1.6 ☾ Josephine

247 43 47
                                    

Mein Herz klopft mir wie ein zentnerschwerer Bleihammer gegen meine dünne zerbrechliche Brust. Ich habe meine Augen geschlossen, weil ich nicht sehen möchte, wo ich mich befinde. Meine Hände balle ich zu Fäusten.

»Sie dürfen auf keinen Fall Ihre Hände zu Fäusten formen«, kommt es von meinem Rechtsanwalt, der mich in weniger als fünf Minuten in den Gerichtssaal führen wird. »Noch einmal zur Erinnerung: Machen Sie keine Gesten, die auf Gewalt hindeuten könnten. Schon die kleinste Andeutung auf Vehemenz könnte die Geschworenen dazu bewegen, Sie als Mörderin abzustempeln.«

Ich nicke. Kein Wort kommt aus meiner Kehle. Ich fühle mich ohnehin so, als wäre ich bereits tot.

Tief atme ich durch und erhebe mich von meinem Stuhl in dem kleinen Zimmer.

Einatmen.

Ausatmen.

Einatmen.

Ausatmen.

Mein Kopf ist zum Boden gerichtet, der in abwechselnd schwarzen und weißen Fließen gelegt wurde. Meine weinroten geschnürten Lackschuhe heben sich glänzend davon ab. Die wände sind mit dunklem Holz getäfelt. In diesem Stil ist das gesamte Gerichtsgebäude von Greyfoks gehalten.

»Sind Sie bereit?«, fragt mich mein Pflichtverteidiger, der mit Sicherheit am billigsten Collage war, das für seine Qualifikation angeboten wurde.

»Ich bin bereit.«

Bereit zum Sterben. Das Einzige, was mir noch Angst bereitet, ist die Tatsache, dass ich den Tod fürchte. Mit allem Anderen habe ich bereits abgeschlossen.

Ich frage mich, ob ich Schmerzen haben werde. Ob ich es fühlen werde, wie mir das Leben so langsam entweicht.

Von Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben, hat man gehört, dass es ein erleichterndes und friedliches Gefühl sein soll. Das hört sich nicht einmal so übel an.

Meine Lackschuhe verursachen ein hallendes Geräusch auf dem hochpolierten Steinboden. Mit jedem Klacken kommen wir dem Gerichtssaal einen weiteren Schritt näher. Gleich werde ich wie eine Mörderin in einen Raum voller Menschen geführt werden, die mich alle anstarren.

Aber es wird ohnehin das letzte Mal sein. Danach wird all dies hier für mich nicht mehr zählen. All diese Erinnerungen werden ausgelöscht werden. Die guten wie die schlechten. Nichts mehr wird je wieder schwer sein. Es wird einfach nichts sein. Einen Zustand, den ich mir bis jetzt noch nicht vorstellen kann.

Aber all das ist okay. In der Strafanstalt hatte ich genug Tage, um mein Schicksal zu akzeptieren.

Und dann öffnet mein Anwalt auch schon die schwere Holztür, die in den Gerichtssaal führt. Ein lautes Geräusch hallt von den Wänden im Raum wider. Es wird verursacht von all den Leuten, die sich zu der Angeklagten, zu mir, umdrehen.

Und dann geschieht etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe. Es sind die Gesichter von Kate und Candice, in die ich im Vorbeigehen blicke. Ihre Augen wirken geschwollen und aufgequollen und ihr Ausdruck ist betrübt. Aber als sich unsere Blicke kreuzen, dann sehe ich ihn ihnen bloß eine mögliche Aussage. Und die ist Dankbarkeit.

Ich habe bloß mit feindlich gesinnten Gesichtern und anschuldigenden Blicken gerechnet, aber nicht mit den warmen Augen von Kate und Candice. In ihnen glitzern heiße Tränen.

Und in diesem Augenblick muss ich an all die schönen Dinge denken, die wir zusammen erlebt haben. An all die schönen Nachmittage im Schwimmbad, die oft in brutale Wasserschlachten ausgeartet sind. An Pyjamapartys, bei denen wir uns all unsere schlimmsten Geheimnisse verraten haben und uns bis in die Morgenstunden Geschichten erzählt haben. An die erste Tour in Kates Auto, bei der wir stundenlang über den nahegelegenen Highway gefahren sind und den Wind im Gesicht gefühlt haben. An die Nacht als wir Campen waren, in der wir bis zum Morgengrauen geredet mit einer Tasse Kakao in den Händen geredet haben und gemeinsam den Sonnenaufgang beobachtet haben. An den Abend, an dem wir in ein geschlossenes Hotelschwimmbad eingebrochen sind und nackt baden waren. Ich kann mich noch erinnern, dass ich damals strikt dagegen war. Aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, dann ist dieser Abend so schön, dass ich ihn um nichts auf der Welt wieder hergeben würde.

An all diese Dinge muss ich in diesem Moment denken. Und ich werde mich nicht einmal von ihnen verabschieden können.

Aber was mich etwas tröstet ist, dass diese Erinnerungen in ihnen weiterleben werden. Ich werde in ihren Erinnerungen weiterleben.

Ich nehme in der vordersten Bank neben meinem jungen Anwalt Platz. Er ist vielleicht drei Jahre Älter als ich.

Dieser Gerichtssaal wird einer der Dinge sein, die ich in meinem Leben als letztes sehe, schießt es mir durch den Kopf. Ich frage mich, warum es nicht ein Strand auf den Malediven sein kann, majestätische Klippen in Island oder eine Reise in die Tiefen des Marianengraben. In diesem Moment wäre es vielleicht doch nicht so schlecht, eines dieser krebskranken Kinder zu sein. Sie haben für gewöhnlich noch einen letzen Wunsch, den ihnen niemand abschlagen kann.

Ich nicht.

Ich bin schließlich keine Krebskranke.

Ich bin eine Mörderin.

Jedenfalls bin ich das in den Augen der Leute.

»Meine Damen und Herren, wir sind heute hier, um über Schuld oder Unschuld von Miss Josephine McBright zu entscheiden«, eröffnet der Richter die Verhandlung. »Ich habe hier Beweise vor mir liegen, die bezeugen, dass Josephine McBright für den Mord von Louise Burberry zuständig ist. Bei einem Beweis handelt sich es um einen DNA Nachweis, der in der Todesnacht von Louise Burberry, dem Zaun vor ihrem Wohnhaus entnommen wurde.«

»Einspruch, euer Ehren«, spricht der junge Mann neben mir.

»Einspruch gestattet«, entgegnet der ältere Mann in Richterrobe.

»Meine Mandantin befand sich lediglich aus Gründen der Recherche vor Burberrys Haus.«

»Was für ein Zufall, dass sie genau in derselben Nacht ermordet wurde.« Die renommierte Anwältin der Burberrys steht in ihrem Bleistiftrock auf und beäugt meinen Anwalt beinahe etwas spöttisch. »Und was für eine Art der Recherche sollte das denn bitte sein? Außerdem spricht Josephines Morddrohung an Mary James eindeutig für die Bereitschaft, erneut einen Mord zu begehen.«

»Einspruch, Eurer Ehren«, kommt es von meinem Anwalt.

»Einspruch abgelehnt«, brummt der Richter mit dunkler Stimme.

Den Rest der Verhandlung bekomme ich nicht mehr so recht mit. Ich schließe einfach meine Augen und warte, bis alles vorbei ist. Ich kann ohnehin nichts tun.

»Nun sind wir am Ende unserer gerichtlichen Verhandlung angelangt. Ich verkünde nun das Urteil«, ertönt die laute Stimme des Richters durch den Saal. »Hiermit erkläre ich Josephine McBright für schuldig am Mord von Louise Burberry und verurteile sie mit der Todesstrafe.«

Ich schließe meine Augen und fühle nichts mehr. Es ist aus.

Leider kommt dieses Kapitel etwas in Verspätung. Einige werden vielleicht gemerkt haben, dass am Sonntag kein Kapitel online gegangen ist. Wenn ihr wollt, mache ich es mit einem Extrakapitel diese Woche wieder gut ;) Ansonsten wollte ich euch fragen, ob bei der Gerichtsverhandlung nicht alles etwas zu schnell geht. Da ich mich mit Verhandlungen nicht sehr gut auskenne, habe ich den Abschnitt bewusst etwas kurz gehalten. Wenn es so aber unnatürlich wirken sollte, dann werde ich mich noch ein mal besser darüber informieren und das Kapitel überarbeiten. Ich wünsche euch noch einen wunderschönen Start in die Woche, 

eure Anna Vanilla ♡ 

Greyforks | Staffel 2 || SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt