Ein dramatischer Besuch

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Bilek weigerte sich zunächst, Ridley hereinzulassen. Erst als Slar anbot, ihn die ganze Zeit über zu bewachen, stimmte sie zu.

»Ich hoffe, du weißt, was du tust«, brummte sie. Slar hatte keine Ahnung. Was immer Ridley im Tempel vorhatte, es konnte nichts Gutes sein. Er sah so wütend aus. Warum fühlte Slar sich, als täte er das Richtige?

Tat er das?

»Schicker Bau«, sagte Ridley und sah sich im Innenhof um. Springbrunnen plätscherten mit winzigen Wasserfällen um die Wette, verbunden von Kanälen, die alle zum großen Brunnen in der Mitte liefen. Dort verteilte die Göttin aus allen drei Händen Wasserstrahlen.

»Warst du nie hier?«, fragte Slar. »Das ist der öffentlich zugängliche Teil. Der private ist weniger opulent.«

»Danke für die Führung, Slar. Nein, war ich nicht. Ich halte mich von der dreiarmigen Nutte fern und von ihrem Puff auch.«

Ridley, wie er leibte und lebte. Slar hatte Schwierigkeiten, ihm in die Augen zu sehen. Das erinnerte ihn zu sehr an seinen ... ungehörigen Vorschlag heute Morgen. Wie hatte er Zukal so etwas anbieten können? Einfach so, ohne darüber nachzudenken. Hatte er das wirklich nur, weil er seine Hilfe brauchte, oder ...

»Hier entlang«, brummte er und geleitete Ridley durch einen niedrigen Torbogen. Er hatte nicht gelogen: Weiter innen waren die Mauern zwar immer noch blau, aber die Farbe war verwaschen und die Steine darunter unverputzt. Ein kleinerer Hof, der ihn unangenehm an das verdammte Haus der barmherzigen Mistkerle erinnerte, war gefüllt mit Wächtern. Sie trainierten im letzten Licht. Dumpfe Tritte erklangen auf Polster und gegen Holz.

»Erinnert mich an früher«, sagte Ridley, wie nebenbei. Seine Stimme klang angestrengt. »Ich wäre mal fast einer von euch geworden, weißt du?«

»Ja.« Slar nickte. »Ich habe den Sicheltritt erkannt, als wir auf dem Boot gekämpft haben.«

Ridley lachte abgehackt. »Was, echt?«

»Ja.« Slar führte ihn an den Kämpfenden vorbei. »Warum hast du aufgehört?«

»Ich wurde aufgehört.« Grauenvolle Grammatik. »Auf der Wächterakademie herrschen strenge Regeln, mein Frömmlerfreund. Wenn man nur einmal mit einem anderen Anwärter erwischt wird, wie man Schiffe versenken spielt ...«

»Ich schätze, Schiffe versenken ist eine Umschreibung für andere Tätigkeiten?« Slar hielt den Blick stur geradeaus gerichtet.

»Du hast es erfasst, alter Freund. Als ich vierzehn war, bin ich geflogen.«

»So früh.« Slar schluckte.

»Meinst du, ich war früh dran mit Rausfliegen oder mit Schiffe versenken?«

Slar wollte schweigen. Eigentlich. »Seit wann zensierst du deine schändliche Sprache? Färbe ich auf dich ab?«

Ridley stolperte. »Kein Stück, du ungefickter Frömmler«, raunzte er. »Da ist man einmal höflich ...«

»Wir sind da«, sagte Slar. Der Eingang zu den Zellen war eine mit schwerem Eisen beschlagene Tür. Winzige Fenster, mehr Gitter als Öffnung, lagen tief in den Mauern. Samantha und Louis bewachten die Tür, obwohl das bei der Masse an Wächtern hier kaum nötig war.

»Danke. Bin gleich zurück.« Ridley marschierte auf die Tür zu. Slar holte sofort auf.

»Ohne mich lassen sie dich nicht herein«, sagte er. Er legte eine Hand auf Ridleys Schulter. Wärme drang durch den schwarzen Umhang und er musste Bilder zurückdrängen, die nicht hergehörten. Er nickte den beiden Wächtern zu und geleitete Ridley die Treppen hinunter in den Keller.

»Slar.« Jennifer saß an dem schweren Eichenpult an ihrem Fuße. »Die Göttin sei mit dir. Wer ist das?«

»Die Göttin sei mir dir, Jennifer. Das ist Ridley Zukal. Er möchte mit einem der Gefangenen sprechen.«

Sie hob eine Augenbraue. Ob sie Ridley als den Zerstörer erkannte oder als den Dieb, der das Zeremonienboot gestohlen hatte, wusste er nicht.

»Gut, aber bleib immer bei ihm und pass auf, dass er den Gefangenen nichts zusteckt.«

»Ich kann das alleine.« Ridley klang unerträglich arrogant. So arrogant, dass Slar sicher war, dass er etwas verbarg. »Geh ruhig zurück auf deinen Posten, Slar.«

»Nimm ihn mit oder du kannst nicht rein«, sagte Jennifer und erhob sich zu ihrer vollen Größe. Sie reichte Ridley fast bis zum Brustbein. Der ballte die Fäuste. Ein leises Knacken erklang.

»Ja. Gut.« Ridley öffnete die Zahnreihen kaum. Seine Augen loderten, so hell, dass Slar den Blick nicht abwenden konnte.

»Zu wem willst du?« Jennifer zückte den Bleistift. »Name, Vorname.«

Ridley zögerte einen Moment. Sein Blick huschte zu Slar und zurück. »Zukal«, sagte er. »Rebecca.«

Was?

»Ach, die mit der Schaufel.« Jennifer pfiff leise durch die Zähne. »Alles klar. Slar, bring ihn zu ihr. Ganz hinten rechts. Percy schließt euch auf.«

Rebecca Zukal? Slar versuchte, Ridleys Blick einzufangen, aber der schritt so schnell voraus, dass er keine Gelegenheit dazu hatte. Die breiten Schultern waren zum Bersten angespannt.

Rebecca Zukal. Ist er verheiratet, oder ... Hat er nicht eine Schwester erwähnt, gestern, als wir ...

Wieder ein Gedanke, den er schleunigst verdrängen musste. Er folgte Ridley den düsteren Gang entlang und packte seine Schulter.

»Ich gehe voraus«, raunzte Slar mit seiner besten Wächterstimme.

»Bist du sicher? Eine nassglänzende Zungenspitze erschien. »Hast du keine Angst, dass ich dir dann auf den Arsch starre?«

Was sollte er darauf antworten? Mit einem ungemütlichen Gefühl im Nacken ging Slar voran.

»Die mit der Schaufel?« Percy nickte. »Alles klar.« Er wandte sich um. »Kleine, ab an die Wand, Hände an die Mauer und Beine auseinander! Aber zackig!« Was er durch das Loch in der Tür sah, stellte ihn offensichtlich zufrieden.

Er rasselte mit seinem Schlüsselbund und machte sich an der Tür zu Zelle 31 zu schaffen. Slar erhaschte einen Blick auf Ridleys Züge. Weiß, fast gespenstisch, als würde er das Schlimmste befürchten. Dann, als das Klacken des Schlosses durch den Gang hallte, rann ein Ausdruck der Hoffnung darüber.

Was ist passiert, Ridley?, dachte Slar. Warum erzählst du ... Nein, das war Blödsinn. Warum sollte Ridley ihm irgendetwas erzählen?

Zu zweit betraten sie die Zelle. Unter dem vergitterten Fenster stand eine Frau. Eine schöne Frau, soweit Slar das im Dämmerlicht erkennen konnte. Ihr dunkler Zopf war so tiefschwarz wie Ridleys Haare, ihr Körper zierlich und schlank.

»Und? Kann ich mich wieder umdrehen?«, brüllte sie. Auch das erinnerte an Ridley.

»Becca.« Zukals Stimme klang rau.

Die Frau fuhr herum.

»Rid!« Sie warf sich in seine Arme.

Seelengefährten - RidleyWhere stories live. Discover now