"Aussprache"

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Reflexartig zog ich meine Hand von der Wärmequelle fort, die meine umfassen wollte. So viele Gefühle, so viele Emotionen brodelten in mir und ich wusste nun nicht mehr, wie ich mich in diesem Moment verhalten sollte. Mein Körper war angespannt und meine Hände ballten sich verkrampft zu Fäusten, während diese auf meinen Oberschenkel ruhten und mein Blick stets gesenkt blieb. Ich konnte und wollte ihm nicht einmal in die Augen blicken.

Lange hatte mein Körper gebraucht um sich wieder zu erholen. Nach all dem was passiert war, ja auch kein Wunder. Und nun saß ich in einem Büro, auf einem Stuhl, während Levi erleichtert, dennoch unsicher, vor mir kniete und versuchte irgendeine Reaktion von mir zu erhaschen, während seine stahlgrauen Augen mich die ganze Zeit fixiert hatten. Doch ich blieb stur und schwieg die ganze Zeit. Auch Erwin war anwesend, der mit verschränkten Armen vorne gegen seinem Schreibtisch lehnte und die Situation mit kritischen Augen beobachtete.
Mit einem leicht frustrierten Seufzen erhob sich der Schwarzhaarige. “Das hat keinen Sinn. Vielleicht erreichst du ja etwas bei ihr. Sag mir einfach bescheid, wenn sie ihre Stimme wiedergefunden hat.” Mit einem letzten Blick auf mich hinab, machte Levi kehrt und ging zur Tür des Büros. Kurz zögerte er, als seine Hand bereits auf der Türklinke lag, bevor er diese hinab drückte und das Zimmer verließ.

Unsicher saß ich nun da, dem Blick des Blonden ausgeliefert, der mich immer noch intensiv musterte. Als wenn nicht schon die ganze Zeit ein Gefühl des Unwohlseins meinen Körper durchströmte, verstärkte sich dieses Gefühl nun, wo Levi mich mit ihm alleine gelassen hatte. Mit Erwin Smith, der, so wie es aussah, nun Kommandant des Aufklärungstrupps war. Mir war das Abzeichen um seinem Hals, wie es nur die Kommandanten trugen, nicht entgangen, als man mich in diesen Raum führte. Erschrocken zuckte ich innerlich zusammen, als ich merkte, dass Erwin sich zu rühren anfing. Meinen Blick hielt ich weiterhin auf diesen interessanten Boden gerichtet. Der Kommandant hatte einen Stuhl ergriffen, stellte diesen mir gegenüber und nahm daraufhin platz. Er beugte sich nach vorne, stützte seine Unterarme auf seine Oberschenkel ab und verschränkte seine Finger ineinander. Lange schwieg er. Für mein Empfinden fast schon zu lange. Weshalb ich es dann wagte, einen Blick zu ihm zu riskieren. Diese eisblauen Augen, seine gesamte Ausstrahlung war so einzigartig. Er saß einfach nur schweigend da, mir so nahe, und sah mich einfach nur an. Obwohl er einfach nur so ruhig da saß, strahlte er dennoch eine so enorme Persönlichkeit aus, die mich extrem unsicher werden ließ. War es vielleicht Absicht? Wollte er mich vielleicht auch verunsichern? Plötzlich erklang seine kräftige, dennoch irgendwie auch sanfte, Stimme und mein Körper verkrampfte sich sichtlich erschrocken zusammen. “Es ist wirklich bemerkenswert, wie du es geschafft hast so lange da draußen alleine zu überleben. Sag mir, wie hast du das geschafft?” Erwartungsvoll sahen mich diese strahlend blauen Augen an. Er schien sehr interessiert zu sein, wie meine Antwort wohl lauten würde. Doch so besonders und zufriedenstellend würde die wohl nicht ausfallen. “Ich….. Da gibt es nichts Besonderes zu sagen. Ich...habe einfach versucht zu überleben, egal wie. Alles was…..Levi mir all die Jahre beigebracht hat.” Enttäuschter und leiser wurde meine Stimme zum Ende hin, als ich mich an den Tag zurück erinnerte, wo Levi uns auf der Mission alleine ließ. Ich hatte es ihm bis heute nicht verziehen und wusste auch den genauen Grund nicht, wieso er es getan hatte. Er hätte bei uns bleiben können. Wir hätten sicherlich zusammen wieder Anschluss gefunden. “Euer Plan war damals ziemlich nach hinten los gegangen. Aber es war ja auch zu einfach, euch zu überreden dem Aufklärungstrupp beizutreten.”
