Balder

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"Wenn ich nicht immer putzen müsste, würde ich so etwas öfter tun." Loki seufzte zufrieden und wischte sich mit dem Handtuch die Haare trocken.
Sie waren mittlerweile in Thors Zimmer angekommen, nachdem sie in dem Badehaus eine wahre Überschwemmung hinterlassen hatten und zum ersten Mal seit langem, fühlte Loki sich ausgelastet und glücklich, fernab jeglicher Pflichten eines Seidr.
Aus dem Nebenzimmer erklang ein Rumpeln, kurz darauf tauchte Thor mit einem Berg Kleidung auf. Er schmiss sie auf sein riesiges Himmelbett, in dem problemlos fünf Leute Platz finden würden, ohne sich eingeengt zu fühlen. Mit einem Mal fragte Loki sich, wie viele Frauen hier wohl schon gleichzeitig gelegen haben mochten. Wenn er Thor so ansah, tippte er auf eine Menge.

Die blauen Augen unterzogen Loki einer kritischen Musterung, und dieser, nur spärlich mit einem Handtuch bekleidet, fühlte sich plötzlich ziemlich nackt. Beinahe harsch wandte er sich ab, um in den Spiegel zu sehen, und seine Haare zu korrigieren. Doch Thor hörte einfach nicht auf, ihn anzusehen. Loki rollte mit den Augen. "Was ist denn?" Vielleicht klang er genervter, als beabsichtigt, aber andererseits ärgerte ihn dieses Starren. Konnte der Idiot nicht woanders hinsehen? Loki mied seinen Blick durch den Spiegel, auch wenn er ihn deutlich spürte.
"Du bist schmaler", kam es etwas rau von dem Donnergott und Loki fühlte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten. War es überhaupt möglich, derart empfindlich auf eine Stimme zu reagieren? Die Tonlage des Prinzen ließ Lokis Knie ständig weich werden und er hoffte einfach, dass das irgendwann aufhören würde. Es war mit der Zeit ganz schön anstrengend.
Mit der Zeit? Du willst ihn doch nicht öfter treffen?
Loki schielte in den Spiegel, sah in diese unglaublich blauen Augen. Irgendwie übte dieser verdammte Prinz eine Wirkung auf ihn aus, die er selbst nicht verstand. Es war eine Spannung und Anziehung, die sich gefährlich anfühlte, aber auch absolut süchtig machte. 
Loki verbarg sein Gesicht im Handtuch. "Ja, und? Ich bin eben kein Krieger", gab er schnippisch zurück. Er hasste es so zu sein. Kleiner und schwächer als die anderen, stolzen Asen, für die lediglich große, starke Krieger von Belang waren. Krieger wie Thor.

"Nein, das ist es nicht ... es ...", Thor hielt inne und Loki schielte unter dem Handtuch hindurch in den Spiegel. Der Donnergott hatte den Blick kurz gesenkt und es schien, als ringe er mit einigen Worten, die er sprechen wollte, dann aber offensichtlich doch für sich behielt. "... ich denke, meine Kleidung wird dir nicht passen." Thor hob eine kunstvoll gewebte Tunika vom Bett hoch, in tiefem Dunkelblau bestickt, mit Goldfäden, dann trat er an Loki heran und hielt es skeptisch gegen seinen Rücken. Loki spürte die Berührung warmer, rauer Finger und wandte sich langsam um, damit er Thor und die Tunika betrachten konnte. Der Donnergott schien allerdings nicht sehr zufrieden. "Nein, hier würdest zu zwei Mal hereinpassen ..."
Loki sah seufzend an sich herunter. "Wenn ich als Kartoffelsack zum Fest gehen wollte, wäre es genau richtig."

Thor grinste und zog sich die Tunika kurzerhand selbst über den Kopf. Natürlich passte sie perfekt und stand dem Prinzen ausgezeichnet. Selbst mit feuchten Haaren und ohne jeglichen Schmuck spürte Loki eine gewisse Ehrfurcht vor seiner königlichen Erscheinung , die massigen Schultern waren gestrafft, die Haltung voller Ehre und doch mit einer großen Portion Wagemut, die sich durch ein verwegenes Grinsen auszeichnete. Wenn man Thor betrachtete, konnte man erahnen, wie viel Kraft und Ungeduld in dem noch jungen Körper schlummerte. Und wie viel mit den Jahren noch dazu kommen würde.

