Kapitel 1 - Ein Geburtstagsgeschenk

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Ich möchte kalte geissende Wellen über mir krachen und schlagen spüren. Ich möchte der endlos starken Strömung ausgesetzt sein, die mich wie ein Sog in die unendlichen Tiefen des Meeres zieht. Ich will sinken und sinken, die Kälte mich ergreifen lassen, sinken und sinken, weiter und weiter. Ohne Ende. Das Meer ein endloses Universum für sich allein, dicht und grauenvoll auf eine unheimlich schöne Art und Weise. Ich will klein sein, hilflos. Ich will in einer Ohnmacht ertrinken, die mir Sinn und Verstand raubt. Aber dann schaue ich empor und sehe das Licht...

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„Ich glaubs ja nicht.“ Der grossgewachsene alte Mann lachte laut und rauh in die kalte salzige Seeluft hinaus. Er fuhr sich durch sein nasses weisses Haar. Sein Gesicht war alt geworden vom Salz und den strengen Jahren als Seemann. Er hatte einen grossen Bauch und trug einen weiten dunklen Regenmantel, der ihn keineswegs schlanker machte. Seine breiten Arme hatte er in seine massigen Seiten gestemmt.

„Soll ich den meiner Nichte mitbringen? Als Geburtstagsgeschenk?“, lachte er laut und Luke, einer der wenigen Matrosen auf dem kleinen Fischerboot Hazel schüttelte schmunzelnd den Kopf. Er versuchte das grosse Wesen aus dem Fischernetz zu befreien. „Captain jetzt hilf doch mal, anstatt so blöd rumzustehen. Sonst behalte ich ihn“, brüllte Luke atemlos, die Schwanzflosse des grossen Fisches hatte ihn geschnitten. Es zappelte und schlug um sich so wild es konnte. Captain Richard grinste breit und schief und eilte ihm zu Hilfe. Er packte den Fang an den Schultern und hievte ihn in einem Atemzug aus dem Netz. Luke schluckte einmal leer und stand einen Schritt zurück. Hilflos sah er zu wie Richard dem wilden Fisch eine Flasche über den Kopf haute. Der wurde daraufhin bewusstlos und der Captain lachte wieder, als der Fisch besinnungslos zu Boden glitt.

Roy kam angerannt. Er war für den Motor zuständig und flickte auch ab und an die Netze.

„Was ist denn los, was lacht ihr so?“ Er kam schnell herangeeilt, putzte sich die öligen Hände an seinen sowieso schon verdreckten Jeans und strich sich dann den Schweiss von der Stirn. Als er den Fisch sah, blieb er erstmal stumm.

„Was ist das. Eine Meerjungfrau?“

„Wohl eher ein Meerjungmann.“ Richard lachte wieder, hielt sich den dicken Bauch und musste sich setzen.

„Wirft ihn zurück, was soll das?“, knurrte Roy und bückte sich zu dem Fischmensch hinunter.

Es hatte eine türkise schimmernde Schwanzflosse, weisse Haut und rabenschwarzes Haar. Sein Oberkörper war sehr muskulös und seine Haut ganz kalt und fein. Roy musterte ihn ganz genau, aus seinen braunen Augen heraus. Strich ihm über die schlanke türkise Taille, spürte die Schuppen unter seinen Fingerkuppeln.

„Ihn zurück ins Meer werfen?“, wiederholte Richard Roys aufgebrachte Aufforderung und stellte sich mit geschwollener Brust vor ihn hin.

Roy stand wieder auf, schüttelte den Kopf und seufzte. „Es ist so schade um diese unschuldige Kreatur...“ Er hob den Kopf und sah aufs Meer hinaus. Richard lachte ab seinem Kommentar und deutete ihm, er solle sich dahin zurück verziehen von wo er hergekommen war.

Ava tanzte durch den Korridor, blieb vor dem Spiegel stehen und sang laut zur Musik mit, die aus ihrem Zimmer drang. Schnappte sich ihr Badetuch und tanzte weiter. Sie probierte im Gitarrensolo neue Schritte aus, die auf Aussenstehende gewiss lächerlich gewirkt hätten, doch Ava fühlte so mit der Melodie mit, sie liess sich von dieser Tatsache nicht beirren. Es kam auch nur soweit weil sie allein zu Hause war. Und wenn dies der Fall ist, dann tut das jeder Teenager. Als das Lied sein Ende fand, sprang sie in grossen federnden Schritten zurück in ihr Zimmer und stellte das Radio ab. Sie fuhr sich durch das dunkelbraune Haar und trällerte dabei eifrig weiter. Sie ging zum Badezimmer und öffnete die hölzerne Tür in den geräumigen Raum als sie zuerst inne hielt, aufschrie, dann aufsprang als hätte sie was gestochen und die Tür wieder zuknallte.

Cold LungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt