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Stegi

"Verdammt...! Stegi? Stegi, bist du schon wach? Sei so gut und hilf mir mal schnell!"

Ich war zwar gerade erst aufgewacht, aber als ich das laute Scheppern und Klirren aus der Küche gehört hatte, war ich sowieso bereits auf den Beinen gewesen und hatte den noch ungelesenen Zettel von Tim aus der Hand gelegt. Der musste eben mal warten, während ich meinem Vater half! Danach konnte ich immer noch gucken, was er mir geschrieben hatte!

Als ich im Türrahmen schlitternd zum Stehen kam, sah ich Dad bereits leise fluchend mit einer Kehrschaufel auf dem Boden knien, umgeben von lauter zersprungenem Glas. Dem Hängeschrank über der Anrichte fehlte das unterste Brett, ich entdeckte es direkt darunter, begraben unter einem weiteren Scherbenhaufen. Was war hier denn passiert?

"Stegi, kannst du bitte vorsichtig die restlichen Trinkgläser rausheben und auf den Tisch stellen? Aber pass mit den Scherben auf!", schnaufte Dad und erhob sich mit einer vollen Kelle, um die scharfkantigen Rester im Abfall zu entsorgen. Dabei erhaschte ich einen Blick auf seine Unterarme: "Dad, du blutest ja! Wir müssen dich dringend verarzten!" Sogar im Gesicht entdeckte ich einen kleinen Kratzer knapp neben der Nase. Aber mein Vater zuckte nur mit den Schultern. "Später. Es kommen eh noch Schrammen dazu. Ach, verfluchter Mist..."

Vorsichtig suchte ich mir meinen Weg bis zu dem Schrank und begann, die restlichen Gläser aus den beiden oberen Fächern herauszuheben. Dabei hörte ich zu, was hier überhaupt passiert war. Die Schrauben, die das Brett eigentlich am Schrank befestigen sollten, hatten nachgegeben und waren zerbrochen, als Dad gerade den Abwasch aus dem Geschirrspüler geholt und wieder einsortiert hatte. Es war einfach Pech gewesen und er hatte großes Glück gehabt, dass nicht noch mehr heruntergekommen war oder das Brett ihm die Arme eingequetscht hatte. Ärgerlich war es trotzdem um den Schaden, wir würden wohl einen komplett neuen Schrank brauchen und ein Set neuer Gläser...

Zusammen brauchten wir eine viertel Stunde, bis alles wieder soweit aufgeräumt und scherbenfrei war, danach verbanden wir noch Dads Arme und setzten uns dann endlich ans Frühstück. Ich musste mich beeilen, ich hatte nur noch zehn Minuten und musste mich noch duschen, anziehen und Zähne putzen! Und trotzdem gelang es mir nicht, noch schneller zu essen, als ich es bereits tat. "Mach ruhig Stegi, dann kommst du halt mal fünf Minuten zu spät. Als Ausnahme ist das okay!", versuchte mein Vater mich vom Schlingen abzuhalten. Ich protestierte: "Mmh, was wenn wir eine Arbeit schreiben? Du weißt doch, dass die Englisch Lehrerin so gerne Überraschungstests schreibt!" Dass ich dabei schmatzte und vermutlich auch nur schwer zu verstehen war, schob ich gedanklich erst einmal beiseite. Die zweite Brötchenhälfte blieb schließlich unangerührt liegen, während ich ins Bad flitzte und das Wasser anstellte. Schnell duschen, frisch machen, irgendetwas aus meinem Schrank zerren und dann mit nur halb übergezogener Jacke und dem offenen Rucksack aus dem Haus gesprintet. Dass Tims Zettel noch immer ungelesen auf meinem Bett lag, hatte ich in der Hektik vollkommen vergessen.


Die Strafe folgte, sobald ich im Klassenraum angekommen war und mich schnaufend und außer Atem an meinem Platz fallen ließ. Zwei Minuten noch, ich war geradeso pünktlich! "Morgen Tobi", begrüßte ich meinen Kumpel, packte Federmappe und Block aus und hielt dann inne, weil Tobi mich weiterhin erwartungsvoll ansah. "Äh... was ist los?"

"Hast du drüber nachgedacht?", wollte er wissen und ließ mich stutzen. "Tschuldigung, über was nachgedacht? Ich bin grad noch etwas durch den Wind."

Seine Augen weiteten sich erschrocken, aber bevor er mir erklären konnte, was er meinte, unterbrach uns die Lehrerin vorne, die unbedingt überpünktlich die Stunde beginnen wollte. "In der Frühstückspause, okay?", fragte ich ihn versöhnlich und sah ihn geschlagen nicken. Was er wohl meinte? Bestimmt hatte Tim es mir aufgeschrieben, aber-! Da fiel es mir erst auf und ich stöhnte leise. Na klar hatte ich ihn vergessen... Dann musste ich halt improvisieren. Es würde bestimmt etwas peinlich werden, doch sicherlich auch kein Weltuntergang!

Tobi sagte kaum ein Wort während der zwei Stunden und auch danach war er sehr viel langsamer mit einpacken als sonst. Alle Klassenkameraden waren bereits rausgeströmt und nur noch wir waren übrig, als er endlich seine Tasche schulterte. Er sah geknickt aus. War etwas schlimmes passiert?

Als er auf mich zukam, breitete ich meine Arme für eine Umarmung aus und zog meinen Kumpel an mich. Er holte hörbar Luft, dann umarmte er mich zurück und kuschelte seinen Kopf an meine Schulter. Auf meiner Brusthöhe spürte ich sein Herz schneller schlagen.

"Du, Tobi? Wegen deiner Frage vorhin, was-?"

"Bitte sag ja", hörte ich ihn leise flüstern. Hatte er mich gestern um etwas gebeten? Wenn ich nur genauer wüsste, um was. So rang ich erst notgedrungen mit mir selbst, ehe ich nachgab. "Jaah, okay. Okay, uhm, wie du willst!"

Tobi entfuhr ein glücklicher Aufschrei, der mich zum Lachen brachte. Na also, war ja doch gar nicht so kompliziert gewesen, wie ich befürchtet hatte! Das dachte ich, bis Tobi sich von mir löste, mich freudestrahlend bei den Händen nahm und mir einen Kuss auf die Lippen drückte...

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