Acht

3.1K 147 0
                                    

Im Auto auf dem Weg zur Schule habe ich mir tausend Gedanken gemacht, was ich zu Leslie sagen könnte, um das von gestern zu erklären, aber jetzt wo ich das Gebäude betrete, sind sie alle weg. Für mich gibt es jetzt zwei Möglichkeiten, entweder ich spreche mit Leslie und schaue, was mir einfällt oder ich versuche ihr weiter aus dem Weg zu gehen. Letzteres ist nicht sehr erwachsen. Ich hoffe einfach darauf, dass sie nicht im Lehrerzimmer ist, aber meine Hoffnung wird nicht erfüllt. Sie lehnt am Fenster und redet mit Marc. So unauffällig, wie möglich versuche ich an meinen Platz zu gelangen, aber heute scheint nichts nach meiner Vorstellung zu laufen.

„Hast du eine Minute, Annalena?", bittet Leslie mich.

Wie gerne würde ich nein sagen, aber das tue ich nicht. Ich kann mich nicht ewig vor dem Gespräch drücken, auch wenn ich das gerne würde. Helen hat mich gestern Abend gefühlte dreißig Mal gefragt, was mit mir los sei, aber ich habe gelogen und behauptet ich hätte Kopfschmerzen. Geglaubt hat sie es mir nicht.

„Klar", sage ich ein wenig zu leise.

Ich lege meine Bücher auf den Tisch und gehe zu ihr und Marc ans Fenster. Worüber die beiden wohl gesprochen haben? Hat Marc Leslie erzählt, dass ich einen Freund habe. Hat er sich bei ihr ausgeheult? Ich will es gar nicht wissen.

„Ähm... wegen gestern, können wir das vielleicht einfach vergessen?"

Es scheint mir das einzige zu sein, was ich sagen kann. Ich will ihr nichts erklären müssen, weil ich es nicht kann. Ich kann es mir selbst nicht einmal erklären.

„Von mir aus", meint sie, aber es klingt sich so, als wäre es vergessen für sie.

So lange sie das Thema lange genug ruhen lässt, bis ich mir eine passende Ausrede ausgedacht habe, soll es mir recht sein.

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du heute eine Freistunde hast in der du Zeit hättest?"

Ich sehe sie fragend an. „Wieso denn?"

Leslie schüttelt grinsend den Kopf, als würde sie wissen, woran ich gerade gedacht habe. Natürlich kann sie das nicht. Zum Glück. Das wäre ziemlich peinlich für meine Wenigkeit.

„Ich will heute mit der Klasse alles für die Fahrt nach London besprechen und fände es gut, wenn du dabei wärst", sagt sie.

Marc sieht mich an, aber ich tue einfach so, als wäre er nicht da. Es reicht schon, dass ich mit Leslie rede. Das ist genug für mich. Ich frage mich, wieso er überhaupt noch hier steht, wo das Gespräch, das die beiden geführt haben, schon vorbei ist.

„Ich hätte in der fünften Stunde Zeit."

„Super, dann sehen wir uns dann", erwidert sie.

„Klar", nuschele ich und begebe mich auf meinen Platz.

Die ersten paar Stunden passiert nichts spannendes. Ich rede vorne an der Tafel mehr oder weniger vor mich hin, beantworte Fragen, lasse die Schüler Aufgaben im Buch machen. Ganz normal mit einer Ausnahme, ich mache mir ständig Gedanken über Leslie und was sie über das Bild denken wird. Was Marc und sie besprochen haben und frage mich, wieso sie so tut als wäre nichts passiert. Das ganze macht mich beinahe verrückt.

Als es zum Ende der vierten Stunde klingelt vergesse ich die Hausaufgaben mitzuteilen, worüber sich meine Schüler freuen werden. Ich sollte meine Gedanken schleunigst geordnet kriegen. Ich werde gleich eine ganze Stunde lang im selben Saal wie Leslie sein. Wir werden zwar nicht wirklich miteinander reden, aber trotzdem. Ich will nicht schon wieder in eine peinliche Situation geraten.

Als ich den Saal der 9b betrete bin ich die erste Lehrkraft, die eintrifft, aber nicht lange. Wenige Sekunden später taucht Marc auf. Fährt er etwa auch mit? Das wird heute echt immer besser.

„Hey", begrüßt er mich und lehnt sich lässig ans Pult.

Ich weiß nicht, was er da vorhat. Marc flirtet immer noch mit mir, obwohl ich ihm gesagt habe, dass ich nicht zu haben bin. Entweder ist er extrem hartnäckig, total überzeugt von sich oder er ist schlichtweg total verzweifelt.

„Fährst du auch mit nach London?", frage ich ihn und gehe nicht auf sein blödes Gehabe ein.

„Ja und du auch, wie es aussieht", antwortet er mit einem Grinsen im Gesicht.

„Super", murmele ich.

Als es klingelt sitzen alle auf ihren Plätzen und Leslie kommt mit Herr Gonzales herein. Ihn kenne ich kaum. Soweit ich weiß unterrichtet er Spanisch.

„Dann wollen wir heute ein wenig über die Klassenfahrt sprechen", fängt Leslie an zu reden.

Mittlerweile habe ich mich in die erste Reihe, neben ein Mädchen, gesetzt. Mein Blick hängt förmlich an Leslie und ihren Lippen, aber ich höre kaum zu. All das habe ich schon gehört, als wir zusammen Kaffee trinken waren. Marc sitzt hinter dem Pult und Mr Gonzales lehnt an der Tafel. Leslie scheint am besten informiert zu sein oder die Fahrt. Sie hat sie organisiert und die 9b ist ihre Klasse. Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis ich Klassenlehrerin sein werde. Im Moment bin ich froh, dass ich es nicht bin. Es bringt ziemlich viel Arbeit mit sich und dafür habe ich im Moment keine Nerven. Als es zu der Fragerunde kommt, werden nicht nur Fragen an Leslie gestellt.

Ich beantworte ein paar Fragen, versuche Leslie nicht zu sehr anzustarren. Ob mir das gelingt weiß ich nicht. Die Stunde fühlt sich an, wie eine Ewigkeit und ich bin froh, als es vorbei ist. Ich springe förmlich von meinem Stuhl auf und will aus dem Saal kommen, aber dann fällt mir ein, dass das ziemlich blöd kommen würde. Ich bin jetzt schließlich einer der Lehrer. Da kann ich mich nicht mehr verhalten, wie ein Kind.

„Du hast das gut gemacht, Annalena", meint Leslie und lächelt mich an.

Ich lächele sie an. Ich mag es, wenn sie meinen Namen sagt.

„Danke, aber ich habe so gut wie nichts gemacht. Du hast die ganze Zeit geredet", sage ich.

„Irgendwann ist das ganz normal. Du wirst schon sehen", mit den Worten geht sie an mir vorbei.

Ich merke es erst jetzt, aber schon wieder lasse ich mich von Leslie verzaubern. Ich würde mir selbst gerne eine Ohrfeige verpassen.

A bad idea Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt