Silver Mask #40

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Meine Flügel erleuchten die Umgebung und ich kann gerade noch rechtzeitig einer herabsausenden Klinge ausweichen. Mein Atmen geht viel zu schnell, meine Hände sind schweißnass und ich umklammere meine Dolche.
Mit einem kräftigen Flügelschlag meinerseits wirble ich den abtrünnigen Engel einige Meter nach hinten, direkt in die Wand eines Hauses. Ich rase ihm nach, gebe ihm einen Schlag in den Magen und er sinkt stöhnend zu Boden.
Ich greife nach einem der schwarzen Armbänder und befestige es an ihm. Ruckartig reiße ich ihm seine Maske ab und darunter erscheint ein noch junges Gesicht. Nicht viel älter als ich selbst und er schaut mich mit großen Augen an.

„Du hast die falsche Seite gewählt." Knurre ich. Er will mich von sich stoßen, aber ich presse seine Arme nach hinten an die Wand. „Versuch es ruhig. Aber du hast verloren."
Er presst seine Lippen aufeinander und schließt seine Augen. Verwundert lasse ich von ihm ab. Kaum merklich bewegt er seine Lippen und ein leises zischen verlässt seinen Mund.
Zu spät realisiere ich, dass er einen Zauber ausspricht.

„Stopp!"

Ich halte meine Hand auf seinen Mund, versuche ihn zum Schweigen zu bringen, aber es ist zu spät.
Seine Augen blitzen erleichtert auf, als seine Lippen zu einem schmalen Strich verschmelzen, bis nichts mehr als eine kleine Wölbung in der Haut sichtbar ist.
Ich stolpere zurück.

Der Schweigezauber.

Er hat sich soeben sein eigenes Todesurteil gegeben.
Der Junge fährt sich über den nicht mehr vorhandenen Mund und lehnt sich entspannt zurück. Mein Herz rast.
„Warum hast du das getan? Wenn du kooperiert hättest, wäre dir nichts passiert! Du hättest leben können!" Schreie ich ihn an. Denn ohne Mund kann er keine Nahrung , geschweige denn Flüssigkeit, zu sich nehmen. Er wird verdursten. Doch der Junge regt sich nicht mehr. Er hat seine Augen auf etwas hinter mir gerichtet und ich folge seinem Blick.

Einige Meter entfernt steht eine weitere verhüllte Gestalt. Schmal und groß gewachsen, außer den Armen ist alles in einen schwarzen Umhang versteckt. Das Gesicht ziert eine silberne, schlichte Maske.
„Wir sind sehr darauf bedacht, nichts zu verraten." Sagt die Gestalt. Seine Stimme verrät, dass es sich um einen Mann handelt.
Jetzt erkenne ich ihn. Oder denjenigen, welcher er vorzugeben scheint.

Silver Mask

„Warum?" Er zuckt mit den Schultern. „Das musst du unsere Anführerin fragen." Aus seiner Stimme ist ein Lachen zu hören. „Ach Moment, bist das nicht du? Das Mädchen mit der Gabe des Paralysierens?"
Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte auf ihn zu. „Ich habe nichts mit euch zu tun! Ihr, besonders du, hast mich bloß als Aushängeschild benutzt und so getan, als gehöre ich zu euch. Obwohl ich bis vor einem Jahr nicht einmal wusste, dass es euch gibt. Und warum das alles?" Er lacht. Seine Stimme ist rau.
„Sag bloss du wusstest nichts von uns. Uns gibt es schon so lange." Er hält inne und fasst sich an die Stirn. „Ich vergaß. Im Himmel erzählen sie euch nur die halbe Wahrheit. Oder sogar nur einen Viertel davon. Ich wette, du wusstest weder von den Aufständen, die bereits über drei Jahre gehen, noch von der Gruppe der abtrünnigen Engel, wie sie uns nennen." Er lacht erneut.

Seit drei Jahren? Davon ist nie etwas in den Nachrichten gekommen.
„Weißt du, die Engel sind sehr darauf bedacht, euch nur dann, das sehen zu lassen, was sie wollen. Nicht was wirklich passiert." Er kommt näher, ich sehe feine Muster auf seiner Maske. Luftlöcher ziehen sich wie ein Strich durch die Maske und teilen sein Gesicht in zwei Hälften.
Ich stolpere rückwärts, falle fast über den Jungen, welcher noch immer reglos auf dem Boden liegt, uns jedoch mit wachsamen Augen beobachtet.
„Aber warum ich? Warum musste ich für eure Taten hinhalten?" „Warum fragst du? Hier geht es nicht um dich, falls du das dachtest. Nur deine Gabe kam zur rechten Zeit, am rechten Ort zur Geltung."
Er knackt mit seinen Fingerknöcheln. „Wir haben mehr gemeinsam, als du denkst." Er zeigt auf den Jungen hinter mir, helle Lichtfäden schlängeln sich seinen Arm entlang und in den Körper des Jungen hinein.

Er erstarrt.

Er hat ihn paralysiert!

„Du hast die gleichen Kräfte wie ich?" Frage ich erstaunt. „Natürlich. So konnte ich ganz beruhigt meine Taten als deine ausgeben. Unsere Gabe ist selten, Zufall, dass ich gerade dich fand." Er kommt einige Schritte auf mich zu.
Über mir ist ein Knall zu hören, auf welchen einen Schrei folgt. Ich schaue nach oben, eine Rauchwolke breitet sich rasend schnell über mir aus.
Der Mann folgt meinem Blick. Sofort reagiere ich und stürze auf ihn. Doch er weicht mir aus, obwohl er mich nicht einmal anschaut.
„Lächerlich." Ich stürze zu Boden und meine Dolche schleifen über den Boden. Er breitet seine Flügel aus, und sie erhellen den Boden.
„Ihr treibt uns zurück." Stellt er fest. Verwundert schaue ich ihn an. „Die Rauchwolke. Ich sollte verschwinden." Er verbeugt sich. „Ich hätte gerne gegen dich gewonnen, aber das muss warten." Ich rapple mich auf. „Warte!" Er hält in seiner Bewegung inne.

„Warum macht ihr das? Wir können doch in einer friedlichen Welt leben." Er stößt ein verächtliches Lachen aus. „Frieden? Ist es das, was sie euch glauben lassen? Du weißt doch selbst am besten, wie groß die Kluft zwischen dem Himmel und der Hölle ist." Er deutet auf meine Haare. Ich streiche meine Haare nach hinten und strecke meinen Rücken durch. „Ich werde akzeptiert. Mir geht es gut. Meine Haarfarbe beeinträchtigt mich in nichts."
„Glaubst du? Dann sag mir, wie haben die im Himmel auf dich reagiert? Wie oft wurdest du bereits für einen Nebenjob angefragt? Wie oft hast du schlechtere Bewertungen als die anderen bekommen?"
„Nebenjob?" Stelle ich die Gegenfrage. Gehetzt schaut er nach oben. Der Rauch senkt sich langsam auf uns nieder. Ich blinzle und wedle vor meinem Gesicht.
„Das wirst du noch früh genug erfahren. Dann wirst du sehen, dass ich recht hatte. Ich muss jetzt gehen. Bis bald, Anführerin."

Im selben Moment, als er die Flügel ausbreitet, stürze ich mich auf ihn.
Klammere mich an seine Hüfte und verfluche mich dafür, beide Dolche am Boden gelassen zu haben. Erschrocken schaut er mich an, schlägt jedoch kräftig mit den Flügeln und rast nach oben. Ich halte mich panisch fest, während er mit den Füssen strampelt um mich loszuwerden. Ein heller Lichtpunkt taucht auf und fliegt geradewegs auf uns zu. Ich schlage gegen seinen Bauch, versuche ihn nach unten zu zwingen. Breite meine Schwingen aus und bremse unseren Flug. Ein verhüllter Krieger beobachtet unseren Kampf.

Plötzlich trifft mich etwas schmerzhaft in die Seite. Ich krampfe zusammen, als der Schmerz plötzlich um ein Vielfaches schlimmer wird. Ein Fuß fliegt auf mich zu und versetzt mir einen Stoß in die Magengegend. Ich schreie auf, meine Augen tränen.
Ich presse meine Hände auf meine Seite, fühle etwas Nasses, warmes. Zu spät merke ich, dass nur noch mein Fuß mit dem des verhüllten Kriegers verhakt ist.
Mir ist schwindelig, schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Das Rauschen um mich herum wird leiser. Mit letzter Kraft schlage ich mit meinen Flügeln, löse mich von ihm. Dann sinke ich in die Tiefe.

Verschwommen nehme ich war, wie der andere Krieger meinen Angreifer packt. „Verdammt, Aries, was sollte das?"

Dann wird alles schwarz.

Aries?

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Nur noch vier Kapitel vor uns...

White WingsWhere stories live. Discover now