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Noah:

Für jemanden, der nicht an Gott glaubte, war es schwer während dem kirchlichen Part der Beerdigung ruhig sitzen zu bleiben, zumal mehr als oft wiederholt wurde, wie toll mein Stiefvater doch gewesen war und was für ein guter Mensch. Doch das war nur eine Seite der Medaille. Die volle Wahrheit kannten aber nur Dave und ich und wahrscheinlich war das auch gut so.

Wir saßen mit Dad, Kate und Cameron in der ersten Reihe.

Hinter uns saß meine Tante mit ihrem Mann und den Kindern. Es hatte mal die Diskussion gegeben, ob ich zu ihnen ziehen sollte, damit ich nicht die Schule wechseln musste, doch meine Tante hatte mich nicht aufnehmen können, da sie schon 5 Kinder hatte und zudem der Platz in ihrem Haus nicht ausgereicht hätte.

Ich nahm ihr das auch gar nicht übel. Irgendwie war ja alles besser geworden, weil ich in Cams Nähe gewesen war. Sowie jetzt.

Zwar wollte ich nicht, dass jemand wusste, was mein Stiefvater getan hatte, doch es regte mich trotzdem auf, dass alle so blind waren und ihn fast schon verehrten.

Ich stand kurz vor einer Explosion, aber als Cam meine Hand nahm, beruhigte ich mich wieder und atmete erstmal tief durch.

So konnte ich das Ganze dann ziemlich okay durchstehen.

Irgendwann, als der Pfarrer fertig war, ging Dave nach vorne und spielte ein Stück auf dem Klavier. Ich hatte nicht gewusst, dass er aufgrund seien Abhängigkeit überhaupt noch spielen konnte, doch es klang wunderschön.

Dad entfloh eine Träne. Das alles war ziemlich schwer für ihn, immerhin begrub er hier seinen besten Freund, doch Kate kümmerte sich um ihn, sodass er leicht aber ehrlich lächeln konnte.

Nachdem der Sarg in die Erde gelassen wurde, löste sich die große Gruppe zum größten Teil auf, nur noch die engste Familie war hier.

Am Rande bekam ich mit, wie Dad mit Tante Clary ausmachte, wohin wir noch zusammen etwas essen gingen, doch ich selbst war ziemlich abgelenkt, weil ich nur auf das Grab meiner Mum sehen konnte, das direkt neben dem von meinem Stiefvater war.

Es war viel zu lange nicht mehr gepflegt worden.

Von wem auch? Mein Stiefvater war seit Monaten im Koma gelegen, Dave hatte zu viel mit sich selbst zu tun und ich wohnte eine Tagesfahrt weit entfernt.

Ich wusste nicht, wie lange es dauerte, bis sich jemand neben mich stellte und mich einfach an seine Brust zog. Es hätten Stunden, aber auch nur Sekunden sein können, den unterschied hätte ich nicht gemerkt.

Ich atmete tief ein und roch Daves vertrauten Geruch.

Er hielt mich fest und ich konnte stille Tränen zulassen.

Ich erinnerte mich an schöne Momente, die ich mit meiner Familie verbracht hatte. Aber auch an schreckliche. Ich erinnerte mich einfach an alles. Und es war der erste Moment, in dem ich so richtig akzeptierte, dass wir an der Situation nichts mehr ändern konnten. Mum und Josef würden tot bleiben, egal wie viel ich weinte und schrie.

Diese Erkenntnis schmerzte einerseits unglaublich, aber irgendwie befreite sie mich auch.

Es war kein freiwilliger Abschied von den Menschen, die ich liebte, doch es war ein Abschied.

Für Dave war das alles schlimmer, das musste ich bedenken. Er hatte seinen leiblichen Vater verloren, war nun Vollwaise.

Wir hatten zwar lange genug Zeit gehabt, zu akzeptieren, dass mein Stiefvater nicht mehr aus dem Koma aufwachen würde, doch es war trotzdem noch schwer.

Ich spürte Daves Lippen an meinen Haaransatz und drückte ihn fester, während er mir über den Kopf und den Rücken strich.

Ich fand es trotzdem allem schön, dass Mum neben ihrem Mann liegen konnte, den sie geliebt hatte, egal, was passiert war, doch für mich selbst wäre das nichts.

„Dave?"

„Mh?"

Ich schniefte kurz und strich mir über die Augen. „Wenn ich mal tot bin, dann will ich nicht hier liegen", meinte ich leise.

„Ich auch nicht", stimmte Dave zu. „Ich will, dass du mich einäschern lässt und mich als deinen ersten und letzten Joint rauchst"

Ich musste tatsächlich leicht lachen und nickte. „Okay. Und wenn ich vor dir sterbe, will ich, dass du auf den höchsten Berg der Welt kletterst und meine Asche im Wind einfach freilässt"

„Okay", bestätigte er leise und küsste meinen Kopf nochmal. „Aber dir ist hoffentlich klar, dass ich niemals zulassen werde, dass dir was passiert", erkundigte sich Dave.

Ich nickte.

Doch wir beide wussten, wirklich viel konnte er nicht tun. Nicht in seiner Verfassung.

„Jungs" Mein Dad sprach einfühlsam und legte mir und Dave jeweils eine Hand auf die Schulter. „Braucht ihr noch einen Moment?"

Ich löste mich von Dave und schüttelte den Kopf.

Dave lächelte meinen Dad leicht an. „Danke für deine Hilfe, bei einfach allem. Und danke, dass du dich so gut um Noah kümmerst"

Dad lächelte. „Wenn ich ehrlich bin, hat Cameron den größten Anteil."

Ich sah über die Schulter meines Dads zu Cameron, der mit Kate bei meiner Tante stand und mit ihr sprach.

Er sah so unglaublich gut aus, doch seine Nase verunstaltete ihn. Und er hatte so ein schmerzerfülltes Gesicht...

Dad und Dave redeten noch etwas und ich sah nur zu Cam, bis Dave sich verabschiedete.

„Wir sehen uns spätestens an deinem Geburtstag wieder", meinte er zu mir und umarmte mich.

Ich drückte mich fest an ihn. „Pass bitte auf dich auf"

Er küsste meine Wange. „Natürlich. Ich bin doch schon groß", lächelte er.

Ich lächelte ihn ebenfalls an, als wir uns wieder losließen.

Er gab Dad die Hand, bedankte sich nochmal und strich dann über meine Wange. „Ich hab dich lieb, Flitzer, vergiss das nie, okay?"

Ich nickte schnell. „Ich dich auch"

Dave lächelte, küsste meine Stirn und ging dann vom Friedhof.

Mein Dad zog mich in seine Arme. Etwas überfordert erwiderte ich es.

Eigentlich war ich diesen Körperkontakt nur mit Dave oder Cam gewöhnt, doch er war mein Dad und er wollte mir ja nur helfen, also konnte ich ihn schlecht wegschieben. Und eigentlich wollte ich das auch gar nicht. Er war meine Familie. Er, Dave, Cam und ja, auch Kate. Sie waren meine Familie.

Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt