Einundzwanzig

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Ich hasse es alleine in dieser großen Wohnung zu sein. Es fühlt sich selbst nach zwei Wochen an, als würde hier etwas fehlen und es ist nicht nur so ein Gefühl. Helen fehlt mir einfach schrecklich, aber ich kann sie verstehen. Ich frage mich, ob sie mir jemals verzeihen wird. Ob wir irgendwann wieder ein Paar sein können oder wenigstens Freunde. Ich ertrage den Gedanken nicht sie für immer verloren zu haben. Ich fühle mich so mies.

Ich öffne die zweite Flasche Wein für den Abend, auch wenn ich weiß, dass es eine dumme Idee ist. Letztes Mal, als ich Alkohol getrunken habe, habe ich Helen unzählige Male angerufen und was weiß ich auf ihren Anrufbeantworter gesprochen. Darauf geantwortet hat sie nie. Entweder will sie nicht mit mir reden oder sie hat gemerkt, dass ich total dicht war. Wahrscheinlich beides. Ich fülle mein Glas mit der roten Flüssigkeit und ertränke meine Gefühle mit dem bittersüßen Alkohol. Etwas das ich in letzter Zeit ziemlich oft mache, nur bringt es leider nicht viel. Die Zeit des Vergessens dauert nicht lange an.

Leslie bin ich die vergangenen Woche aus dem Weg gegangen und sie mir anscheinend auch. Ich kann nicht sagen, wen ich mehr vermisse, Helen oder Leslie. Eine Sache weiß ich aber mit Sicherheit: ich werde keine der beiden zurückbekommen. Zumindest ist es unwahrscheinlich. Ich bezweifele, dass Helen mir verzeihen wird und was Leslie betrifft habe ich keine Ahnung. Es wäre wahrscheinlich ohnehin keine gute Idee etwas mit ihr anzufangen, da wir Kollegen sind und die Schüler dann ständig über uns reden würden. Eigentlich sollten einem solche Dinge egal sein, aber es gibt da draußen immer noch genügend Menschen, denen sowas nicht egal ist. Eltern sind manchmal besonders schlimm, wenn es um solche Dinge geht. Verdammt.

Ich trinke die zweite Flasche auch noch leer und kann langsam keinen klaren Gedanken mehr fassen. Irgendwann schlafe ich auf dem Sofa ein.

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„Halt die Klappe", beschimpfe ich meinen Wecker, der aus dem Schlafzimmer klingelt.

Mein Kopf dröhnt, als würde ich auf der Landebahn eines Flughafens stehen. Das Klingeln des blöden Weckers macht das ganze nicht besser. Eher schlimmer. Ich lasse mich von dem Sofa auf den Boden fallen. Aufgestanden bin ich somit aber noch nicht. Langsam raffe ich mich auf und muss die Augen zusammenkneifen, weil mir das Licht so grell leuchtend vorkommt. Unter der Woche zu trinken sollte ich lassen, aber bisher habe ich nicht aus meinen Fehlern gelernt und tue es immer wieder. Entweder bin ich total blöd oder unendlich verzweifelt. Ich schlurfe ins Schlafzimmer und schalte den Alarm aus. Endlich Ruhe. Wie gerne würde ich mich jetzt wieder hinlegen und weiter schlafen, aber die Schule wartet auf mich. Ich mache mich in Zeitlupe fertig und sehe schrecklich aus. Irgendwo im Schrank finde ich eine Sonnenbrille, die ich kurzerhand aufsetze. In der Küche mache ich mir einen Kaffee, den ich in einem To-Go-Becher kippe.
Das Helen das Auto mitgenommen hat, muss ich mit der Bahn fahren. Sie hat den Wagen und ich die Wohnung. Im Moment hätte ich lieber das Auto, dann müsste ich mir den Lärm draußen nicht antun.

In meiner Tasche finde ich ein paar Aspirin, die ich mir einwerfe ohne zu zählen, wie viele es überhaupt sind. Ich muss dringend wieder alltagstauglich werden. Am besten so schnell wie möglich.

Die Fahrt mit der Straßenbahn ist die reinste Folter für mich und verstärkt meine Kopfschmerzen um einiges. Als ich an der Schule ankomme, würde ich am liebsten sofort wieder verschwinden, aber ich bin die Lehrerin. Ich kann mich nicht einfach vom Acker machen, mir selbst eine Entschuldigung schreiben und die Unterschrift meiner Mutter fälschen. Schön wärs , aber so einfach ist das nicht mehr, wenn man erwachsen ist.

„Annalena", höre ich meinen Namen, als ich auf dem Weg in Richtung Lehrerzimmer bin.

Für ein Gespräch bin ich wirklich noch nicht bereit. Ich trinke schnell noch einen Schluck Kaffee und drehe mich dann um. Eine Kollegin kommt auf mich zu und grinst, wie eine Irre. Was ist der denn passiert?

„Oh hey, Sarah", sage ich und zwinge mir ein Lächeln auf.

„Hallo", begrüßt sie mich.

„Was gibt es?", will ich von ihr wissen.

Sie wartet doch ohnehin darauf, dass ich sie frage. Mir ist zwar total egal, was es sein mag, aber ich will es mir nicht mit allen Kollegen vermasseln. Ein wenig Interesse vorzutäuschen schadet nie.

„Du weist doch noch von dem Winterball für dessen Stattfinden ich so sehr gekämpft habe, oder?"

Ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht, nicke aber trotzdem. Sie wird es mir gleich sagen.

„Der Direktor hat endlich zugestimmt, dass wir den Ball veranstalten dürfen", erzählt sie mir freudig.

„Schön", erwidere ich.

Mein Interesse, was diesen Ball betrifft, liegt bei null. Ich mochte solche Veranstaltungen schon als Schülerin nie und das hat sich nicht geändert.

„Ich dachte mir, da du so künstlerisch begabt bist, frage ich dich, ob du dich um die Dekoration kümmern möchtest."

„Ich?", hake ich nach.

„Ja du. Die Schüler schwärmen von dir und deiner Kreativität und deinem Talent", sagt sie.

„Das ist ja eine ganz neue Info für mich", murmele ich. „Ich werde es mir überlegen."

„Super. Ich werde Leslie fragen, ob sie ebenfalls Lust hat", meint Sarah und eilt davon.

Okay, jetzt muss ich nicht länger über meine Antwort nachdenken. Ich werde es ganz bestimmt nicht machen. Normal mit Leslie zusammenzuarbeiten wird wohl kaum funktionieren. Das kann nur komisch werden, nachdem was zwischen uns passiert ist. Das kommt gar nicht in Frage. Ich werde Sarah sagen, dass ich im Moment einfach keine Nerven für diese Aufgabe habe.

Der restliche Schultag hält wenig Überraschungen bereit. Ich lungere am Lehrerpult herum und lasse die Schüler Film schauen. Um dem ganzen noch ein kleines bisschen lehrreiches zu geben, lasse ich die Filme auf englisch laufen. In Kunst habe ich ebenfalls nicht viel zu machen, da alle an ihren Bildern arbeiten.

Irgendwann klingelt mitten im Unterricht mein Handy. Ich muss vergessen haben es auszuschalten. Einige der Schüler schauen sich suchend um, weil sie wissen wollen wessen Smartphone da klingelt, aber ich kläre sie schnell auf. Da der Anruf von Helen ist, gehe ich vor die Tür.

„Helen?", sage ich verwundert.

Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie mich anrufen würde.

„Um nicht lange drum herum zu reden, sage ich es ganz direkt. Hör bitte auf mich anzurufen, wenn du betrunken bist. Ich will nicht hören, wie du mir immer wieder sagst, dass es dir leid tut und du mich noch liebst. Es ändert nichts an dem was passiert ist."

„Tut mir leid", bringe ich hervor.

„Hör einfach auf damit", meint sie und legt auf.

Autsch. Das war klar und deutlich. Helen will im Moment rein gar nichts mit mir zu tun haben. Seufzend lasse ich mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden und gehe ein wenig betrübt zurück in den Klassensaal. Die Schüler mustern mich neugierig, aber ich tue einfach so, als würde ich es nicht bemerken.

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