Nette Bekanntschaften #5

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Das erste, was mir auffällt, als ich die Augen öffne, ist das helle Licht, welches den Raum erhellt.
Gleich danach die laute Stimme, welche keineswegs fröhlich klingt.
Eher wütend.

„Schau doch wo du hintrittst!"

„Ich habe ja pass auf gesagt."

„Ja aber erst nachdemdu bereits auf meine Füße getreten und alles verschüttet hast."

„Ich habe mich ja entschuldigt!"

„Das macht meine Schuhe auch nicht wieder sauber!"

„Jetzt macht doch nichts so ein Drama draus, du kannst deine Schuhe ja putzen. Es ist nur etwas Kaffe."

Kurz wird es ruhig. Ich richte mich auf und strecke meinen Rücken durch.
Alles schmerzt. Ich habe das Gefühl, das tausende Nadeln mir überall im Körper stecken.
Etwas scheppert.
Zerbricht?

„Pass doch auf du Idiot!" Keift eine Stimme erneut.

Ich stöhne genervt auf. Tolle Art aufzuwachen.

„Tut mir leid!"

„Das kannst du jetzt aber selbst zusammenwischen."

Ich fahre mir durch die Haare und suche in meinem Koffer nach einem Kamm. Ich streiche meine Kleidung glatt und bürste meine Haare. Erst als ich fertig bin, fällt mir auf, dass es ruhig geworden ist.
Unsicher gehe ich auf die Türe zu und öffne sie langsam.
Vorsichtig schaue ich mich um.

Ein Mädchen und ein Junge sitzen sich gegenüber an dem Tresen. Auf dem Boden daneben liegen Scherben von einem Glas, der Boden sieht aufgeweicht auf. Sie würdigen die Tasse keines Blickes.
Ihre Aufmerksamkeit richtet sich sofort auf mich.
"Hallo allerseits." Das blonde Mädchen hat ein breites Lächeln im Gesicht. Jedenfalls solange bis ihr meine dunklen Haare auffallen.
Was weniger als ein paar Sekunden dauert.
Sie verzieht ihr Mund zu einem schmalen Strich.

„Und du bist?"

Ich trete vollständig aus der Tür. „Ich bin Alva. Alva Devyn."
„Du hast dunkle Haare." Bemerkt der ebenfalls blonde Junge.
„Ja."

Da keiner der Beiden anstalten macht, etwas zu sagen, beschließe ich, mich an Smalltalk zu versuchen. „Und wie heißt ihr?"
„Ich bin Sharon." Antwortet das Mädchen sofort und streicht sich dabei ihre glatten Haare aus dem schmalen Gesicht.
„Und ich bin Lex." Er nickt mir zu. „Da du scheinbar auch zu unserem Team gehörst, bediene dich ruhig. Es ist alles da."

Ich lächle ihm dankbar zu und gehe mit langsamen Schritten zum Kühlschrank und suche mir Milch heraus. Dann greife ich nach den erstbesten Frühstücksflocken und gebe beides in eine Schüssel. Dabei schaue ich verstohlen zu den anderen.
Aber beide sind wieder ins essen und in die Luft starren vertieft. Ich stelle die Schüssel langsam auf den Tresen und setze mich vorsichtig auf den Stuhl neben Sharon, darauf bedacht, mich nicht gleich am ersten Morgen zum Affen zu machen.

Mir entgeht nicht, wie Sharon unauffällig etwas von mir wegrückt. Ich lasse mir nichts anmerken, aber es verletzt mich.
Ich habe gehofft, dass sie mir gegenüber freundlich ist. Kaum habe ich angefangen zu essen, steht sie auf. „Ich muss mich noch fertig machen." Verkündet sie und verschwindet im Zimmer neben meinem.
Lex schüttelt den Kopf, schweigt jedoch. Ich schaue nach draußen, durch das Fenster. Das warme Licht malt feine Punkte auf den Boden.

Moment mal!

„Müssen wir nicht bei Sonnenaufgang bereit sein? Die Sonne ist aber bereits aufgegangen."
Lex nickt. „Ja, aber hier benennen wir den Sonnenaufgang nicht danach, wann die Sonne hinter den Wolken hervorkommt, sondern wenn sie hinter dem Hauptgebäude, dem Haus vom Seraph steht. Dann ist unser Sonnenaufgang." Erklärt er mir.
„Und wann ist das?" Lex steht auf und läuft zum Fenster. „Ich würde sagen in einer guten halben Stunde. Du hast Glück gehabt, das du noch aufgewacht bist. Zu spät am ersten Tag macht keinen guten Eindruck."

Ich beiße meine Zähne zusammen und verkneife mir einen Kommentar, dass sie mich ja hätten wecken können.
„Dann mache ich mich lieber bereit." Lex nickt. Ich stelle meine leere Schüssel in das Spülbecken und gehe in mein Zimmer.
Zuerst brauche ich gute Kleider. Ich nehme an, dass wir wieder fliegen müssen, also muss ich Platz für meine Flügel schaffen. Zum Glück besitze ich einige Tanktops, welche ich gut mit einem Sport BH kombinieren kann.

Umgezogen habe ich mich schnell und husche ins Badezimmer, froh, dass die Küche und das Wohnzimmer leer sind. Im Spiegel drehe ich mich ein paarmal im Kreis, um mich mit dem Anblick anzufreunden. Dort wo später meine Flügel sein werden, sind zwei gerötete und geschwollene Streifen.
Das Band des BHs führt direkt darunter durch. Glück gehabt. Ich fahre darüber und spüre eine leichte Erhöhung. Aber schmerzen tut es nicht.
Zurück in meinem Zimmer beginne ich, meine restlichen Shirts zurück in den Koffer zu packen, denn bevor ich mich zu fest einrichte, will ich noch die Möbel etwas umstellen.
Und es hilft mir, das flaue Gefühl im Magen zu ignorieren. Als es an meiner Türe klopft, setzt mein Herz einen Schlag aus.

„Alva, du solltest auf die Terrasse kommen." Lex Stimme.
„Ich komme." Rufe ich. Atme kurz ein und aus. Es ist soweit. Rasch öffne ich die Türe und laufe auf die Terrasse.
Sharon hat sich umgezogen und trägt jetzt graue Leggins und ein weißes enges Trägertop. Auch auf ihrem Rücken sind zwei rote Streifen sichtbar.
Was mich überrascht, ist die dritte Person, ein großer, eher schlaksiger Mann. Komplett schwarz angezogen, mit einem lockeren Trägertop. Obwohl er wie ein Stock wirkt, deuten sich leichte Muskeln an den Armen und am Rücken ab.
Lex steht neben dem Mann und winkt mir hektisch zu. „Schnell, sie kommt." Ich husche neben ihn, er hat noch immer das gleiche wie vorher an.

„Wer ist er?" Frage ich ihn und deute mit meinem Kopf zum Fremden.
„Ich bin Jay. Nicht er." Antwortet er mir gleich selbst. Seine Stimme ist überraschend tief.
„Entschuldige, ich bin..."
„Kannst du mir später mitteilen. Jetzt möchte ich mich auf meine Ausbildung konzentrieren. Danke."

Ungläubig schaue ich ihn an. Ist das sein Ernst? Ich will etwas antworten, aber Lex deutet mit seiner Hand nach oben. Ich schaue in die angezeigte Richtung.
Und habe den unhöflichen Jay sofort vergessen.

Die junge Frau, welche mich gestern hierhergebracht hat, fliegt mit Anmut und in glänzender Rüstung auf uns zu.
Jedoch mag ich mich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Mit Schwung landet sie vor uns und breitet ihre beeindruckenden weißen Flügel aus, dann faltet sie sie zusammen und stößt ihr Schwert auf den Boden.

„Rekruten, hallo. Ab jetzt bin ich eure Ausbildnerin, Leiterin und Vorgesetzte. Casey Lindon Ray. Ich dulde kein Zuspätkommen, Ineffizienz und Trägheit in meinem Training. Ihr könnt von Glück reden, das ich euch trainiere, denn ich bin zusätzlich die oberste Trainingsleiterin und im Rat. Wenn ihr hart arbeitet, werdet ihr belohnt. Habt ihr irgendwelche Probleme oder ein Anliegen, kommt zu mir und ich schaue, was ich machen kann. Alles verstanden bis jetzt?"
Einseitiges nicken.
„Gut, dann gehen wir jetzt zu unserer Trainingsinsel. Flügel entfalten!"
Schnell schaue ich nach links. Lex ballt die Hände zusammen und sein Gesicht sieht angespannt aus. Im nächsten Augenblick schießen seine Flügel aus dem Rücken.

„Miss Ray," beginne ich. „Ich weiß nicht wie ich meine Flügel hervorbringen kann."
Sie mustert mich. „Komm zu mir!" Ich befolge ihre Anweisung. Sie streicht mir über die zwei Flügelansätze und mir sticht etwas schmerzhaft in den Rücken.
Lange nicht so schmerzhaft wie bei der Zeremonie, aber trotzdem unterdrücke ich ein wimmern. Dann spüre ich das neue Gewicht auf meinem Rücken. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Jay, sowie Sharon auch bereits ihre Flügel hinter dem Rücken haben.

Ohne Worte hebt Ray ab und fliegt los.

Sharon folgt ihr mit Leichtigkeit und wirft mir einen abschätzigen Blick zu. Ich schlage ein paarmal mit den Flügeln und finde mich in der Luft wieder.
Lex schaut prüfend zu mir, dann konzentriert er sich auf seine eigenen Flügel und folgt den anderen drei Engeln.

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Q: Wie würdet ihr euch bei solchen Mitbewohnern verhalten? Zurückhaltend wie Alva, oder redselig?

White WingsWhere stories live. Discover now