1.1 ☾ Josephine

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Orange is the new black.

Den Titel der Serie hab ich lange Zeit belächelt. Doch jetzt ist dieser Spruch zu meiner bitteren Realität mutiert.

Orange, so weit das Auge reicht. Und grau. Grau ist hier die Farbe des Himmels. Wenn ich jemals ein Drehbuch über meinen Aufenthalt hier schreibe, dann gebe ich ihm den Titel »Grey is the new Blue« oder »Grey is the Sky«. Vielleicht würde aber auch ein etwas sarkastischer Titel wie »Beton ist himmlisch« passen.

Zum Glück gibt es hier keine Spiegel, denn ich bin mir sicher, dass mich mein Anblick an eine aufgeblasene Ente erinnern würde. Der orange Onezie ist aus hartem, dicken Stoff und mir viel zu weit.

Alles hier ist unhygienisch und lieblos. Das Geschirr in der Kantine ist speckig und abgegriffen, die Zellen kalt und karg. Außerdem scheint es so, als würde das Wort Privatsphäre hinter diesen dicken Mauern gar nicht existieren. Aber etwas bin ich das ja schon von meiner Mutter gewohnt.

Schon komisch, dass ich sie in diesem Moment sogar vermisse.

Es ist früher Montagabend und ich sitze gerade in der Kantine und blicke schweigend auf das unappetitliche Essen herab, das vor mir auf einem abgenutzten braunen Plastiktablett mit Einbuchtungen liegt. Wenn ich nur daran denke, mir einen Happen davon, in den Mund zu schieben, habe ich das Gefühl, ich müsste alles, samt meinen Organen auskotzen. Seit Tagen habe ich nichts gegessen, nur etwas getrunken, weil ich es sonst nicht ausgehalten hätte.

Neben mir sitzen meine Zellengenossinen, mit denen ich die letzten Tage nur die nötigsten Worte gewechselt habe.

In der Kantine ist es nicht besonders laut. Wahrscheinlich, weil es nicht einmal erlaubt ist, mit starker Stimme zu sprechen.

In der Schulkantine hab ich mir immer einen etwas niedrigeren Lärmpegel gewünscht, doch jetzt in der Stille fühlt es sich einfach nur falsch und unheimlich an.

Schon jetzt habe ich Angst vor der nächsten Nacht im Stockbett, weil ich in der letzten kein Auge zubekommen hab. Ich musste stänig daran denken, dass über mir vielleicht auch eine Mörderin schläft. Oder neben mir. Echte Mörderinnen, die ihren Opfern genüsslich beim Sterben zugesehen haben.

Ich traue mich beinahe nicht, mich selbst in Gedanken zu fragen, wie lange ich noch hierbleiben muss.

Schon morgen wird das Gericht entscheiden, ob und in welchem Maße ich schuldig bin. Was mir Angst bereitet: Meine Eltern haben nicht genug Geld, um eine eventuelle Kaution zu bezahlen. Außerdem gäbe es auch ein viel schlimmeres Szenario, das ich mir lieber nicht ausmalen möchte.

Aber eigentlich ist jede erdenkliche Situation besser, als hier zu sein. Alles ist schmutzig und unsicher. Jeden Moment habe ich Angst, mir könnte etwas zustoßen. Man hört ja alle möglichen Geschichten aus dem Knast.

»Josephine McBrigt.« Eine starke Stimme reißt mich plötzlich aus meinen pessimistischen Gedanken. Mit blinzelnden Augen blicke ich auf und sehe direkt in die Augen eines bewaffneten Wachmanns.

Langsam und etwas unsicher erhebe ich mich von meinem Platz.

Als ich mich bereits ein paar Meter vom Tisch entfernt habe, stürzen sich meine Zellengenossen sogleich auf mein zähes Schuhsohlen-Fleisch, das in billiger Fettsoße schwimmt. Das wässrige und kalte Gemüse aus der Dose hätte ich noch am ehesten angerührt.

»Ja bitte, Sir«, bringe ich hervor, als ich direkt vor dem Wachmann stehe.

»Sie haben Besuch.« Er bedeutet, mir zu folgen.

Ich gehe ihm hinterher, durch die fensterlosen grauen Flure, die nur mit kalten Neonleuchten erhellt werden. Immer wieder befinden sich tausendfach gesicherte Stahltüren an den Seiten.

Greyforks | Staffel 2 || SerieWhere stories live. Discover now