Fragend richtete ich meinen Blick auf den Kommandanten. “Was für einen Plan?” Doch auch Erwins Blick war überrascht, als er feststellen musste, dass ich von alledem nichts wusste. “Verstehe.” Gab der Blondhaarige bedenklich von sich. “Du hast also damals nichts davon gewusst.” Stirnrunzelnd sah ich den blonden Kommandanten vor mir an. Wovon sprach dieser Mann? “Verzeihen Sie, aber ich weiß wirklich nicht von was für einen Plan sie sprechen.” Erwin richtete seinen Oberkörper auf und lehnte sich nach hinten in den Stuhl, während er seine Arme dabei verschränkte.
“Levi hatte damals einen Auftrag angenommen. Einen Auftrag der lautete bestimmte Dokumente zu stehlen und mich aus dem Weg zu räumen. Als Gegenleistung hättet ihr damals eine Bürgerschaft erhalten, die euch erlaubt an der Oberfläche zu leben. So hättet ihr aus dem Untergrund entkommen können und in Frieden leben können. Es wundert mich schon ein wenig, dass Levi dich nicht eingeweiht hatte. Denn die anderen beiden wussten es ebenfalls.” Wie erstarrt saß ich vor ihm, starrte vor mich hin und musste erst einmal das verarbeiten, was aus dem Mund des Kommandanten kam. Sie hatten einen Auftrag angenommen, von dem ich nichts wusste? Wieso? Wieso war ich die einzige, die von dem Ganzen nichts wusste? “Aber...wieso? Was für einen Grund sollte Levi haben, mir das nicht zu erzählen?” Die Enttäuschung war mehr als klar aus meiner Stimme herauszuhören. Ich hatte soviel mit Levi durchgemacht. Wir hatten jeden Auftrag zusammen durchgeführt. Egal wie schwer dieser auch schien. “Du und Levi, ihr kennt euch schon ziemlich lange, nicht wahr?”
“Ja, er…..er hatte mich damals als Kind aufgegabelt im Untergrund. Ich war in...schlechte Verhältnisse geraten und er….half mir. Aus welchem Grund auch immer.” Levi hatte es mir bis heute nicht gesagt, was ihn damals dazu trieb mir zu helfen. Ein wildfremdes Mädchen, dass keinerlei Ambitionen hatte in dem Untergrund zu überleben. Ich hatte es versucht, hatte versucht zu fliehen und es scheiterte. Und somit starb auch der Glaube damals an das Überleben. Doch Levi lehrte mich Besseres. Er kämpfte um das Überleben, egal wie aussichtslos eine Situation auch schien, irgendwie hatte er,...hatten wir, es immer wieder geschafft.
“Weißt du….” Riss der Kommandant mich wieder aus meinen Gedankengängen. “....ich glaube, dass Levi einfach nicht wollte, dass du davon weißt. Er wollte dich anscheinend da raushalten. Ihr kennt euch so lange. Er weiß sicherlich, wo du eigentlich herkommst?” Nur langsam und gespannt auf das was der Kommandant noch sagen würde, nickte ich, meinen Blick mittlerweile neugierig stets auf ihn gerichtet. “Anscheinend, wollte Levi dir einfach nur ein unbeschwertes Leben an der Oberfläche ermöglichen. Natürlich nicht nur dir, euch allen. Doch wusste ich damals schon was er vorhatte und was die anderen beiden betrifft, tut es mir leid, dass sie die Mission nicht überlebt hatten.” Diese Worte trafen mich wie ein Schlag. Ich hatte so sehr gehofft, dass Isabel und Furlan es überlebt hatten. Doch dem war anscheinend nicht so. Das hieß, Levi kehrte damals alleine mit den anderen zurück. Er hatte an einem einzigen Tag alle seine Freunde verloren. Doch….hatte ich überlebt. Mein Körper verkrampfte sich und das Bild von Levi, wie er vor mir hockte und meine Nähe suchte, schoss mir durch den Kopf. Er hatte sicherlich geglaubt ich sei tot. Was hatte er wohl gedacht, als er mich fand? Wie hatte er sich gefühlt? Hatte er sich gefreut, oder war er vielleicht erleichtert mich los gewesen zu sein? Ich hatte ihm immerhin oft Ärger bereitet und war sicherlich auch eine große Last für ihn.
Erwin sah mich mit seinen leuchtend blauen Augen durchdringlich an. “Doch….wenn das Levis Plan war, wieso nur ich? Wieso hatte er Isabel und Furlan eingeweiht? Wieso hatte er es dann nicht alleine durchgezogen?”
“Er wird sicherlich seine Gründe gehabt haben. Doch vielleicht solltest du ihn dafür direkt fragen.” Verbissen verzog ich das Gesicht und richtete meinen Blick zur Seite. Ich sollte ihn selbst fragen? Natürlich. Levi wird es ja wohl kaum herum erzählt haben, was seine Beweggründe waren. Woher also, sollte der Kommandant den Grund dann kennen. “Weißt du Kira, ich würde mich freuen, wenn du beim Aufklärungstrupp bleiben würdest. Dennoch lasse ich dir die Wahl, ob du bleiben oder gehen möchtest.” Erwin bekam mit dieser Aussage meine Aufmerksamkeit wieder und ich sah ihn mit meinen grünen Augen groß an. “Ich habe die Wahl?” Leicht lächelte mich der Kommandant an. “Ja, das hast du. Also, was wirst du jetzt tun?” Sein Blick war erwartungsvoll. Er hoffte wohl, dass ich mich für den Trupp entschied. Doch war ich mir nicht sicher, ob ich es überhaupt wollte. “Ich….bin mir noch nicht so wirklich schlüssig. Seitdem….ich aus dem Untergrund raus bin, wollte ich immer meinen Vater sehen. Und das will ich natürlich immer noch.” Mein Blick, welcher die ganze Zeit wieder gesenkt war, sah unsicher zu dem Kommandanten auf. Doch als ich seinen Blick sah, so ernst und kalt, breitete sich ein Schauer über meinem Körper aus. Dieser Blick verhieß nichts Gutes und Angst stieg in mir auf. Kurz schloss der Kommandant des Aufklärungstrupp seine Augen, ehe er seufzte und seine Stimme erhob. “Kira, es…..es tut mir wirklich leid, dass ich dir keine positive Aussage geben kann. Ich hätte damals schon dafür sorgen müssen, dass du deinen Vater früher sehen könntest. Doch leider,.....ist Shiganshina heute ein Titanengebiet. Die Mauer wurde damals durch einen kolossalen Titanen durchbrochen. Wo dein Vater zu diesem Zeitpunkt war, kann ich dir leider nicht sagen. Gesehen hatte ihn zumindest niemand.” Emotionslos starrte ich bloß vor mich hin und wünschte mir, dass die Worte des Kommandanten nur ein schlechter Traum waren. Ein Traum, aus dem ich bald erwachen würde und das alles niemals geschehen sei. Doch dem war leider nicht so. Es war die bittere Realität, die mir gerade eiskalt vor dem Kopf gehauen wurde. Erwin sah mir an, dass ich wohl nicht mehr wirklich in der Lage war, noch weitere Informationen aufzunehmen. Ich wäre vermutlich so in Gedanken versunken, dass ich ihm nicht mehr zuhören würde. “Ich glaube es ist besser, wenn du dich noch etwas ausruhen gehst und das Ganze erstmal verarbeitest. Es ist nicht leicht seine Familie zu verlieren, auch wenn man sie seit Jahren nicht gesehen hat. Die Entscheidung liegt immer noch bei dir, was du nun tun wirst. Und ich hoffe, du wirst die Richtige für dich finden.” Natürlich konnte Erwin nicht nur einer Person seine Aufmerksamkeit schenken. Seine Zeit war begrenzt und ich konnte nicht den ganzen Tag sein Büro belagern. Auch wenn ich mich einerseits sicher fühlte, in seiner Gegenwart. Andererseits aber auch sehr unsicher, durch seinen durchdringlichen Blick. “Trotzdem…..danke. Nur dank dem Aufklärungstrupp, lebe ich überhaupt noch.” Ich erhob mich kurz darauf und sah noch einmal zu dem Kommandanten hinab, der immer noch vor mir saß und mir noch kurz zu nickte, ehe ich den Raum verließ.

Als ich die Tür hinter mir schloss, lehnte ich noch mit dem Rücken gegen dieser und musste einmal tief Luft holen. Ich hatte das Gefühl nicht atmen zu können. Als wenn man mir den Hals zugeschnürt hatte. Das waren eindeutig zu viele negative Informationen auf einmal. Leicht zittrig stieß ich mich von der Tür ab und wollte den Flur entlang gehen. Doch stockte ich, als ich eine Gestalt nicht weit von mir entfernt wahrnahm. Starr standen wir uns gegenüber, bis der Schwarzhaarige langsam auf mich zu trat. Es war bereits Abends und somit dunkel. Der Gang wurde nur von wenigen Kerzen erhellt und erst als Levi nah genug bei mir war, konnte ich ihn im Ganzen erkennen.
“Konnte Erwin dich also aus der Reserve locken. Ich hoffe du konntest dich wieder beruhigen und vor allem erholen. Es ist Wunder genug, das du es da draußen überhaupt so lange überlebt hast.” Mit jedem seiner Worte, spannte sich mein Körper immer mehr an und sämtliche Gefühle brodelten in mir auf. Seine Stimme war kühl und gefühllos. So ein Verhalten hatte Levi damals zwar schon, doch man könnte meinen, dass es über die Zeit noch schlimmer geworden war. Meine Hände ballten sich zu Fäuste und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, als er daraufhin nur noch schwieg und wohl auf eine Reaktion meinerseits wartete.
Ohne etwas daraufhin zu sagen, ging ich auf Levi zu und setzte das um, was ich damals schon vor mich hin geflucht hatte. Doch ebenso sah ich ihn Sekunden später geschockt an, als nicht die Reaktion von ihm kam, die ich erwartet hatte. Er ließ es einfach zu. Er ließ es zu, dass meine geballte Faust in seinem Gesicht landete und er wehrte sich nicht einmal.
“Was…...was soll das?” Weiterhin sah ich Levi fassungslos an, bis ich ihn dann anfuhr. “Du hättest das mit leichtigkeit abwehren können! Wieso hast du das nicht getan?!” Nur langsam drehte Levi unbeeindruckt seinen Kopf wieder in meine Richtung, auf seiner Wange einen roten Abdruck, und sah mich emotionslos an. “Wieso sollte ich? War dies nicht gerechtfertigt? Ich sehe dir an, dass du mir das von damals immer noch übel nimmst. Das ist doch der Grund, weshalb du dich so abweisend mir gegenüber verhälst, oder nicht? Wegen mir sind Isabel und Furland tot. Und wegen mir, hättest auch du fast dein Leben verloren. Du hattest also einen guten Grund dies zu tun und ich hoffe, dass du dich wenigstens etwas besser dadurch fühlst. Das mit deinem Vater tut mir leid. Ich hatte gehofft, du würdest ihn früher sehen können. Doch leider verlief damals nicht alles so, wie ich es mir erhofft hatte.” Ich schwieg. Hörte Levis Worten einfach nur zu, während mein Blick starr gesenkt war. Er trat daraufhin weiter auf mich zu, doch wirkte es eher so, als wenn er an mir vorbeigehen wollte und blieb neben mir noch einmal stehen. Vorsichtig legte er mir seine Hand auf meine Schulter und sah mich aus dem Augenwinkel an. “Ich weiß, dass Erwin dir die Wahl gelassen hat. Doch ich hoffe sehr, dass du dich für den Aufklärungstrupps entscheidest und bei uns bleibst. Ich bin mir sicher, dass du die für dich richtige Wahl treffen wirst.” Ohne eine Reaktion von mir abzuwarten, glitt seine Hand wieder hinab und ging. Ließ mich alleine auf diesen fast dunklen Flur zurück. Wie erstarrt blieb ich da noch stehen und fühlte mich noch elender als vorher schon. Es war also….gerechtfertigt? Ja, das war es wohl. Doch wegen Levi hatte ich überlebt. Hätte Levi mich die ganzen Jahre nicht so hart trainiert, hätte ich keine Minute da draußen überlebt. Nur dank ihm, stand ich nun hier und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Nach Hause konnte ich nicht mehr. Das existierte nicht mehr. Wo sollte ich also hin? Mir blieb also keine andere Wahl. Die zweite Chance sollte ich daher sinnvoll nutzen, damit die gesamte Menschheit endlich frei leben konnte.

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⏰ Last updated: Feb 10, 2020 ⏰

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