8.

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Tim

"Die angerufene Nummer ist nicht vergeben."

Hä? Ich wusste ja noch meine eigene Nummer, und die war sehr wohl vergeben! Wütend legte ich auf, rieb mir die Augen und starrte gegen die Zimmerdecke von Stegis Raum. Ich hatte so inständig gehofft, dass es bei einem einzigen Tausch bleiben würde, aber offenbar war das nicht der Fall. Ich war schon wieder in der Rolle dieses Winzlings gefangen, von dem überall absolute Disziplin erwartet wurde, und konnte nur daran denken, was er wohl gerade in meinem Körper trieb. Wehe er heulte sich wieder bei Anna aus! Oder bei Max! Oder bei sonst jemandem! Wenn das rauskam, dass ich mich andauernd wie der letzte Softie benahm, dann würde Stegi was erleben! Ich wusste zwar noch nicht ganz wie, aber mir würde was einfallen, darauf konnte er Gift nehmen.

Eine Minute lang versuchte ich mich zu beruhigen, dann rief ich erneut an. Konnte ja ein Fehler in der Verbindung gewesen sein. Aber wieder ertönte dieselbe Nachricht und angewidert musterte ich Stegis Handy. Scheißding! Was erwartete ich bitte auch von diesen alten Modellen? Ich hielt es schon über meinem Kopf, bereit dazu es jederzeit gegen die nächste Wand zu pfeffern, aber ich besann mich. Nein, das war dumm. Sollten wir tatsächlich noch öfter Plätze tauschen, wollte ich es nicht riskieren, dass meine Sachen aus Rache auch dran glauben mussten! Also begnügte ich mich mit dem bloßen Gedanken daran und stand schließlich wieder auf, um zu Stegis Vater zu gehen und gemeinsam mit ihm zu frühstücken. Außer ihm hatte ich noch niemand anderen aus der Familie gesehen. Keine Geschwister und keine Mutter. Gab es wahrscheinlich auch gar nicht, jedenfalls waren sie bisher in keinem Wort erwähnt worden.

Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie man ohne Geschwister aufwachsen sollte. Gut, auf Karo hätte ich in meinem Leben auch oft verzichten können, aber Max war nicht nur mein Bruder, sondern auch einer meiner besten Kumpels, mit dem ich zocken und über beinahe alles reden konnte, obwohl er vier Jahre jünger war als ich und auch langsam seine Position auf der verantwortungsvollen Seite der Familie Bau einnahm. Und naja, ohne den ganzen alltäglichen Zoff zwischen uns dreien wäre ich bestimmt auch nie so abgehärtet, wie ich es heute war. Das Gegenteil, Einzelkind, konnte ohne diese Einflüsse ja nur kleinlaut und verklemmt werden. Stegi war da das beste Beispiel dafür.

Mir war schon vorgestern aufgefallen, wie leise es hier wohl jeden Tag am Tisch zuging. Leise war gar kein Begriff, Grabesstille traf es eher. Nur das Klappern von Besteck und Geschirr. Zweimal hatte ich versucht, irgendetwas anzusprechen, nur um dieses Gefühl loszuwerden, aber beide Male waren so knappe Antworten gefolgt, dass es sich genauso merkwürdig angefühlt hatte, noch weiter zu reden, wie zu schweigen. Heute war der Drang noch stärker als zuvor und unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. "Hmm, du, sag mal. Sind wir immer so schweigsam beim Essen?"

Stegis Vater schaute besorgt auf. "Ja, eigentlich schon." Eine tiefe Falte erschien auf seiner Stirn, während er mich musterte. "Und wieso? Gibts da einen bestimmten Grund?"

"Nunja", jetzt war er es, der nervös eine andere Sitzposition suchte, "nein, gibt es nicht direkt. Ich schätze, wir haben irgendwann einfach aufgehört, uns zu unterhalten. Stört dich die Stille?" Ich nickte sofort. Es störte mich unwahrscheinlich, weil ich Stille kein bisschen gewohnt war! Auf das Gesicht des Mannes schlich sich ein kleines Lächeln, er legte sein Buttermesser beiseite und blinzelte. "Was steht denn heute in der Schule an? Arbeiten?"

Och nö, nicht so ein Thema... Unzufrieden seufzte ich. "Ich hoffe dass nicht! Der Stoff ist doch eh nur Unsinn!"

"Du passt aber schon noch im Unterricht auf, oder?", versicherte er sich bekümmert. Ich bejahte, nur um das Gespräch voran zu treiben und zu den deutlich interessanteren Dingen zu kommen. "Können wir heute Nachmittag mal eine Vater-Sohn Aktion machen?", fragte ich ihn ungeduldig und mit halb vollem Mund. Ich wollte meine Zeit in Karlsruhe nutzen, wenn ich sie schon bekam, und etwas unternehmen, dass ich in meinem normalen Leben nicht konnte. Nicht mehr. Aber vielleicht hatte ich etwas zu dick aufgetragen, denn Stegis Vater begann nun zu husten, als hätte er sich an seinem Essen verschluckt. Schnell half ich ihm und klopfte auf seinen Rücken, bis er sich wieder gefangen hatte. Er klang noch etwas heiser: "Meinst du- meinst du das ernst?"

Ich kniff verwirrt die Augenbrauen zusammen. "Natürlich meine ich das ernst!" Himmel, wie verklemmt war der kleine Hosenscheißer denn bloß?! Unternahmen die beiden nie etwas zusammen? Für solche Dummheit hätte ich Stegi jetzt gern geohrfeigt. Da hatte er schon einen vernünftigen Erzeuger im Gegensatz zu mir, und anstatt dankbar dafür zu sein, versteckte er sich also und schottete sich ab! Was ein verdammter Idiot!

Mir kam eine Idee, aber ich drängte sie in den Hintergrund. Nicht, dass sie schlecht war, aber umsetzen konnte ich sie noch nicht. Heute Abend vielleicht. Aber ich konnte gleich nochmal versuchen, ob mein Anruf jetzt vielleicht durchkam. Wenn Stegi schon so eine Memme war, musste ich ihm halt Anweisungen geben, wie er den Tag in meinem Körper durchziehen sollte, ohne alles ins Chaos zu stürzen! Nicht heulen, nicht versuchen, Karo in den Arsch zu kriechen, und auch nicht wie ein Äffchen den ganzen Tag an Anna klammern. Am liebsten erst gar nicht in die Schule gehen. Damit machte er sich nur selbst unglücklich. Sollte er seine Zeit in Essen irgendwie anders genießen und gut war es!

Doch als ich nach dem Frühstück wieder meine eigene Nummer anrief, war noch immer alles beim Alten. "Die Nummer ist nicht vergeben." Witzig... Ich seufzte. Wenigstens konnte ich dann noch meinen Plan B durchsetzen.

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Tägliche Uploads? Sag bloß, dass heißt...?

Richtig geraten, ich bin endlich fertig! Es ist mein bisher liebstes Finale von all meinen Geschichten geworden und ich freue mich schon so auf eure Reaktionen! Es wird vermutlich nicht immer ein Kapitel geben, vor allem wenn das Studium grad zu stressig ist, aber ich geb mir Mühe! :)

The Story We Share (#Stexpert)Where stories live. Discover now