmete ich tief ein und betrat den Laden. Routiniert zog ich mich um, holte das Klemmbrett und begann mit dem Rad.
Vorsichtig sah ich mich um und stellte erschrocken fest, das Stefan mich beobachtet. Seine finstere Miene machte mich nervös. Arne sah ich leider nicht. Es wäre schön gewesen etwas mit ihm zu plaudern.
Stattdessen gab ich mich den Blicken der Anwesenden geschlagen und absolvierte zügig, aber gewissenhaft, meine Übungen.
Bei meinem letzten Gerät stand Stefan plötzlich vor mir. Alleine sein Blick trieb mir die Röte ins Gesicht. Ich wollte keine Gemeinheit hören. "Er steht nicht auf dich, das ist dir klar oder?" Wollte er klarstellen. Wut schoss durch mich hindurch. Mit einem Satz machte er mich fuchsteufelswild.
"Ich weiß nicht was du meinst." Stellte ich mich unwissend." Er schnaubte. "Arne. Er ist nur nett weil er Mitleid hat." Das Stechen in meiner Brust kam unerwartet.
"Ich..." er unterbrach mich. Ich wusste eh nicht was ich sagen sollte. "Nimm es mir nicht übel aber sieh dich an. Du bist nicht sein Typ. Lea ist sein Typ. Nun jeder hier ist eher sein Typ als du." Heißer Zorn schoss in meine Wangen. Ich ballte die Fäuste und erhob mich. Baute mich vor ihm auf, auch wenn er riesig war und ich lächerlich aussehen musste.
"Was bist du eigentlich für ein Arsch? Ich dachte mir schon das du eifersüchtig bist." Ich schnaubte undamenhaft. "So wie ich die Sache sehe gehen dich Arnes Motive einen Scheißdreck an. Aber wenn ich so ekelhaft bin, verstehe ich nicht warum du mich trotzdem die Ganze Zeit im Blick behältst?" Ich trat einen Schritt auf ihn zu. Sah mit Genugtuung wie seine Augen sich weiteten. "Denkst du ich bemerke nicht wie du mich beobachtest? Wie alle perfekten, trainierten und schönen Menschen mich anstarren?" Meine Wut auf ihn, auf mich, auf mein Leben entlud sich gerade und es fühlte sich gut an.
"Ja ich bin fett und hässlich. Aber wenigstens habe ich was im Köpfchen. Und wenn dich meine Anwesenheit stört gibt es nur eine Möglichkeit. Du gehst mir, verdammt nochmal, aus dem Weg!"

Pretty FatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt