Der, mit den blauen Augen #26

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Früher, als die Welt am Abgrund ihrer Existenz stand, als der Religionskrieg beinahe das ganze Land zerstört hatte, lebte abseits aller Menschen, auf einem Hügel, eine einsame Person.

Es war, bevor die Tore zum Himmel und der Hölle sich öffneten.

Die ganze Welt war in Dunkelheit getaucht, die Menschen am Boden zerstört. Die Hoffnung ausradiert, der Mensch lebte dahin, ohne zu denken, nicht mal überleben zählte mehr.
Man atmete und starb, wenn es nichts zu essen mehr gab.

Und eines Nachts, als ein fürchterlicher Sturm über das Grasland wütete, erhob sich diese Person von ihrem Stuhl.
Unter dem Berges ertönte Geschrei und die Gestalt trat aus ihrem kleinen Häuschen, blickte nach unten.
Tief unter ihr, in einer weit entfernten Stadt lachten die Menschen hysterisch.

Nicht aus Furcht, nicht weil jemand etwas Lustiges erzählt hatte.

Sie lachten aus Angst, aus Unglaube.

Sie lachten, weil ihnen nichts mehr bliebt.

Der eiskalte Sturm peitschte um die Gestalt, wischte den Umhang weg und gab den Blick frei, auf ein, von Sommersprossen übersätes Gesicht. Der Junge, fast noch ein Kind, lauschte den verzweifelten Menschen, der Wind trug ihre Stimmen bis zu ihm.
Der Sturm wurde stärker, riss an den losen Dächern. Mit eisblauen Augen verfolgte der Fremde, wie der Sturm sein Unwesen trieb.

Erneutes hysterisches lachen wandelte sich in Geschrei, triefend vor Verzweiflung.
Er fällte einen Entschluss.
Der Junge machte einen Schritt nach vorne, ins Nichts. Doch anstatt zu fallen, fing der Wind ihn auf und trug ihn sanft nach unten. Die Hände des Unbekannten begannen zu glühen, seine dunklen Haare flatterten im Wind, als er auf die Häuser zuflog.

Im größten Hause saß eine Menschenmasse, eng aneinandergedrängt, im Kreis.
Sofort verstummte das Lachen.
Der Junge verneigte sich und streckte die Hände nach oben. „Ihr habt lange genug vor euch hingelebt. Es ist Zeit, dass ihr euch eine neue Existenz aufbaut. Die Engel sind erschüttert über euer Verhalten. Hört auf, euch zu benehmen als sei euch alles egal. Ihr seid Lebewesen, ihr sollt Leben!"
Seine Stimme klang beruhigend, dunkel und doch so schrill. Er klopfte gegen die Wand und sofort legte sich der Sturm und mit ihm eine unheimliche Stille.
„Ich gebe euch Zeit bis zum nächsten Leermond. Dann werden sich die Tore öffnen und wer bis dahin nicht bewiesen hat, das er würdig ist zu leben, wird des ewigen Lebens verdammt!"

Für den Jungen war es ungewöhnlich, mit dem Leben zu drohen. Doch er wusste, auch wenn es niemand zugeben mag, nicht zu sterben, ist furchteinflößend.
Viele Menschen fürchteten sich nicht vor dem Tod, sondern vor dem Leben.
Sie wussten aus genug Geschichten, wenn man nicht sterben konnte, sieht man diejenigen sterben, welche man liebt. Man konnte sich nicht durch den Tod dem Schrecken der Welt entziehen. Mann musste alles miterleben.

Er stampfte mit den Füssen auf, ein kräftiger Windstoß fuhr durch die geschwächten Körper alle Anwesenden.
„An die Arbeit!" Schrie er. Sofort taumelten die Menschen auf, rannten durcheinander und gaben Anweisungen, welche sofort durch neue ersetzt wurden. Der Junge stand inmitten allen, beobachtete die Menschen zufrieden, wie sie sich mühe gaben, die zerstörte Stadt aufzubauen.
Wie seine Kräfte ihren letzten Lebenswillen an die Oberfläche getrieben hatten.

Boten wurden in die umliegenden Dörfer geschickt, der Rest der Menschen zusammengekratzt und die Legende des Jungen mit den Feuerhänden machte rasend schnell die Runde im Land.
Im einen Ort hieß es, er habe den Sturm mit bloßen Händen besiegt, in einem anderen habe er die Tore zum Paradies versprochen. Sein Aussehen variierte von einem kleinen Kind bis zu einem alten Mann.

Der Junge beobachtete alles zufrieden von weit oben, immer einen Blick auf die große Monduhr werfend.
Doch nicht nur Freude herrschte im Land.
Angst, vor dem mächtigen Kind verseuchte die Oststädte des Landes.
Der führende Kopf dahinter war ein junges Kind, mit Sommersprossen und dunklen Haaren.

Der Himmelsjunge, wie er genannt wurde, hatte einen Zwilling. Sie ähnelten sich aufs Haar, anstatt Eisblauen besaß sein Bruder jedoch goldene Augen. Er war überhaupt nicht zufrieden, was sein Bruder den Menschen versprochen hatte.

Und während die Menschen auf das Paradies hoffen, suchte der Höllenjunge seinen Bruder, einen Plan ausfechtend und mit nur einem Ziel: Ihn zu töten.

Denn das Paradies stand nur Ihm alleine zu.

Doch der Himmelsjunge erwartete seinen Bruder bereits, er erklärte ihm, dass er beide Tore öffnen möchte, und der Menschheit offenbaren wolle, dass es noch so viel mehr gibt als nur die Menschenwelt.
Doch der dunkle Junge war nicht einverstanden. Er wollte die Hölle für sich, schliesslich gab es einen Grund, weshalb die Menschen auf der Erde lebten. Der Himmelsbruder versuchte ihn zu beschwichtigen, während sein Bruder immer wütender wurde.

In dieser Nacht erschütterten riesige Erdbeben das Land, als sich die zwei Brüder bekämpften.
Doch auch in dieser Nacht, ging der leere Mond auf.

Die Frist war abgelaufen.

Aber anstatt das Land im Dunkeln zu lassen, strahlte er so hell wie bei Vollmond.
Die Tore öffneten sich, drei in der Anzahl, für den Himmel und die Hölle. Dank dem taghellen Licht, welches diese verursachten, war der dunkle Bruder für eine Sekunde abgelenkt.

Der Junge mit den eisblauen Augen konnte ihn vom Kampfplateau stoßen, mit einem sauberen Schnitt in der Brust.

Doch der Bruder kam nie auf dem Boden an.

Im Flug verließ sein Geist den Körper und drang in den seines Kampfgegners ein.

Man sagte, in dieser Nacht war das Geschrei des überlebenden Bruders über das ganze Land zu hören. Seinen gequälten Ruf, wie er mit dem Geist seines Bruders im Innern kämpft.

Nach der Offenbarung machten sich die Menschen auf die Suche nach dem Jungen, der ihnen Hoffnung geschenkt hat.

Aber er wurde nie wieder gesehen.

Doch jede Nacht, bei Leermond, wird sein Geschrei durch alle Winde verstreut.
Leidend, im immerwährenden Kampf gegen seinen Bruder, ist er wahnsinnig geworden.

Doch was niemand weiß, der Kampf hat auf genau dem Plateau stattgefunden, auf welchem wir uns nun gerade befinden...

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Alte Legenden, niemand weiss ob sie wahr sind oder nicht...

White WingsWhere stories live. Discover now