Vierundzwanzig

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Ich komme noch nicht einmal vom Parkplatz und as Schulgebäude ohne das mich jemand anspricht. Ich bin kein totaler Morgenmuffel, aber auch niemand, der früh morgens große Reden schwingt.

„Und hast du dir das wegen dem Winterball überlegt?", will Sarah von mir wissen.

„Wie wäre es erst Mal mit Guten Morgen?", schlage ich vor.

Es gefällt mir nicht, dass sie mich aus dem nichts mit diesem Thema überfällt. Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, hätte eigentlich auch Lust darauf, aber ich will nicht mit Leslie zusammenarbeiten müssen. Sie möchte es wahrscheinlich ebenso wenig, wie ich. Das würde nur komisch werden.

„Kann ich denn jemand mitbringen, der mir hilft? Ich habe da eine Freundin, die Künstlerin ist und bestimmt gerne helfen würde", sage ich.

Paula und ich verstehen uns mittlerweile wirklich super. Ich mag es mit ihr stundenlang über dummes Zeug zu reden. Außerdem liebe ich es, wenn sie mir von ihren Ideen für Bilder erzählt. Paula ist ein faszinierender Mensch. Mit ihr wird mir nie langweilig. Ich habe zwar keine Ahnung, ob sie Interesse an diesem Projekt hätte, aber ich werde sie fragen. Außerdem hätte es den positiven Nebeneffekt, dass ich dann nicht mit einem der Kollegen zusammenarbeiten müsste.

„Klar, wenn sie möchte", meint Sarah.

„Ich frage sie und sage dir dann morgen Bescheid", verspreche ich ihr.

Wir machen uns gemeinsam auf den Weg ins Lehrerzimmer und Sarah plappert mir die Ohren voll. Hin und wieder nicke ich oder gebe ein „Ja" von mir, aber ganz bei der Sache bin ich nicht. Erstens interessiert es mich kaum und zweitens bin ich in Gedanken schon beim Unterricht, den ich vergessen habe vorzubereiten. Im Lehrerzimmer angekommen werde ich von diesem Gespräch erlöst, als jemand Sarah eine Frage stellt. Ich nehme mir die Klassenarbeiten, die ich bereits korrigiert habe, und mache mich auf den Weg zur ersten Stunde. Englisch in der sechsten Klasse. Heute habe ich nicht besonders viel mit den Schülern vor. Sie bekommen ihre Klausur wieder und werden sie dann in der Stunde verbessern.

Gerade als ich bemerke, dass der Stapel Hefte ins Wanken gerät und ihn vor dem Absturz retten möchte, stößt mich jemand an. Die Hefte segeln zu Boden. Hastig versuche ich alles wieder aufzusammeln.

„Tut mir leid. Ich habe dich nicht gesehen", höre ich Leslie sagen und halte kurz inne.

„Schon okay. Kann passieren", sage ich und versuche ihr ein Lächeln zu schenken.

Im Nu ist Leslie neben mir und hilft mir die Hefte vom Boden zu klauben. Ich sehe sie von der Seite an und muss zugeben, dass sie wieder unheimlich schön aussieht, aber ich verspüre bei ihrem Anblick kein Herzrasen mehr. Mir ist es eher unangenehm sie zu sehen, da ich nicht weiß wie ich mich verhalten soll oder was ich sagen sollte.

„Ich will nur, dass du weißt, dass ich bei dem Winterball und der Deko nicht helfen werde. Das ist eher dein Ding", sagt sie zu mir als sie mir einige Hefte reicht.

„Danke", nuschele ich und stehe auf.

Leslie nickt und dann gehen wir in verschiedene Richtungen davon. Ob es jemals wieder normal zwischen uns werden wird? Es wäre schön, wenn es wieder so sein könnte, wie vor dem Kuss. Wir wären einfach nur Kolleginnen, die sich gut verstehen. Wir könnten Freunde sein, aber es ist zu viel passiert. Ich habe sie nicht zuerst geküsst, aber sie auch nicht daran gehindert.

