5.7 ☾ Josephine

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»Warum hast du das getan, Mutter?«, zische ich in das schwarze Telefon. In diesem Moment bin ich mir nicht mehr sicher, ob sie den Namen Mutter noch verdient.

Es fühlt sich an wie ein Déjà-vu, nur dass ich nun an der anderen Seite der dicken Glaswand sitze und diejenige dahinter sitzt, die auch schon damals anstelle von mir hätte hinter Gittern sitzen sollen.

»Ich hab das alles doch nur für dich gemacht, Josephine«, redet sie mir mit flatternder Stimme ein.

»Wenn du mir die Wahrheit nicht sagst, dann, schwöre ich, gehe ich durch diese Tür und komme nie wieder«, raune ich mit unterdrückter Wut und fühle wie sich meine schwitzige Handfläche immer mehr am schwarzen Hörer festsaugt. Ich muss kalt sein. So unglaublich kalt, um dieses eisige Schutzschild nicht schmelzen zu lassen.

»Aber Josephine, ich bin doch deine Mutter...«, schnappt sie erschrocken und mit Tränen in den Augen.

»Komm mir nicht so!«, knurre ich. Meine Stimme fühlt sich dabei so an wie die einer fremden Person. Ich weiß, dass sie das alles nicht ernst meint. Wie kann ich einer Person je wieder vertrauen, wenn sie Menschenleben auf dem Gewissen hat?

Im nächsten Moment stehe ich auf und will den Hörer schon in die Gabel knallen, als ich die Stimme meiner Mutter erneut vernehme. »Bleib, bitte. Dann erzähle ich dir alles, was du willst«, fleht sie.

Eigentlich will ich jetzt wirklich gehen, aber andererseits habe ich in diesem Augenblick die kleine Chance, endlich die Wahrheit über die Ereignisse zu erfahren.

Ich atme einmal tief durch und setze mich dann wieder. Ich sehe meine Mutter nicht an. Einfach weil das zu schmerzhaft wäre. Ich kann sie nie wieder ansehen.

»Los, Josephine, frag mich, was du willst«, fordert sie mich mit weicher Stimme auf.

Im ersten Moment weiß ich nicht mehr, was ich überhaupt fragen soll, doch dann geistern die gruseligen Worte doch durch meinen Kopf und sortieren sich zu sinngemäßen Sätzen.

»Hast...hast du Nicole, Louise und Mrs. Campbell umgebracht«, stammle ich. Mein Herz klopft mir dabei mit der Kraft eines Presslufthammers gegen die Brust.

Die Augen meiner Mutter weiten sich etwas vor Schreck.

»Hast du?«, hake ich etwas zu barsch nach.

»Nein«, zischt sie. »Das heißt, ja, ich habe Louise und Mrs. Campbell getötet. Aber das mit Nicole, das war Mary.«

»Aber...aber Mary und Nicole waren doch Freundinnen, oder etwa nicht?«

»Weißt du«, beginnt sie dann, »Mary hat Nicole dafür gehasst, dass sie ihr immer die Show gestohlen hat. Es kann eben nur eine geben, die im Rampenlicht steht. Und Mary, sie war so unglaublich brillant. Ihre Maschen, mit denen sie euch getäuscht hat, die waren so gut durchdacht und so fein ausgeklügelt, dass sie zu meiner Hauptkomplizin wurde.«

Ich nicke, das ergibt durchaus Sinn. »Und...und wie hast du Louise und Mrs. Campbell...«, stottere ich und verstumme beim letzten Wort. Ich will es nicht mehr erwähnen müssen. Aber meine Mutter versteht mich trotzdem.

»Mit Rizin. Es ist ein äußerst giftiges Protein, das aus dem Samen des Wunderbaums gewonnen wird. Gelangt das Gift in den menschlichen Organismus, bringt es die kontaminierten Zellen zum Absterben. Ohne Behandlung tritt der Tod für gewöhnlich durch Kreislaufversagen etwa 48 Stunden nach der Vergiftung ein. Und das Beste daran ist, wie ich finde, dass man das Gift in der Leiche nicht nachweisen kann.« Sie lächelt auf gruselige Art und Weise in sich hinein.

Schnell wende ich meinen Blick von ihr ab.

Und dann frage ich die letzte Frage, bevor ich hier rausmarschiere und nie wieder zurückkehre. »Warum? Warum hast du all das getan?«

Kurz erstarrt meine Mutter bei den Worten, dann bildet sich Wut in ihrem Ausdruck.

»Du, du willst das wirklich wissen?«, fragt sie mich eindringlich und ich gebe mir größte Mühe, sie nicht anzusehen.

Ich nicke stumm.

»Na gut. Nachdem Kates Urgroßvater, Walt Caporale, deinen Urgroßvater, Will Caporale, umgebracht hat wollte ich einzig und allein Kate und ihrer Familie schaden. Denn die beiden Brüder hatten eine weltbekannte Firma aus dem Boden gestampft, die wir noch heute kennen. Kingsman Matter. Nach dem Tod seines Bruders hat sich Walt Caporale nach seiner Firma benennen lassen und hieß von nun an Walt Kingsman.

Als ich diese Geschichte herausfand, war ich fest entschlossen, mich an den verbleibenden Kingsman zu rächen.

So hab ich vor etwa sieben Jahren den Chester's Clan gegründet. Anfangs waren die Mitglieder nur verzweifelte Aussteiger, die nicht wussten, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen sollten. Doch dann hat sich die Macht des Clans immer mehr ausgebreitet und die Mitgliedschaft wurde zunehmend interessant für jeden, der etwas erreichen wollte, das auf legalem Wege etwas schwierig war. Und der Clan wurde immer größer und größer. Wir haben unser Domizil dann schließlich im Moshannon Manor aufgeschlagen. Dort wo alles begann. Wir wussten auch, dass wir dort unsere Ruhe haben würden.

Im laufe der Zeit ging mein ursprünglicher Plan, den Kingsman zu schaden, immer mehr verloren, doch dann, als ihr in das Moshannon Manor eingebrochen seid, da hab ich die Gelegenheit genutzt und so haben alle Mitglieder des Clans geholfen, gruselige Snaps an Kate zu schicken, um sie schreckhaft und unvorsichtig zu machen. Louise, die aus dem Clan aussteigen wollte hat schließlich mit ihrem Leben dafür bezahlt.«

Fassungslos starre ich der Frau entgegen, die mich nachts immer ins Bett gebracht und mir Geschichten aus 1000 und einer Nacht vorgelesen hat. Aber in diesem Moment weiß ich, dass sie nie mehr diese Person für mich sein wird. Wenigstens ist sie jetzt ehrlich mit mir. Wenigstens weiß ich jetzt, dass ich entfernt mit Kate und Brandon verwandt bin. Trotzdem kann Ehrlichkeit nie das wieder gut machen, was sie getan hat.

»Aber warum? Warum hast du aus Rache Menschenleben genommen?«

»Weil wir hätten wohlhabend sein können, Josephine«, macht sie mir mit eindringlichen Augen klar. »Überleg doch mal, wir hätten leben können wie die Kingsman. Hast du dir denn nie all die Dinge gewünscht, die Kate hatte?«

»Ja, hab ich mir manchmal«, sage ich mit traurigen Augen, » aber Kate hat mich auch immer für eine Sache beneidet. Für meine liebevolle Familie. Ein Teil davon ist jetzt für mich gestorben.«

Mit diesen Worten stehe ich auf und haue den Hörer in die Gabel.

Sagt mir gerne, was ihr von dieser Folge haltet. Sind Josephines Gefühle realistisch dargestellt? Dieses Kapitel diente nämlich hauptsächlich der Aufdeckung aller Fragen.

Und jetzt, macht euch bereit für das letzte Kapitel dieser Folge 😉

Greyforks | Staffel 2 || SerieOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz