Ein weiteres Problem

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»Slar!«

Slar bäumte sich hoch, schrie, versuchte zu schreien und übergab sich. Fauliges Wasser schoss aus seinem Mund, kaum angewärmt und nach Unrat riechend. Ein Teil ergoss sich über Ridleys Hände. Ridleys Hände, die auf seiner Brust lagen und auf sie einpumpten. Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper und Ridleys Gesicht verschwand.

»Slar.« Das klang schon ruhiger.

Slar blinzelte. Er hatte sich halb aufgerichtet. Alles war kalt. Eiskalt. Seine durchnässte Kleidung, die Pflastersteine, auf denen er saß, die Haut in seinen Wangen, als er darüber strich. Ridleys Wange, über die er ebenfalls strich. Kristallaugen blitzten im Licht der Straßenlaterne.

»Was ist passiert?«, krächzte Slar. Er blickte sich um. Sie saßen am Rand eines Kanals, auf bröckelnden Stufen. Neben ihnen wölbte sich eine kleine Brücke, auf der eine einsame Laterne Licht spendete. Es stank erbärmlich. Nach Kanalwasser und Magensäure und Fischabfällen.

Slar atmete in schmerzende Lungen. Er hustete noch einmal, wischte sich über die Augen und blickte auf. Genau in das Schönste, das er je gesehen hatte, und je sehen würde. Ridley Zukals Lächeln, ohne einen Funken Spott oder Ironie. Augen und Zähne blitzten vor purem, unverfälschtem Glück.

»Du lebst«, sagte Ridley mit samtweicher Stimme. »Du lebst, das ist passiert. Sie haben dich in den Kanal geworfen, aber ich habe dich rausgefischt.«

»Zukal, der fantastische Fischer«, murmelte Slar. Sein Kopf fühlte sich leicht an. Anders war nicht zu erklären, dass er seinen eisigen Mund auf Ridley legte. Und dass der den Kuss annahm wie ein Geschenk. Nasse Finger fuhren über Slars Ohren. Da, wo ihre Münder sich berührten, entstand eine Wärme, die ihn ganz ausfüllte. Einen Moment lang zumindest. Dann erinnerte er sich.

»Onex!« Er wich zurück. »Er ist noch im Goldenen Honigtopf.«

»Oh. Richtig.« Ridleys Augen wurden dunkel. Einen Moment lang glaubte Slar, ihn verletzt zu haben. »Holen wir ihn da raus.«

Slar blinzelte. »Du hilfst mir?«

»Na klar helfe ich dir. Wir sind doch Zukal der Zerstörer und Slar der Gerechte. Und wir retten Leben.«

»Ja. Ja, das tun wir wohl.« Trotz der Eile musste er Ridley ansehen. Die tropfenden Haare, die dunklen Schatten unter den schönen Augen. Er wollte ihn hundert Dinge fragen, er wollte ihm hundert Dinge erzählen. Wie üblich brachte er nichts davon heraus. Aber immerhin dachte er drei Worte.

Ich liebe dich.

»Gehen wir«, sagte er. »Weißt du einen Weg in das Gebäude?«

»Vielleicht. Hatte keine Zeit, rauszufinden, ob der funktioniert.« Ridley zog sich die nasse Kapuze über den Kopf. »Aber zusammen packen wir das, schätze ich.«

»Ja.« Slar war so ein Trottel, aber es kam ihm wie das Romantischste vor, das je jemand gesagt hatte.

Sie hörten die Schreie, sobald sie auf die Brücke hinaus traten. Sie kamen aus der Richtung des Hafens. Nur wenige Menschen waren unterwegs, aber sie brüllten ausnahmslos.

Drei graugesichtige Fabrikarbeiterinnen rannten auf Ridley und Slar zu. Eine glitt auf den Pflastersteinen aus. Die anderen beiden hielten nicht an, um ihr aufzuhelfen. Sie rappelte sich auf und stolperte weiter. An ihnen vorbei.

»Was ...« Slar sah sich zu Ridley um. Der war totenblass. Er blickte auf etwas im Himmel, über selbst den höchsten Dächern, viel zu hoch ...

»Flutwelle«, krächzte Ridley. »Weg.«

Eine graue Wand erhob sich über den Dächern. Brodelnd, mächtig. Ein rauschendes Donnern erschall. Blitze leckten über den Himmel und erhellten die tödlichen Massen, die immer höher stiegen. Bewegte die Welle sich, oder ... Ridley riss an Slars Ärmel und schleifte ihn vorwärts. Sie rannten über das Pflaster.

Seelengefährten - RidleyWhere stories live. Discover now