Fünf

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Eine Weile sitzen wir uns schweigend gegenüber, bis der Kellner wieder auftaucht und uns den Kaffee bringt.

„Und hast du darüber nachgedacht, ob du mit nach London fahren möchtest?"

„Ja ich bin dabei, falls du noch niemand anderes gefragt hast", sage ich.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es eine gute Idee ist mit Leslie auf eine Klassenfahrt zu fahren, aber meine Neugier hat gesiegt. Mit Helen habe ich auch gesprochen. Sie hat nichts dagegen, aber sie weiß auch nicht, dass ich mit meiner ersten Liebe unterwegs sein werde. Wenn sie die Details kennen würde, dann wäre sie nicht so locker bei der Sache. Andererseits ist nichts dabei. Leslie und ich sind nur Kollegen. Mehr nicht.

„Das freut mich und nein ich habe bisher niemand gefragt", erwidert sie. „Ich wollte das du dabei bist."

Ich sehe sie fragend an, aber Leslie sagt nichts dazu. Sie trinkt einen Schluck Kaffee und grinst mich frech an. Ich glaube ich werde noch verrückt. Wie hat sie das gemeint? Das werde ich wohl nie erfahren. Ich traue mich nie im Leben nachzufragen. Was solche Dinge betrifft war ich noch nie besonders mutig.

„Die Schüler mögen dich. Meine Klasse wollte unbedingt, dass du mit als Begleitung nach London fährst. Du bist echt beliebt, Annalena."

Ich muss lachen. „Ach das glaube ich dir nicht. Du übertreibst doch sicher total."

Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Leslie es ernst meint. Ich war noch nie jemand, der von allen gemocht wurde. Ich war nie unbeliebt, eher unauffällig. Im Mittelpunkt zu stehen war noch nie so mein Ding.

„Ich sage die Wahrheit. Die Schüler mögen dich wirklich. Du bist eine tolle Frau."

Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden und sehe schnell weg. Ich will nicht, dass Leslie sieht, wie ich rot werde. Früher wollte ich solche Dinge immer aus ihrem Mund hören und jetzt wo sie es gesagt hat, fühlt es sich genauso an, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Wie oft habe ich nachts wach gelegen und mir vorgestellt, wie sie solche Dinge zu mir sagen würde. Es waren aber lediglich Träume.

„Danke", sage ich leise.

Normalerweise bin ich nicht so unsicher, aber mir fällt einfach nichts ein, dass ich sie fragen könnte. Na gut, ich habe tausend Fragen, die ich ihr stellen möchte, aber ich weiß nicht so recht ob sie angebracht sind. Manchmal komme ich mir immer noch wie die Schülerin vor, die ihre Lehrerin anhimmelt. Nur bin ich das nicht mehr. Ich bin erwachsen.

„Und bist du immer noch so eine begabte Künstlerin, wie damals?", will Leslie mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen wissen.

„Spielst du etwa auf das Porträt von dir an?", necke ich sie ein wenig.

„Das hast du jetzt gesagt", meint sie lachend. „Hast du es denn noch? Es war wirklich gut, auch wenn ich nie kapiert habe, wieso du es gemacht hast."

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Natürlich habe ich das Bild noch. Es ist irgendwo zwischen den Zeichnungen, die ich über die Jahre gesammelt habe. Ich habe die Mappen schon lange nicht mehr durchgesehen, konnte mich aber nie davon trennen. An diesen Werken hängen einfach zu viele Erinnerungen.

„Ich glaube schon", antworte ich.

Auf den Rest reagiere ich einfach nicht. Ich kann ihr ja schlecht ins Gesicht sagen, dass ich damals in sie verliebt war. Vielleicht geht Leslie dann davon aus, dass ich es immer noch bin. Außerdem wüsste sie dann, dass ich lesbisch bin. Irgendwann werde ich es ihr vielleicht sagen.

„Wie sieht es bei dir eigentlich aus, hast du eine Familie?", frage ich sie.

Ich möchte mehr über die Frau erfahren, die mir gegenüber sitzt und so unheimlich schön aussieht. Wie gerne würde ich mit meinen Fingern durch ihre Haare fahren, ihre Hand halten oder ihre Lippen auf meinen spüren. Natürlich wird nichts davon passieren. Sie würde es niemals so weit kommen lassen.

„Nein", erwidert sie kurz und knapp.

„Also wohnst du alleine?"

„Nicht wirklich. Ich habe zwei Katzen", sagt sie und lächelt mich an.

„Ich mag Tiere, aber meine Mitbewohnerin hat eine Tierhaarallergie."

Aus irgendeinem Grund möchte ich, dass Leslie denkt ich wäre single. Zu haben. Ich lüge sie leichtfertig an. Andererseits spielt es keine Rolle, da es nicht von Bedeutung ist, weil zwischen uns niemals etwas laufen wird.

„Das ist schade", meint Leslie und streicht sich ein paar Haare aus dem Gesicht.

Ich trinke einen Schluck von meinem Kaffee und denke darüber nach, was ich als nächstes sagen könnte, aber Leslie kommt mir zuvor.

„Marc flirtet ja ziemlich mit dir. Wie es aussieht hast du einen Verehrer."

Sie lacht ein wenig, auch wenn es nicht ganz aufrichtig wirkt. Es kommt mir beinahe so vor, als würde es sie ein wenig stören. Womöglich hat Leslie ein Auge auf unseren Kollegen geworfen und jetzt stört es sie, dass Marc ständig um mich herum schwirrt.

„Ich habe kein Interesse an ihm", sage ich und beende das Thema damit.

„Was erwartet mich auf dem Londontrip eigentlich?", will ich von Leslie wissen.

Sofort fängt sie an zu reden und ich nutze das, um sie zu betrachten. Sie ist einfach perfekt. Ich mag alles an ihr. Des Öfteren bleibt mein Blick an ihren Lippen hängen. Was ist nur los mit mir? Ich sollte nicht so über Leslie denken, wo Helen zuhause auf mich wartet. Ich fühle mich schlecht.

„Du, Leslie. Ich glaube ich muss los", unterbreche ich sie.

„Oh klar", meint sie etwas enttäuscht.

Ich lege etwas Geld auf den Tisch und verabschiede mich mit einem knappen „Bis morgen", von Leslie.

Ich sollte es in nächster Zeit vermeiden mit ihr alleine zu sein. Am besten sollte ich ihr aus dem Weg gehen. Nur weil ich wieder hier bin und unsere Wege sich auf ein neues gekreuzt haben, kann ich nicht so tun, als wäre ich wieder dort, wo ich vor sechs Jahren war. Ich bin in einer glücklichen Beziehung mit einer tollen Frau, die ich über alles liebe. Ich sollte das alles nicht über Bord werfen, wegen meiner ehemaligen Lehrerin in die ich damals verliebt war. Manchmal ist es besser die Vergangenheit ruhen zu lassen. Leslie gehört da mehr oder weniger hin. Ich sollte meine Gefühle, die ich für sie hatte, dort lassen, wo sie hingehören.

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