Als es endlich zum Schulschluss klingelt, verlasse ich den Klassensaal und gehe ins Lehrerzimmer, um dort ein paar Sachen zu holen. Unter ihnen auch mein Handy, dass ich in der Pause hier vergessen habe. Ich ziehe mir meinen Mantel und Schal über. Langsam laufe ich zum Auto und lasse mich darin nieder. Einen Moment lang überlege ich, ob es eine gute Idee von mir ist, so unangekündigt bei Paula vorbei zu fahren, aber eigentlich habe ich nichts zu verlieren. Entweder ist sie da oder sie ist es nicht.

Die Strecke ist länger, als ich gedacht habe, aber da ich heute sonst nichts mehr vorhabe, ist es mir egal. Ich bleibe vor der Haustür stehen und drücke auf die Klingel. Es dauert einige Sekunden bis das Summen ertönt, dass mir zeigt, dass die Eingangstür offen ist. Ich trete in das Treppenhaus und laufe die Stufen nach oben. An Paula's Wohnungstür muss ich erst gar nicht klopfen, da sie schon in der offenen Tür auf mich wartet.

„Was für eine schöne Überraschung", meint sie mit einem frechen Grinsen.

„War eine spontane Entscheidung", sage ich.

„Ich würde dich ja umarmen, aber ich glaube das lasse ich lieber", lacht sie und deutet auf ihre schmutzigen Klamotten.

Auf ihrem Shirt befinden die bunte Farbkleckse, auf ihrer Hose ebenfalls und sie ist barfuß. Ihre tollen Haare hat Paula zusammengebunden. Einige Strähnen haben sich schon wieder aus dem Zopf gelöst, was sie aber nicht zu stören scheint.

Ich lache ebenfalls und gehe in die Wohnung. Im Wohnzimmer steht eine riesige Leinwand und auf dem Boden stehen lauter Malutensilien, Pinsel, Farben und Stifte.

„Ich wollte dich echt nicht stören", entschuldige ich mich, als ich sehe, dass sie wohl gerade an einem neuen Projekt dran ist.

„Du störst mich doch nicht. Eine Pause tut mir ganz gut. Ich bin schon seit Stunden mit diesem Bild beschäftigt. Willst du einen Kaffee?"

„Gerne."

Paula dreht sich um und schlendert in die Küche. Ich ziehe meinen Mantel aus und lege ihn auf einen Stuhl. Dann sehe ich mir neugierig an, woran Paula gerade arbeitet. Um ehrlich zu sein kann ich noch nicht viel erkennen.

„Bitteschön", ruft Paula und drückt mir eine Tasse in die Hand.

„Danke. Was wird das wenn es fertig ist?", frage ich sie.

„Weiß ich noch nicht so genau", gibt sie grinsend zu. „Vielleicht hast du ja eine Idee."

„Mal sehen", murmele ich.

Wir sitzen eine Weile schweigend nebeneinander und trinken unseren Kaffee. Paula legt ihre Füße auf den Couchtisch. Müde lehnt sie sich an meine Schulter.

„So erschöpft?", will ich lachend von ihr wissen.

„Hm", gibt sie von sich.

„Kann ich dich was fragen, oder schläfst du gleich ein?"

„So müde bin ich dann doch nicht", meint sie.

„Gut. Ich soll für einen Schulball die Dekoration entwerfen und würde mich freuen, wenn du mir helfen würdest."

Paula schweigt einen Moment und trinkt den letzten Schluck aus ihrer Tasse.

„Natürlich bin ich dabei, aber ich muss dich warnen, dass ich mit Kindern nicht so gut kann."

„Ach dafür bin ich doch da. Du sollst mir doch einfach nur helfen und deinen hübschen kreativen Kopf benutzen."

„Damit bin ich dir jederzeit zu Diensten", sagt sie und lacht.

„Das merke ich mir", sage ich und stoße sie spielerisch mit der Schulter an.

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