Sonnenfänger #13

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Der Tag mit meiner Schwester zu verbringen, ist fast so entspannend wie eine Woche Ferien. Wir bummeln durch die Stadt, machen einen langen Spaziergang und gehen sogar bis zum orangen Wald, welcher doch nicht so weit entfernt ist. Ohne zu fragen, weiß sie, dass es mir unangenehm ist, meine Flügel zu zeigen und sie findet immer einen Ausweg, damit wir zu Fuß gehen können.
Am Abend setzen wir uns in ein Restaurant, ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Der Kerzenschein taucht unseren Tisch in angenehmes Licht. Xenia wartet, bis unser Dessert aufgetischt wird, dann lehnt sie sich zu mir rüber und grinst verschwörerisch.

„Nachher, wenn es dunkel wird, muss ich dir noch etwas zeigen." Flüstert sie.
„Eine Überraschung?" Frage ich. Sie nickt und legt den Zeigefinger über die Lippen.
Ich beginne aufgeregt, mein Eis zu essen.
Wenn meine Schwester eine Überraschung hat, dann kann ich mich freuen. Im Thema Überraschung ist sie die beste, und ich vertraue, dass sie weiß, was ich mag und was nicht.

Es ist bereits vollständig dunkel, als wir das kleine Lokal verlassen und sie nimmt mich an der Hand. „Komm, wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir alles."
Ich folge ihr rennend, durch die Straßen und merke, wie leicht es mir fällt, mit ihr Schritt zu halten.
Rasch haben wir den Rand der Stadt erreicht und sie schaut sich um. „Vertraust du mir?" Fragt sie. Ich zögere nicht. „Natürlich." Sie lächelt und im nächsten Moment hat sie sich mit ihren Pechschwarzen Flügel in die Luft geschwungen.

„Dann entfalte deine Flügel."

Mein Herz setzt einen Schlag aus.

Meine Flügel.

Sie werden in der dunklen Nacht auffallen.
Ich schüttle den Kopf und laufe rückwärts.
„Nein. Das kann ich nicht."
„Doch, Alva du kannst."
Sie nähert sich mir so gut es geht und streckt die Hand aus. Ich zögere. „Jeder der nach oben schaut, wird mich - meine weißen Flügel - sehen."
„Und das ist überhaupt nicht schlimm! Du musstdeine Natur akzeptieren, denn du bleibst du, egal welche Farbe deine Flügel haben." Bittend schaut sie mich an. „Vertrau mir."
Alle möglichen Szenarien schießen durch meinen Kopf, bis hin zu dem, bei welchen mich alle Bewohner der Hölle einfangen und meine Flüge in flüssiges Pech tauchen, um sie dunkel zu kriegen.
Ich schüttle mich.

Nein!

Die Bewohner der Hölle sind genauso friedfertig wie die des Himmels. Ich spüre einen kalten Luftzug an meiner Wange. Meine Schwester ist gelandet, ihre Flügel hängen aufgefaltet bis auf den Boden.
„Na gut." Antworte ich. Ich lasse meine Flügel erscheinen und sehe den erstaunten Blick meiner Schwester.
„Sie sind wunderschön." Haucht sie. Verlegen verschränke ich meine Hände. „Also komm, wir müssen uns beeilen."
Ein kräftiger Schlag und wir sind in der Luft.

Xenia fliegt gemächlich nach oben, einem hohen Berg entlang und landet schließlich auf einem schmalen Plateau. Auch meine Füße berühren den Boden und ich will gerade meine Flügel verschwinden lassen, welche in einem schimmernden, weißbläulichen Licht leuchten, als zwei warme Hände den feinen Federn entlang streichen. Erschrocken zucke ich zurück.
„Entschuldige." Xenia zieht ihre Hand zurück. „Sie sind viel weicher als meine, und so schön leuchtend."
Ich nicke und lasse sie schnell verschwinden. Ich habe meine Flügel selbst noch nie berührt, sie waren für mich immer nur ein Mittel zum Zweck. Immer, wenn ich sie nicht brauchte, habe ich sie sofort verschwinden lassen.

„Schau, es geht los." Ich folge Xenias ausgestrecktem Arm, welches zum Höllentor zeigt.
Ich kneife meine Augen zusammen und versuche etwas zu erkennen.

Die dunkle Pforte pulsiert in einem rötlichen Licht und im nächsten Augenblick schießen tausende kleine Lichtpunkte durch das Portal.
Überrascht reiße ich meine Augen auf.
Abertausende kleine Kugeln schweben über die Stadt und im nächsten Moment schnurgerade nach oben, in den bewölkten Himmel. Inmitten der leuchtenden Punkte fliegen einzelne, größere rotschwarze Wesen.
Es scheint, als fliegen sie mit den Lichtpunkten nach oben in den Himmel.
Die Lichtflut ebbt ab und die Punkte verteilen sich über den Wolken und einige verpuffen inmitten der Luft.

Jetzt geht mir ein Licht auf.

Die vermeintlichen Blitze, welche ich gestern Nach gesehen habe, sind diese Lichtpunkte, welche sich über den Wolken tummeln. Den Blick gegen den Himmel gerichtet, verpasse ich, wie die letzten Leuchtpunkte durch das Tor fliegen und sich in den Wolken einnisten. Erst als es wieder dunkler wird und der heiße Wind einer kühleren Brise weicht, schweift mein Blick wieder über die Stadt.

„Das war schön oder?" „Ja." Ich nicke ehrfürchtig.
„Das waren die Sonnenfänger." Erklärt sie. „Sonnenfänger?" Hake ich nach. „Ja, Sonnenfänger. Ihr Beruf wird sehr unterschätzt, kaum einer kennt den Beruf noch, geschweige denn, will ihn ausüben. Dabei sind Sonnenfänger sehr wichtig. Wie du ja weißt, gibt es in der Hölle keinen Mond. Deshalb speichern die Sonnenfänger am Tag das Sonnenlicht und bringen es in der Nacht durch das Portal hierher. Unsere Sonne ist also gleichzeitig auch unser Mond." Ein Lächeln umspielt ihre Lippen.
„Klingt irgendwie romantisch." Bemerke ich trocken.
Sie kichert. „Ja, stimmt. Theoretisch müssten wir uns jetzt küssen."
„Nein, auf keinen Fall." Rufe ich aus.

Kurz wird es still.

Dann brechen wir beide in schallendes Gelächter aus.

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Wenn ich mir einen Beruf in der neuen Welt aussuchen könnte, ich denke es wäre definitiv Sonnenfänger. 

White WingsWhere stories live. Discover now