Eine unerwartete Ankunft

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»Es geht schon besser«, behauptete Andrew. Sein Gesicht war immer noch schmerzverzerrt, aber Onex hoffte, dass er ihn nicht anlog.

»Gut.« Er atmete tief ein und betrachtete den geschwollenen Knöchel. Wie lange versuchte er schon, Andrew zu heilen? Tief einatmend suchte er nach der Magie in sich und ließ sie unter Andrews Haut sinken. Er glaubte, dass die Schwellung zurückging, aber sicher war er nicht.

»Also.« Andrew räusperte sich. Er wirkte, als würde er im grünen Salon sitzen und Tee trinken. »Du und Slar ... Seid ihr ein Paar? Hast du wegen ihm die Verlobung gelöst?«

Onex sah auf. Andrew schaute auf einen Punkt am Horizont. Sein Gesicht war unbewegt.

»Slar? Nein, er ist mein bester Freund.« Onex überlegte. »Es hätte einmal etwas zwischen uns sein können, aber ... dafür ist es nun zu spät.«

»Warum?«

Onex zuckte mit den Achseln. »Wir haben zu lange gewartet.«

»Ach so.« Andrew schien noch etwas fragen wollen, schwieg aber. Er schwieg ziemlich lange.

Jemand kam vorbei und bot ihnen eine Tasse Kaffee an. Die halbe Stadt war auf den Beinen, jetzt, wo die Sturmflut verschwunden war. Die Verwüstungen, die sie angerichtet hatte, mussten immens sein. Aber sie bewirkten etwas Gutes, wenn auch im Kleinen. Die Menschen halfen. Die Frau, die Decken verteilte, war heruntergekommen und hatte erzählt, dass die Kutschen Verwundete umsonst ins Krankenhaus brachten. Aber Andrew hatte gesagt, dass er die den Schwerverletzten überlassen wollte. Sie teilten sich den Kaffee und gaben die Blechtasse zurück.

»Danke«, sagte Onex. Das heiße Gebräu wärmte ihn von innen und er hatte nicht mehr das Gefühl, dass Arme und Beine erfrieren und abfallen würden. Er spürte Andrews Blick auf sich und traute sich kaum, aufzusehen. Wann würde der endlich wieder er selbst sein? Bisher hatte er Onex nur einmal im Scherz »Landei« genannt. Das konnte doch kein Sauerstoffmangel mehr sein, oder?

»Danke, dass du mich retten wolltest«, sagte Onex versuchsweise.

»Da es nicht funktioniert hat, musst du dich auch nicht bedanken.« Andrew verzog das Gesicht. »Ich habe alles schlimmer gemacht, wenn ich das richtig verstanden habe.«

»Trotzdem war es nett von dir.«

»Nett.« Ein leises Schnauben. »Nett nützt nichts.«

Onex wusste nicht, was er darauf sagen sollte. »Du hast mir von den Grünfinken erzählt. Unten, in der Luftblase, da .... Warum hast du sie gefüttert? Um Aidan zu ärgern?«

»Nein, das hab ich doch schon ...« Andrew zögerte hörbar. »Sie haben meiner Mutter gehört. Sie hatte eine Voliere, ein riesiges Ding, mitten im Garten. Als sie gestorben ist, hat Vater die Vögel freigelassen. Aber sie bleiben, wenn man sie füttert. Ich wollte nicht ... Ich schätze, ich wollte nicht, dass sie ganz geht.«

»Oh. Das ist sehr ...«

»Wenn du nett sagst, versohl ich dir den Hintern.« Andrew sah ihn wütend an.

»Bei unserem letzten Kampf habe ich gewonnen.« Onex versuchte, bedrohlich auszusehen. »Also pass auf, was du sagst.«

Andrew blinzelte. Dann lachte er. Regelmäßige Zähne blitzten und er sah mit einem Mal ganz attraktiv aus, trotz der Schwellungen. »Wenn ich ehrlich bin, werde ich dich vermissen, Landei. Du gehst, richtig? Du ... verlässt die Stadt?« Wieder klang er, als würde es ihn eigentlich nicht interessieren. Oder als würde er sich wirklich Mühe geben, diesen Anschein zu erwecken.

»Ja, ich schätze schon.« Onex' Hände umfassten Andrews Knöchel. Nicht ablenken lassen. »Im Tempel werden sie mich nicht zurücknehmen, glaube ich. Sie waren sehr glücklich über die Verlobung. Und ich habe keinen anderen Ort, an dem ich bleiben kann. In eure Villa kann ich sicher nicht zurück.«

Seelengefährten - RidleyWhere stories live. Discover now