"Warte hier, Loki, ich hole dir Sachen von meinem Bruder."
"Balder? Der ist doch erst sechzehn!"
"Du bist nun mal kein Krieger", zwinkerte Thor schelmisch und Loki konnte nicht leugnen, dass diese Geste etwas furchtbar Zweideutiges hatte. 
"Wehe, die Tunika ist fliederfarben!", rief Loki ihm hinterher, doch der Donnergott war bereits verschwunden.

Flieder ... alles was Balder trug, war fliederfarben. Tuniken, Stiefel, ja sogar Edelsteine.
Loki hatte sich schon immer gefragt, wieso man als Königssohn ausgerechnet so eine Mädchenfarbe wählte, aber dann wiederum konnte es doch gut sein, dass Balder weniger Interesse an Mädchen hatte und vielmehr selbst eines war. Zumindest im Geiste. Also, vom anderen Ufer.
Andererseits sehen neben Thor alle Asen aus, wie Mädchen.
Da war etwas dran. Vielleicht sollte er seine Meinung zu Balder überdenken und es noch einmal mit einem anderen Blickwinkel probieren. Vielleicht mochte Balder einfach Violett. Loki grinste.

Die Tür glitt wieder auf, holte den Trickster aus seinen Tagträumen zurück, während Thor ihm triumphierend seinen Fund vor die Nase hielt: Zwar war die Tunika lila (wer hätte das gedacht!), aber der Stoff war derart dunkel, dass sie auch hätte schwarz sein können. Lediglich bei Bewegung veränderte die Tunika durch Lichteinfall ihre Farbe und schimmerte in kräftigem Dunkelviolett. Wunderschön.
"Das ist toll, ich ... hatte so etwas noch nie an." Beeindruckt nahm Loki den Stoff  und rieb ihn vorsichtig zwischen seinen Fingern, ließ ihn sanft durch seine Hände gleiten. Die Seidr trugen einfache Roben, oder Variationen aus Leder, aber feine Garderobe, gab es nicht. Und dieses Stück hier war wahrhaftig königlich. "Ich kann das nicht tragen. Die Leute werden mich ansehen, das geht nicht."

Thor schmunzelte nur und reichte ihm die Tunika endgültig. "Du bist mit dem Kronprinzen auf dem Fest. Du solltest meiner würdig aussehen, und nicht in der Menge versinken. Wobei ..."
Weiter kam Thor nicht, denn Loki drückte ihm den Stoff vehement zurück gegen die Brust und verzog beide Brauen finster. "Heißt das, ich genüge dir sonst nicht?", schnappte er und reckte das Kinn. Was war denn so falsch an seiner normalen Kleidung? Oder an ihm?

"Loki ich ..." Thors überraschtes Gesicht sprach für sich.
"Ich bin kein Prinz , Thor, ich bin nicht wie du! Nicht so edel nicht so ... verwöhnt und verzogen!" Loki gestikulierte mit übertriebener Dramatik und merkte schon, wie es in Thor langsam zu brodeln begann.
"Ich bin verzogen?", versuchte der Prinz es bemüht ruhig und schien irgendwas zwischen verwirrt und fassungslos zu sein. "Ich glaube, ich würde das gerne noch einmal hören."

Loki verengte die Augen leicht, verschränkte die Arme vor der Brust und sah Thor so arrogant an, wie er konnte. Er würde sicher nicht vor Thor kuschen, nur weil er ein Prinz war! Er hatte ihn beleidigt und Loki wollte das nicht hinnehmen. Als wäre er minderwertig, nur, weil er nicht königlich oder ein blöder Ase war. "Oh ja, du bist absolut verzogen! Nur, weil du der zukünftige König bist, glaubst du, du kannst tun und lassen was du willst! Vor allem armen, normalen Bürgern nachzustellen, scheint dir Spaß zu machen. Und dann, wenn du es endlich geschafft hast, ihnen das Gefühl zu geben, sie wären etwas Besonderes, sagst du ihnen ins Gesicht, dass sie nichts wert sind!"
Du übertreibst.

Herz über Kopf #1Où les histoires vivent. Découvrez maintenant