Kapitel 1 - Ein Geburtstagsgeschenk

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„Oh mein Gott!“, rief das Mädchen auf. Da war jemand in ihrer Badewanne. Es war nicht ihr Grossvater Richard, nein. Der war auf See.

„Wer bist du? Hallo!?“ Mit dem Gedanken, sie könnte sich das alles nur eingebildet haben, öffnete sie die Tür einen Spaltbreit und guckte abermals hinein. Nein, sie irrte sich nicht. Da sass eine Person in ihrer Badewanne.

„Warte, komm zurück!“ Die Person drehte sich in der vollen Badewanne zur Tür um und sah sie an. Ava kreischte schrill als sie erkannte, dass da ein Junge in ihrer Badewanne war.

„Bitte! Hör auf zu schreien! Ich brauche deine Hilfe-“ Ava liess ihn nicht ausreden. Sie kniff die Augen zusammen und schrie weiter: „Oh mein Gott oh mein Gott da ist ein Junge in meinem Bad!“

Die laut kreischende 19-jährige, die sich gewiss nicht so verhielt wie man das in ihrem Alter von ihr erwartete, begriff seine Worte erst nach einigen weiteren Schreien. „Hilfe? Wieso brauchst du meine Hilfe?“

Nun trat sie ganz in das Badezimmer ein und schloss hinter sich die Tür. Sie trug kurze hellblaue Hosen und ein weisses kurzes Unterhemd. Ihre Haut war braun gebrannt und ihre Augen so blau wie der Swimmingpool in der Universität.

„Wo bin ich hier? Wo ist das Meer? Wie bin ich hierher gekommen?“ Die Stimme des Jungen war heiser und rau. Krächzend und angestrengt, als ob er seine Stimmbänder nicht allzu oft benutzte.

Ava kam in den Sinn, dass ihr Onkel irgendwas gesagt hatte, bevor er heute Morgen gegangen war.

Etwas über eine Überraschung oder so... Ob er damit diesen Jungen meinte?

Erst jetzt bemerkte sie die türkise kräftige Schwanzflosse, die aus der Wanne hinauslugte.

Stumm kam sie einen Schritt näher und als sie nun ganz genau sah, was dieser Junge war, rannte sie aus dem Bad in den Korridor. Hechtete zurück und schloss ab.

Ava ging resigniert in die Küche und setzte sich stumm wie ein Fisch an den Tisch. Lange, lange Zeit sass sie bloss da, starrte ein grosses fettes Loch in den Holztisch, kaute auf ihren Fingernägeln und wusste nicht was sie tun sollte. Bestimmt war es nur ein Streich. Schliesslich war es ja ihr Geburtstag. Und Onkel Richard würde sich todlachen, sobald er erfuhr, dass sie – für kurze Zeit – tatsächlich geglaubt hatte, dass das ein Fischmensch in ihrem Bad war.

Die Küche war gross und hell. Der Boden war Parkett und grosse Fenster garantierten schöne Aussicht auf den Strand. An der Wand hing ein gezeichnetes Bild eines Wals auf dessen Rücken ein kleines Kind ritt. Auf dem Boden im Wohnzimmer, das mit der Küche verbunden war, lag ein grosser graublauer kuschliger Teppich, auf den sich Ava manchmal gerne legte, wenn ihr langweilig war.

Ihr Blick glitt zum Kühlschrank. Viele verschiedene Magneten waren da, die sich mit den Jahren angesammelt hatten. Jetzt hing da eine Notiz, die sie vorher noch nicht bemerkt hatte.

Sie stand langsam auf und ging zum Kühlschrank hin, rupfte dem Sushimagnet den Zettel weg und betrachtete Richards krackelige und höchst unsaubere Schrift.

Alles Gute zum Geburtstag meine Liebe.

Im Badezimmer da ist ein Meerjungmann.

Den schenke ich dir! Happy Birthday,

dein Onkel Richard

Das Mädchen stürmte zurück ins Bad und stürtzte sich auf den Meerjungmann. Er war ganz still in der Wanne gesessen und hatte Trübsal geblasen und übers Leben nachgedacht, als sie ihn plötzlich packte. Er fuhr erschrocken auf und sah sie aus grossen Augen an.

Cold LungWhere stories live. Discover now